Weil ein Mitarbeiter das Massaker vom 7. Oktober gefeiert hat, kündigt die Universität Konsequenzen an. Doch diese verschleiern, dass es ein grösseres Problem gibt.
Kurz nachdem Hunderte Hamas-Terroristen in Israel eingefallen sind, um zu morden und zu vergewaltigen, äussert sich ein Mitarbeiter der Universität Bern auf X. Offensichtlich entzückt über diesen Akt des «palästinensischen Widerstands», dankt er der Hamas dafür, dass sie ihm das «beste Geburtstagsgeschenk» beschert habe. Der Mann beteuert später zwar, er habe es nicht so gemeint. Aber nach interner und externer Kritik wird er entlassen.
Seither stellt sich die Frage, ob die Universität Bern, namentlich das Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften, ein Aktivismus- und Extremismusproblem hat. Denn der Mann, der den Terror der Hamas bejubelte, ist mit der Institutsleiterin Serena Tolino liiert – und diese verteidigte ihren Gatten nicht nur gegen Antisemitismusvorwürfe. Sie hatte 2016 auch einen Aufruf der Israel-Boykott-Bewegung BDS unterzeichnet, die organisatorisch mit der Hamas verbunden ist und antisemitische Propaganda verbreitet. Am 7. Oktober versah sie zudem einen Kommentar mit einem Like, in dem das Massaker der Hamas mit dem Widerstand der Ukrainer verglichen wurde.
«Wissenschaft» im ideologischen Korsett
Die Universität hat Tolino im Herbst suspendiert und eine Administrativuntersuchung angeordnet, die der ehemalige Basler Universitätsrektor Antonio Loprieno geleitet hat. Deren Ergebnis ist am Donnerstag vorgestellt worden, dazu kündigte die Universitätsleitung Massnahmen an: Serena Tolino wird verwarnt und unter fachliche Aufsicht gestellt, darf aber ihr Amt behalten; das Institut soll aufgelöst, aber in neuer Form weitergeführt werden.
«Jegliche Form von Gewalt und Diskriminierung», so liess sich der Rektor Christian Leumann zitieren, werde in Bern verurteilt. Für parteiische Forschung und politische Stellungnahmen gebe es keinen Platz, denn: «Forschung hat nach breit abgestützten wissenschaftlichen Kriterien zu erfolgen.»
Glaubt man dem Bericht von Antonio Loprieno, wurden diese Grundsätze am Institut von Serena Tolino nicht sonderlich ernst genommen. Statt wissenschaftlicher Vielfalt habe man eine «methodologische Homogenität» gefördert. Es sei, so sagten Mitarbeiter aus, nicht primär um Kompetenz, sondern um die richtige Gesinnung gegangen. Die Rede ist von einem «ideologischen Korsett».
Wichtige Fragen werden nur vage beantwortet
Dieses Korsett bildeten postkoloniale Theorien, die derzeit weltweit im Trend sind. Oberflächlich interpretiert, fördern diese Theorien ein Feind-Freund-Denken, das dazu verleitet, die Hamas als Widerstandsbewegung und Israel als Kolonialstaat zu betrachten. Serena Tolino, so hält der Loprieno-Bericht fest, habe diesen «postkolonialen Wandel» nach Bern gebracht. Was das konkret bedeutete, bleibt jedoch oft unklar.
Insbesondere lässt der Bericht eine zentrale Frage der Untersuchung mehrheitlich unbeantwortet. Sie lautete: «Lassen sich im Institut antiisraelische oder antisemitische Tendenzen feststellen?» Der NZZ liegen Hinweise vor, dass diese Frage mit «Ja» beantwortet werden muss – und dass es um ein strukturelles Problem geht.
So gibt es Bilder aus einem Seminar, das eine Serena Tolino nahestehende Mitarbeiterin leitete. Auf dem Bürotisch liegen Brote, Kägi fret und Früchte für die Teilnehmer bereit, das Errex-Gestell im Seminarraum ist mit einer Palästina-Flagge geschmückt. Auf die Wand ist ein Bild des israelischen Staates projiziert – eingefärbt in Rot, Weiss und Grün, den Farben der Palästinenser.
«Deutlich propalästinensisch und antiisraelisch»
Dieselbe Mitarbeiterin teilte nach dem 7. Oktober einen Beitrag der Palästina-Aktivistin Mariam Barghouti auf Instagram. «Gaza», so frohlockte diese, «just broke out of prison», Gaza ist aus dem Gefängnis ausgebrochen. Barghouti schrieb kurz darauf auf dem vom islamistischen Wüstenstaat Katar finanzierten Portal von al-Jazeera, es habe sich unglaublich angefühlt, die Männer zu beobachten, die unter «Allahu akbar»-Rufen die Grenzzäune durchbrochen hätten.
