Mittwoch, Oktober 23

Geopolitische Konflikte, die Veränderung des Klimas und andere Risikofaktoren setzen etablierte Lieferketten unter Stress. Eine Folge davon sind Kapazitätsengpässe am Panamakanal. Eine Reportage zu einer der wichtigsten Wasserstrassen im globalen Gütertransport und den Herausforderungen des internationalen Handelssystems.

Vorsichtig nähert sich die Yaca der letzten Etappe bei der Durchquerung des Panamakanals. Der Tanker der Panamax-Klasse mit Chemikalien aus Houston ist auf dem Weg zum Hafen von Talara in Peru. Frühmorgens hat er die acht- bis zehnstündige Passage durch den Kanal in Colon auf der Seite des Atlantiks begonnen. Am anderen Ende unweit von Panama City wird er nun bei den Miraflores-Schleusen in den Pazifik abgelassen.

Viel Platz hat der Ozeanriese nicht. Auf beiden Seiten besteht kaum ein halber Meter Spielraum zur Fahrrinne. Durch Stahlseile muss die Position deshalb laufend vom Ufer her gesichert werden. Diese Arbeit übernehmen je zwei Lokomotiven, denen das Personal halb liebevoll, halb spöttisch Schleppesel sagt.

Panama Canal

Die Luft am Nachmittag ist feucht und schwer, doch für Spektakel ist gesorgt. Unter Applaus von der Tribüne des Besucherzentrums bläst der Kapitän auf der Kommandobrücke der Yaca das Horn, die Matrosen winken freundlich. Wie in Zeitlupe sinkt der Tanker langsam ab. Zehn Minuten später liegt er acht Meter tiefer, sodass praktisch nur noch das Oberdeck zu sehen ist. Die zwei massiven Tore der Schleuse öffnen sich, worauf er gemächlich in Richtung Meer gleitet.

Rund 5% des weltweiten Seehandels gehen durch den Panamakanal. Dass der Schiffsverkehr an einer der wichtigsten Passagen im internationalen Güterverkehr derzeit plangemäss verläuft, ist nicht selbstverständlich. Wegen Wassermangels war die Kapazität des Kanals bis vor wenigen Monaten empfindlich eingeschränkt. Zusammen mit den Angriffen der Huthi-Miliz im Roten Meer sind die Lieferketten des globalen Handelssystems dadurch erneut unter Druck geraten, was böse Erinnerungen an das Chaos während der Pandemie weckte.

In der schlimmsten Phase um den Jahreswechsel 2023/24 konnten nur noch 24 Schiffe pro Tag den Panamakanal passieren; fast 40% weniger als sonst. Manche Frachter zahlten einen Aufpreis von bis zu 4 Mio. $, um die Warteschlange zu überspringen. Tanker mit Flüssiggas mussten auf dem Weg von der US-Golfküste nach Asien über lange Routen um das Kap der Guten Hoffnung nahe der Südspitze Afrikas umgeleitet werden. Um Zeit zu sparen, wickelte die Containerschiff-Reederei A. P. Møller-Mærsk den Transport temporär über die Güterbahn entlang des Kanals ab.

Das Risiko ist gross, dass sich Probleme dieser Art häufen. «Die Volatilität der Wetterbedingungen nimmt zu, Zyklen mit ungewöhnlich wenig Niederschlag treten mit einer höheren Frequenz auf, und das müssen wir berücksichtigen», sagt Ricaurte Vásquez Morales, Administrator der Panama Canal Authority, die für den Betrieb der Anlage zuständig ist. Er spricht damit das Wetterphänomen El Niño an, das in unregelmässigen Abständen auftritt und der Westküste Amerikas überdurchschnittlich warme Luft und Meeresströmungen zuführt.

Für Panama bringt El Niño eine aussergewöhnlich schwache Regensaison, wobei global rekordhohe Temperaturen das Problem im jüngsten Zyklus verschärft haben. Bereits 2019 sah sich die Betriebsgesellschaft des Kanals wegen einer solchen Wetterkonstellation mit Kapazitätsengpässen konfrontiert. Ihre Meteorologen rechnen in den nächsten vier Jahren mit Problemen: «Die letzten zehn Jahre weisen darauf hin, dass sich das Niederschlagsmuster verändert, und wir bleiben vom Regenfall abhängig», sagt Vásquez Morales an einem virtuellen Roundtable-Gesprächs mit Journalisten.

