Über den Fonds erhielten palästinensische Häftlinge und die Familien getöteter Terroristen monatliche Zahlungen. Israel spricht von einem «betrügerischen Trick».
Der sogenannte «Märtyrerfonds» gehört zu den grössten Streitpunkten zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die grosse Teile des besetzten Westjordanlands kontrolliert. Mit dem Fonds wird seit Jahren eine Art Rente an palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen sowie an die Familien von Palästinensern bezahlt, die bei Angriffen auf Israeli getötet oder verwundet wurden. Nun hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Anfang der Woche überraschend ein Dekret unterzeichnet, mit dem der Fonds eingestellt wird.
Fortan sollen Zahlungen an palästinensische Häftlinge und Angehörige von getöteten Terroristen ausschliesslich aufgrund ihrer finanziellen Bedürfnisse erfolgen – so wie für alle anderen Empfänger von Sozialhilfe. Bisher war die Höhe der Finanzhilfen an die Länge der jeweiligen Gefängnisstrafe geknüpft. Daten aus dem Jahr 2017 zeigen, dass der Fonds damals über ein Budget von 170 Millionen Dollar pro Jahr verfügte und monatliche Zahlungen an rund 35 000 Empfänger auszahlte – darunter auch an Familien von Selbstmordattentätern. So erhielten etwa Angehörige von Palästinensern, die von israelischen Soldaten getötet wurden, mindestens 350 Dollar pro Monat.
Palästinenser verteidigen den Fonds
Israel, aber auch mehrere amerikanische Regierungen, hatten die umstrittene Praxis, die auch als «pay for slay» (Bezahlung für Tötung) bekannt ist, seit Jahren scharf kritisiert. Damit würden Anreize für Angriffe auf Israeli geschaffen und Terrorismus belohnt. Seit 2018 behält Israel deshalb von den Steuergeldern, die es im Auftrag der PA im Westjordanland einzieht, jeweils eine dem Märtyrerfonds entsprechende Summe zurück und setzt das Geld für israelische Angehörige von Terroropfern ein.
Ebenfalls 2018 unterzeichnete Präsident Donald Trump während seiner ersten Amtszeit die Taylor Force Act. Das Gesetz kürzt die amerikanische Entwicklungshilfe an die PA, solange diese Gelder an Terroristen und ihre Familien auszahlt. Die beiden Massnahmen verschärften die ohnehin grossen Finanzprobleme der PA zusätzlich. Auch wenn sie zeitweise die Löhne ihrer Beamten nicht auszahlen konnte, hielt sie stets am Märtyrerfonds fest.
Bisher hatte die Autonomiebehörde den Märtyrerfonds stets vehement verteidigt: Mit den Zahlungen werde Familien ein Einkommen verschafft, die ihren Haupternährer verloren hätten. Zudem werde entlassenen Häftlingen die Reintegration in die Gesellschaft ermöglicht. In der palästinensischen Bevölkerung ist die Praxis durchaus beliebt, manchen Beobachtern galt sie gar als unantastbar. Noch im Jahr 2017 hatte Mahmud Abbas die Bemühungen der Trump-Regierung, die Zahlungen zu stoppen, als «Aggression gegen das palästinensische Volk» bezeichnet. Die Frage stellt sich: Wieso hat der greise Palästinenserpräsident ausgerechnet jetzt seine Meinung geändert?
Abbas wartete auf Trump
Laut dem amerikanischen Onlinemedium «Axios» hatten sich die PA und die Regierung von Joe Biden, die den Märtyrerfonds ebenfalls scharf kritisiert hatte, schon vor Monaten auf eine entsprechende Reform geeinigt. Mahmud Abbas habe sich jedoch entschieden, bis zum Amtsantritt von Donald Trump zu warten – in der Hoffnung, die Beziehung zur neuen amerikanischen Regierung zu verbessern.
Gegenüber der «Times of Israel» sagt ein anonymer palästinensischer Beamter, dass die PA ihre Lektionen aus Trumps erster Amtszeit gelernt habe. Nachdem dieser 2017 Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatte, brach Abbas die Beziehungen zu Washington vorübergehend ab. In der Folge handelte Trump ohne palästinensische Beteiligung die sogenannten «Abraham Accords» aus, in deren Rahmen Israel diplomatische Beziehungen mit mehreren arabischen Staaten aufnahm.
Ob das Ende des Märtyrerfonds ausreicht, um Trump milde zu stimmen, ist eine andere Frage. In Israel jedenfalls herrscht Skepsis. Am Montag schrieb das israelische Aussenministerium in einer Mitteilung: «Dies ist ein neuer betrügerischer Trick der PA, die weiterhin Zahlungen an Terroristen und ihre Familien über andere Kanäle leisten will.»