Über das Seminar, das die Mitarbeiterin von Serena Tolino leitete, liegt der NZZ die Stellungnahme eines Studenten an die Verantwortlichen der Administrativuntersuchung vor. «Die politische Positionierung der Dozentin und der Mehrheit der Studierenden in diesem Seminar war deutlich propalästinensisch und antiisraelisch ausgerichtet», heisst es in dem Schreiben. Thesen von Historikern, die Israel ethnische Säuberungen vorwürfen, seien wie «unumstössliche Fakten» präsentiert worden. Die Leiterin habe Wert darauf gelegt, dass man in Arbeiten Begriffe wie «israelischer Staats- und Besatzungsapparat» verwende.
Die Universität Bern schreibt auf Anfrage, man habe keine Kenntnis von den erwähnten Posts zum 7. Oktober oder den palästinensischen Flaggen im Seminarraum. Die Dozentin erklärt, sie habe mit ihren Posts auf Instagram «auf die sich entfaltende Situation in Israel und im Gazastreifen aufmerksam machen» wollen. Die palästinensische Flagge im Seminarraum sei lediglich ein «Gute-Besserung-Gruss» an einen kranken Teilnehmer gewesen. Und die Hamas betrachte sie als «islamistisch-ultranationalistische Terrororganisation», unter der Israeli und Palästinenser litten.
Die Hamas ist «nicht fehlerfrei»
An der ideologischen Grundtendenz des Berner Instituts ändern solche Distanzierungen wenig. Ein weiterer Mitarbeiter ist mit der British Association for Islamic Studies verbunden. Diese verbreitete am 30. Oktober ein Communiqué, in dem das Massaker der Hamas mit keinem Wort erwähnt wird. Stattdessen wird Israel Genozid vorgeworfen, und es wird betont, «dass es unsere Pflicht ist, die palästinensische Sache hervorzuheben».
Die politische Schlagseite ist auch in wissenschaftlichen Beiträgen erkennbar. Das zeigt eine Arbeit, die ein Institutsmitarbeiter über palästinensischen Aktivismus verfasst hat. Wie Serena Tolino hat dieser Mitarbeiter einen Aufruf von BDS unterzeichnet. Im Vorwort seiner Arbeit richtet er eine Solidaritätsbotschaft an die «Palästinenser*innen». Die Palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas sind seiner Meinung nach «nicht fehlerfrei». Die Hamas etwa ist ihm zu repressiv, aber, das attestiert er ihr, sie agiere in einem schwierigen Umfeld, für das Israel die Verantwortung trage.
Die Bewegung BDS beschreibt er, getreu der Eigenwerbung dieser Hamas-freundlichen Organisation, als «gewaltfrei» und als Zielscheibe der «Israel-Lobby» in den USA. Der mörderische Judenhass, der im palästinensischen «Widerstand» grassiert, ist für den Autor hingegen kein Thema. Dafür enerviert er sich darüber, dass die palästinensische Gesellschaft als rückständig gilt, was Menschenrechte, Emanzipation und Toleranz betrifft. Das, so der Berner Wissenschafter, sei ein «orientalistischer Diskurs», den Israeli und der «Globale Norden» in die Welt gesetzt hätten. Dass homosexuelle Palästinenser von religiösen Fanatikern getötet und Frauen wegen moralischer «Verfehlungen» zu Selbstmordattentaten gezwungen werden, ist demnach eine rassistische Einbildung.
Kritische Mitarbeiter fühlen sich im Stich gelassen
Solche Fokussierungen auf «Diskurse» sind typisch für postkoloniale Theoretiker, die selbst in den reaktionärsten Gewalttätern Opfer eines rassistischen Westens sehen. Es erklärt unter anderem, weshalb linke und queere Studenten in New York, London, Paris oder Berlin Hamas-Parolen zitieren, Plakate von israelischen Geiseln zerreissen oder jüdischen Studenten den Zugang zum Hörsaal versperren.
Ein grundsätzliches Problem mit postkolonialen Ideologien mag Antonio Loprieno in seinem Bericht über die Universität Bern jedoch nicht erkennen. «Diese wissenschaftliche Perspektive», so schreibt er, «darf nicht aufgrund undifferenzierter, politisch motivierter Erwägungen oder allfälliger individueller Verfehlungen insgesamt diskreditiert werden.» Vielmehr müssten Anhänger des Postkolonialismus ernsthafter darüber nachdenken, ob ihr Denkmodell «einen Teil seines eigenen aufklärerischen Potenzials eingebüsst» habe.
Jene Mitarbeiter, die sich ideologisch bevormundet fühlen und sich in der Untersuchung kritisch geäussert haben, sind denn auch skeptisch, was die geplanten Massnahmen der Universität Bern angeht. Manche fürchten gar, dass es für kritische Geister noch unangenehmer wird.