Kühne Träume und Massenspekulation

Die Engpässe beim Panamakanal sind nur ein Beispiel für die wachsenden Herausforderungen im Welthandel. «Die Freiheiten, die wir in den letzten zwanzig bis dreissig Jahren bezüglich der Navigation auf den Weltmeeren als selbstverständlich erachtet haben, stehen heute angesichts geopolitischer Risiken zusehends infrage, wie sich derzeit an den Schwierigkeiten im Roten Meer zeigt», sagt Marcus Reimann, Head of Sea Logistics Americas, East Asia and Oceania beim Logistikkonzern Kühne + Nagel. «Hinzu kommen Veränderungen des Klimas, was speziell den Panamakanal betrifft und sich dieses Jahr beispielsweise auch in der aussergewöhnlich intensiven Hurrikan-Saison äussert.»

Aus einer globalen Betrachtung gehört der 82 Kilometer lange Wasserweg an der engsten Stelle zwischen Nord- und Südamerika zu rund einem halben Dutzend Druckstellen im Seehandel, die in der Branche Choke Points genannt werden. Weitere solche Flaschenhälse sind die Strasse von Malakka zwischen Indonesien und Malaysia, der Suezkanal und die Bab-al-Mandab-Enge an der nördlichen bzw. südlichen Mündung des Roten Meers sowie auf der gegenüberliegenden Seite der arabischen Halbinsel die Strasse von Hormus, durch die rund ein Fünftel der globalen Ölproduktion verschifft wird.

Wer die Bedeutung des Panamakanals verstehen will, muss seine Geschichte kennen. Allein seine Existenz grenzt an ein modernes Wunder. Vor 110 Jahren fertiggestellt, gehört er zu den kühnsten Projekten des Industriezeitalters und zeugt von einem der erbittertsten Kämpfe zwischen Mensch und Natur. Der Bau war eines der kostspieligsten und tödlichsten Unterfangen der damaligen Zeit, erschütterte Frankreich in den Grundfesten und markierte einen Schlüsselmoment im Aufstieg der Vereinigten Staaten zur Weltmacht.

«Um grosse Dinge zu vollbringen, genügt es nicht, nur zu handeln, man muss auch träumen; es genügt nicht, nur zu planen, man muss auch glauben», wird Graf Ferdinand de Lesseps zitiert. Als französischer Nationalheld gefeiert, will der Erbauer des 1869 eröffneten Suezkanals der Welt zehn Jahre später im Isthmus von Panama erneut seinen Stempel aufdrücke. Die Idee eines Seewegs durch die Landenge in Mittelamerika begeistert die Menschen schon seit Mitte des Jahrhunderts und nicht zuletzt wegen des Goldrausches in Kalifornien, zumal eine der schnellsten Routen von Europa und der amerikanischen Ostküste nach San Francisco durch Panama führte.

Zur Finanzierung des Projekts spannt Lesseps massenweise Kleinaktionäre ein. Die Papiere seiner Compagnie Universelle du Canal Interocéanique werden zur Volksaktie. «In Paris wurde der Verkauf der Aktien des Unternehmens zu einem der erstaunlichsten Ereignisse der Finanzgeschichte», schreibt der Historiker David McCullough in seinem Standardwerk zur Entstehungsgeschichte des Kanals. «Es war das grösste finanzielle Vorhaben, das bis dahin unternommen worden war», hält er fest. «Die Panama-Aktien sollten eine grössere Streuung im Publikum erfahren als alle anderen jemals zuvor ausgegebenen Aktien. Und noch nie hatte eine andere finanzielle Offerte eine solche Begeisterung bei den Anlegern ausgelöst.»

Lesseps Traum endet in einer Katastrophe. Die Ingenieure der französischen Eliteuniversitäten unterschätzen das tropische Klima und die geologischen Herausforderungen in Panama fatal. Die Aushubarbeiten für die Schneise durch den Culebra-Gebirgskamm, die Schlüsselstelle des Kanals, werden in der Regenzeit wieder und wieder von Schlammlawinen zurückgeworfen. Malaria und Gelbfieber raffen die Arbeiter dahin. Die Konkurserklärung der Kanalgesellschaft im Februar 1889 wird zum politischen Skandal, der Ermittlungen der Strafbehörden nach sich zieht. In die Staatsaffäre sind diverse Mitglieder von Frankreichs High Society verwickelt; unter anderen Gustave Eiffel, der Erbauer des Eiffelturms.

Washington übernimmt die Kontrolle

Wie die Geschichte des Panamakanals bei einem Erfolg der französischen Bestrebungen verlaufen wäre, lässt sich nicht sagen. Gut dokumentiert ist, dass auch die USA früh an einem Seeweg durch Mittelamerika interessiert sind. Nach Lesseps grandiosem Scheitern ergreift man in Washington die Gelegenheit, die Kontrolle über das Projekt zu übernehmen.

Für die Regierung von US-Präsident Theodore Roosevelt, die den Bau des Kanals zur Wende ins 20. Jahrhundert in Angriff nimmt, stehen strategische Überlegungen im Vordergrund. Es geht darum, die amerikanische Kriegsflotte rasch zwischen Atlantik und Pazifik verschieben zu können. Erwägt wird auch eine alternative Route durch Nicaragua. Dass der Entscheid dann aber auf Panama fällt, ist nicht zuletzt der cleveren Lobbyarbeit der französischen Auffanggesellschaft zu verdanken, die den Nachlass aus Lesseps gescheitertem Projekt verwaltet.

Doch es gibt ein Problem: Panama gehört zu Grosskolumbien, und die Regierung in Cartagena steht den amerikanischen Plänen im Weg. Um sich die Kontrolle über das Gebiet zu sichern, orchestriert Roosevelt einen Coup. Unterstützt von amerikanischen Truppen erklärt Panama im November 1903 die Unabhängigkeit. Die USA sichern sich dafür das Hoheitsrecht über die Kanalzone, einen jeweils etwas mehr als acht Kilometer breiten Landstreifen entlang der Fahrrinne. «I took the Isthmus – Ich habe den Isthmus erobert», gesteht Roosevelt später nicht ohne Stolz ein.

Den Bau des Kanals übernimmt das US-Militär. Als erstes werden sanitäre Massnahmen umgesetzt. Die Brutstätten für Moskitos werden trockengelegt, womit Erkrankungen an Gelbfieber und Malaria drastisch zurückgehen. Unter Generalmajor George Goethals, dem Beauftragen des Ingenieurkorps der U.S. Army, gelingt es mit viel Geld und dank den technologischen Fortschritten in der Bau- und Eisenbahnindustrie, die Natur zu bezwingen.

Massgeblich verantwortlich für den Erfolg ist eine konzeptionelle Änderung. Die französischen Pläne scheiterten daran, dass sie eine direkte Verbindung zwischen den beiden Küsten auf Meereshöhe nach dem Vorbild des Suezkanals vorsahen – angesichts der Dimensionen und des sumpfigen Untergrunds ein unmögliches Unterfangen. Stattdessen sollen die Schiffe nun über drei Schleusen insgesamt 26 Meter über Meeresspiegel auf den aufgestauten Gatúnsee gehoben und dann über drei weitere Schleusen herabgelassen werden.

Am 15. August 1914 ist es so weit. Mit der Passage des Fracht- und Passagierschiffs SS Ancon wird der Panamakanal offiziell eröffnet. Trotz des epochalen Triumphs kommt keine grosse Feierstimmung auf, weltbekannte Prominenz fehlt. Der Grund dafür ist, dass wenige Wochen zuvor der Erste Weltkrieg begonnen hat. Er dominiert die Schlagzeilen. Berichte zur Eröffnung des Kanals sind auf den hinteren Seiten der Zeitungen vergraben. Wegen des Kriegs bleibt der Transitverkehr anfänglich mit weniger als 2000 Schiffen pro Jahr bescheiden.

Der finanzielle Aufwand für das Bauwerk sind gigantisch. Inklusive der ersten Bauphase unter französischer Führung kostet die Errichtung des Panamakanals letztlich mehr als das Vierfache des Suezkanals. In den USA geht ein Boom an Infrastrukturausgaben einher, von dem unter anderem die Stahlindustrie in Pittsburgh massgeblich profitiert. Die Schleusensysteme und andere Vorrichtungen des Kanals werden vollständig mit Strom betrieben, was der noch jungen General Electric als seinerzeit noch jungem Unternehmen bedeutende Aufträge einbringt.

«Kein einziges Bauvorhaben in der amerikanischen Geschichte hatte einen solchen Preis in Dollar oder in Menschenleben gefordert», urteilt der Historiker McCullough. Alles in allem dürften in den vier Jahrzehnten bis zur Fertigstellung des Panamakanals bis zu 25’000 Menschen bei den Arbeiten umgekommen sein, mehr als 300 Tote pro Kilometer. Der überwiegende Teil davon waren Einwohner der Karibik, Südamerikas und Afrikas.

Strategisches Asset für die USA

Die Welt hat sich seither grundlegend geändert, doch für die Vereinigten Staaten ist der Panamakanal wichtiger denn je. Die Kanalzone mit dem Schleusensystem ist inzwischen zwar vollständig in den Staatsbesitz Panamas übergegangen. Im letzten Jahr hat sie annähernd 5 Mrd. $ an Einnahmen erwirtschaftet, was 6% des Bruttoinlandprodukts entspricht. Präsenz und Einflussnahme der USA sind jedoch bis heute unübersehbar.

Aus einer strategischen Perspektive ist der Kanal eine der wichtigsten Arterien im Kreislauf der amerikanischen Wirtschaft. Seine Rolle als existenzielle Infrastrukturanlage verdeutlichte sich Ende der Achtzigerjahre, als US-Truppen in Panama einmarschierten, um den Diktator Manuel Noriega und seine Militärjunta zu entmachten. Die Landeswährung ist und bleibt 1:1 an den Dollar gekoppelt, der in Panama offizielles Zahlungsmittel ist. Als José Raúl Mulino im Mai 2024 zum neuen Präsidenten gewählt wurde, war seine erste aussenpolitische Amtshandlung die obligatorische Visite bei der US-Botschaft am Morgen nach der Wahlnacht.

Wie fundamental wichtig der Panamakanal für die USA ist, reflektiert sich in den Zahlen. Rund 70% der Handelsströme, die durch den Seeweg gehen, sind auf Ein- und Ausfuhren der US-Wirtschaft. Der grösste Teil des Transitverkehrs entfällt auf Containerschiffe, auf Tanker für den Transport von Erdöl, Petroleumprodukten und Flüssiggas sowie auf Massengutfrachter für Getreide, Kohle und andere Rohstoffe. Hinzu kommen Frachter mit Fahrzeugen, Tiefkühlwaren und einzelnen Stückgütern sowie sporadisch Passagierschiffe.

Jährlich werden Güter im Wert von 270 Mrd. $ durch den Kanal transportiert. Rund 40% davon in Containern, die hauptsächlich von Asien in die wirtschaftlichen Ballungszentren an der amerikanischen Ostküste wie New York, Philadelphia, Baltimore oder zum Hafen von Savannah im Bundesstaat Georgia verschifft werden. Erzeugnisse der US-Agrarwirtschaft werden derweil über den Mississippi in den Golf von Mexiko und dann durch den Panamakanal nach Ostasien ausgeführt. In die gleiche Richtung gehen Exporte aus der Energie- und Chemieindustrie. Weitere wichtige Handelsrouten führen von Europa sowie Südamerika zur US-Ostküste und zurück.

Die Passage durch den Panamakanal ist im Vergleich zu anderen Handelsrouten teuer dafür schnell. Ein Containerschiff aus China benötigt etwa 34 Tage, um an die amerikanische Atlantikküste zu gelangen – wenn es nicht zu Verzögerungen kommt. Alternative Strecken über den Suezkanal oder über das Kap der guten Hoffnung dauern etwa 40 respektive 47 Tage. Im ersten Fall besteht ein abschreckend hohes Risiko von Überfällen im Roten Meer. Im zweiten Fall herrscht nicht selten gefährlich hoher Wellengang.

«Die Bedeutung des Panamakanals ist enorm gross und wird voraussichtlich weiter zunehmen, denn er gewährt eine zuverlässige Verbindung zwischen Asien und der US-Ostküste, die hinsichtlich geopolitischer Risiken weniger exponiert ist, als andere Schlüsselstellen im globalen Handelssystem», sagt Seefrachtexperte Reimann von Kühne + Nagel.

Bei alternativen Routen über den Landweg bestehen ähnliche Hindernisse. Mexiko beispielsweise will den Panamakanal künftig mit dem Tehuantepec-Projekt konkurrieren. Dieses sieht im südlichen Teil des Landes eine neue Transitstrecke für Güterzüge zwischen der Atlantik- und Pazifikküste mit einer jährlichen Kapazität von 1,4 Mio. Frachtcontainern vor. «In Mexiko ist die Situation mit Blick auf die Sicherheit aber ausgesprochen kompliziert, was Transporte auf dem Landweg schwierig macht», wendet Reimann ein.

Umso problematischer ist in diesem Kontext, dass beim Panamakanal Herausforderungen hinsichtlich Zuverlässigkeit und Kosten zunehmen. Selbst bei günstigen Wetterverhältnissen mit ausreichend Niederschlag ist die Kapazität limitiert. Der Hauptgrund liegt darin, dass sich die Grundstruktur seit seiner Eröffnung praktisch nicht verändert hat.

Lange war der Kanal nur für Schiffe der Panamax-Klasse mit einer Breite von 32,3 Metern und zwölf Metern Tiefgang passierbar. 2016 wurde immerhin eine Erweiterung fertiggestellt. Seither können ihn auch Schiffe der Neo-Panamax-Klasse mit einer Breite von 49,1 Metern und 15,2 Metern Tiefgang durchqueren, wobei es in der Seefracht noch wesentlich grössere Kaliber gibt. Im Vergleich zum Suezkanal und zur Strasse von Malakka ist der Transitverkehr mit jährlich rund 13’000 bis 14’000 Schiffen zudem deutlich geringer.

Wasser wird zu einem knappen Gut

Als Antwort auf die Engpässe während der Pandemie hat die Logistikindustrie die Kapazität im Seehandel in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut. Wie empfindlich die internationalen Lieferketten aber weiterhin auf Störungen reagieren, haben die Schlagzeilen zum temporären Streik der Hafenarbeiter an der US-Ostküste vor wenigen Wochen verdeutlicht. Im Gegensatz dazu lassen sich die Probleme beim Panamakanal aber nicht einfach durch einen neuen Gesamtarbeitsvertrag lösen.

De facto ist die Anlage ein gigantisches Abflusssystem, das sich das Prinzip der Schwerkraft zu Nutze macht. Das Zentrum ist der Gatúnsee, ein riesiger, künstlich angelegter Speicher, von dem aus das Wasser in beide Richtungen zur Küste abgelassen wird, um die Schiffe in den Schleusen wie auf einer Leiter nach oben zu heben beziehungsweise herunter zu lassen.

Mangelt es an Niederschlag, hat das zudem nicht für den Schiffsverkehr Konsequenzen. Der Gatúnsee und das Einzugsgebiet des Kanals versorgen mehr als die Hälfte der Bevölkerung Panamas mit Frischwasser. Insgesamt entfallen rund 65% des Verbrauchs der Ressourcen auf das Schleusensystem. Weitere 8% werden für Wasserkraftwerke zur Elektrizitätserzeugung verwendet, mit der die Anlagen des Kanals betrieben werden. 12% werden für die Trinkwasserversorgung genutzt, und rund ein Zehntel geht durch Verdunstung verloren.

Weil sich Perioden mit geringem Niederschlag häufen, ist der Wasserverbrauch zu einem kontroversen innenpolitischen Thema geworden. Das Fiskaljahr 2023 (von Anfang Oktober 2022 bis Ende September 2023) war das trockenste für das Einzugsgebiet des Panamakanals seit Anfang der Fünfzigerjahre, als mit der Erhebung von Daten begonnen wurde. Vom historisch niedrigen Wasserstand zeugte ein ganzer Wald von abgestorbenen Baumstümpfen, die gespenstisch über die Oberfläche des Sees hinausragten.

Der Wasserpegel des Gatúnsees blieb von Anfang Sommer bis Ende Herbst konstant unter 80%, weshalb der Schiffsverkehr in den folgenden Monaten stark eingeschränkt werden musste. Gemäss ersten Zahlen, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurden, konnten im Fiskaljahr 2024 lediglich 9936 Schiffe den Kanal durchqueren, was einem Rückgang von 29% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Am meisten betroffen waren Transporte von Rohwaren und Flüssiggas. Bei Containerschiffen war der Effekt weniger ausgeprägt.

Bereits nach der Dürrephase im Jahr 2019 hat die Betriebsgesellschaft des Panamakanals eine Reihe von Massnahmen ergriffen, um das Wasser aus dem Einzugsgebiet effizienter zu nutzen. Dazu zählt ein Frischwasserzuschlag für alle Schiffe, die Panama durchqueren. Über Änderungen der Tarifstruktur wurden zusätzliche Anreize geschaffen, die grössere Schiffe bevorteilen, womit bei der Durchquerung durchschnittlich weniger Wasser pro Tonne Last verbraucht wird.

Mit Ausnahme des letzten Jahres hat das durchschnittliche Frachtvolumen seit 2020 somit konstant über 20 Mio. Tonnen betragen, nachdem es sich in den ersten Jahren nach der Erweiterung des Kanals auf rund 18 Mio. Tonnen belief. Diese Veränderungen schlagen sich auch in der Profitabilität der Betriebsgesellschaft nieder: «Der strategische Wert der Passage und ihres Wassers hat es dem Panamakanal ermöglicht, seine Einnahmen zwischen 2019 und 2023 zu verdoppeln und seine Beiträge an den Staat um 42% zu erhöhen», hält der Geschäftsbericht der Panama Canal Authority fest.

Dominoeffekt und unabsehbare Konsequenzen

Am grossen Bild der Dinge ändern diese Massnahmen allerdings wenig. Um das Problem der Wasserversorgung grundlegend zu lösen, müssen zusätzliche Ressourcen erschlossen werden. Abhilfe soll diesbezüglich ein neuer Stausee schaffen.

Die Betriebsgesellschaft des Panamakanals arbeitet dazu an einem 1,6 Mrd. $ Projekt, mit dem die Wasserführung des Rio Indio genutzt werden soll. Der Fluss, der sich südwestlich des Gatúnsees durch den Dschungel schlängelt, wird seit Jahrzehnten für einen Staudamm in Erwägung gezogen. Ein altes Gesetz, das das Einzugsgebiet des Kanals regelt, blockierte bislang aber solche Bestrebungen. Im Juli wurde es vom Obersten Gerichtshof Panamas aufgehoben. Die rechtlichen Voraussetzungen zur Realisierung des Plans sind damit gegeben, wobei die Kanalbehörde auch auf die wirtschaftsfreundliche Haltung der neuen Regierung setzt.

Bis das Projekt realisiert werden kann, wird es gemäss den gegenwärtigen Vorgaben mindestens sechs Jahre dauern. Da rund 2500 Einwohner bei einer Flutung des betroffenen Gebiets umgesiedelt werden müssten, sind Einsprachen und politischer Widerstand wahrscheinlich, was für Verzögerungen sorgen könnte. Angesichts des bisherigen Trends, bleibt das Risiko einer erneuten Phase mit Kapazitätsbeschränkungen beim Panamakanal gross

«Es gibt keine einfache Lösung, keine schnelle Behebung dieses Problems», sagt Niels Madsen von Sea Intelligence, einem Analysedienst für globale Lieferketten mit speziellem Fokus auf Containertransporte «Es würde mich sehr überraschen, wenn dies das letzte Mal gewesen wäre, dass wir Engpässe beim Panamakanal hatten», befürchtet er. «Aller Voraussicht nach werden wir daher weitere Ausschläge bei den Frachtraten sehen.»

Im Seehandel, über den mehr als 80% des internationalen Warenverkehrs abgewickelt werden, ist die Entwicklung der Preise damit weniger gut berechenbar. Nach einer langen Phase mit zuverlässig tiefen Frachtraten ist es mit den chaotischen Verhältnissen im Zug der Pandemie und dann bei den Problemen beim Panama- und Suezkanal in relativ kurzer Zeit zu beträchtlichen Preisschwankungen gekommen.

Die Häufung solcher Engpässe bedeutet, dass sich die Preise für viele importierte Waren in absehbarer Zukunft erneut erhöhen könnten – zusammen mit anderen strukturellen Trends wie Nearshoring und Friendshoring ein weiterer Faktor für permanent erhöhten Inflationsdruck in den globalen Lieferketten. Handelskriege und Strafzölle, wie sie etwa von den USA bei einem Sieg von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen verhängt werden könnten, verschärfen die Situation.

«Die Seefracht basiert auf einem globalen System, und die Leute vergessen leicht, wie stark vernetzt es ist», sagt Logistikspezialist Madsen. «Es gibt überall indirekte Folgeeffekte. Wenn im Pazifik etwas passiert, wirkt sich das von Asien über Amerika bis nach Europa aus. Letztlich ist davon beispielsweise sogar das Volumen im Güterverkehr zwischen Skandinavien und der Türkei betroffen.»

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