Sonntag, September 29

Jean-Marc Pontroué, Chef der Uhrenmarke Panerai, setzt trotz schwierigen Marktbedingungen auf Expansion. Er erklärt, was Panerai vor anderen Uhrenmarken unterscheidet und was geschieht, wenn zwei Panerai-Träger aufeinandertreffen.

Herr Pontroué, das erste Halbjahr lief für viele Uhrenhersteller nicht allzu gut. Sind Schweizer Uhren nicht mehr ­gefragt?

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir nach Corona einen unglaublichen Nachfrageboom hatten. Es war klar, dass dies nicht ewig so weitergehen konnte. Wir hatten deshalb nun einige rückläufige Monate. Aber im Juli waren die Exportzahlen bereits wieder über Vorjahr.

Also alles gut?

Die Märkte sind schwieriger geworden, und die Spekulation mit Uhren hat aufgehört. Aber im Gegensatz zu anderen Branchen ist unser Geschäft keineswegs am Kollabieren.

Gilt das auch für das Geschäft in China?

China ist tatsächlich eine grosse Herausforderung, und dies schon seit einigen Monaten. Wir haben das Glück, dass unser Nummer-eins-Markt die USA sind, und dort läuft es gut. In Japan und Italien ebenfalls.

Auch Panerai hat viel investiert in China. Glauben Sie an eine baldige Erholung?

Ich bin ein Optimist. Es gab in den vergangenen Jahren ein ständiges Auf und Ab. Aber im Grundsatz haben wir ein Land mit 1,4 Milliarden Leuten und mit einer wachsenden Mittelklasse, die einen starken Appetit auf westliche Luxusgüter hat.

Wie haben Sie auf die Abschwächung reagiert?

Man muss viel härter arbeiten für das gleiche Resultat. Aber wir bleiben bei unserer Expansionsstrategie. Bis Weihnachten werden wir zehn neue Läden ­eröffnen: von einem zweiten Geschäft in Mailand über Boston bis Honolulu. In vielen Schlüsselstädten sind wir bis jetzt noch gar nicht vertreten.

Können Sie so viel investieren in guten Zeiten?

Für eine Boutique brauchen Sie mindestens 18 Monate Vorlauf. Die Orte, die wir jetzt eröffnen, sind seit Ende 2022 auf der Liste. Am schwierigsten ist es, den richtigen Standort zu finden; wenn wir den haben, dann legen wir auch los. Nicht überall bedeutet das riesige Investitionen: Zwei Drittel unserer Boutique-Projekte machen wir mit Fachhändlern.

Wie entscheiden Sie, wo Sie neue Boutiquen eröffnen?

Weil wir Teil einer grossen Gruppe sind, wissen wir genau, welche Märkte stark wachsen und welche langsamer. Auf dieser Basis können wir dann entscheiden, in welchem Land oder in welcher Stadt wir ausbauen wollen.

Suchen Sie Ihre Standorte selber, oder läuft das auf Gruppenebene?

Die Immobilienabteilung von Richemont hat unsere Wunschliste. Manchmal warten wir mehrere Jahre, bekommen zu grosse oder zu kleine Standorte angeboten. Und plötzlich kommt der richtige. Dann müssen wir uns innert Wochenfrist entscheiden.

Die anderen Richemont-Marken suchen auch Standorte. Konkurrenzieren Sie sich gegenseitig?

Erinnern Sie sich an die Zeit, als Sie noch ein Kind waren? Es ist ein wenig wie damals an Weihnachten. Sie geben Ihren Eltern einen langen Wunschzettel, Ihre Geschwister ebenfalls, aber es ist klar, dass nicht all Ihre Wünsche erfüllt werden.

Wollen Sie nur noch Monobrand-­Boutiquen?

Es ist falsch, zu glauben, dass es nur noch Monobrand-Stores geben wird. Unsere Erfahrung zeigt: Wenn eine Stadt in Sachen lokale Bevölkerung und Touristen gross genug ist, dass sich eine Boutique rentabel betreiben lässt, dann ist die Boutique die beste Lösung. In vielen ­Städten in der Schweiz und der Welt ist der Multimarken-Fachhandel die einzige und beste Option.

Was unterscheidet Panerai von anderen Uhrenmarken?

Ihr Design ist unverwechselbar. Viele behaupten, man erkenne eine Panerai aus fünfzig Metern Entfernung. Zudem hat die Marke nach wie vor etwas Insiderhaftes, da wir zwar zu den Top-15-, aber nicht zu den Top-3-Uhrenmarken gehören. Wenn zwei Panerai-Träger aufeinandertreffen, entsteht typischerweise ein Gespräch. So ist die Community der ­Paneristi entstanden.

Das ist ein Klub mit rund 30 000 Panerai-Liebhabern. Tauschen Sie sich mit diesen Fans aus?

Die Paneristi organisieren jedes Jahr ihren sogenannten P-Day, einen dreitägigen Event, an dem jeweils rund 250 Paneristi aus aller Welt teilnehmen. Anfang Oktober findet der nächste P-Day in Kuala Lumpur statt. Ich werde dort einen Abend bestreiten. Da kann ich die Teilnehmer treffen und ihnen zeigen, was wir im kommenden Jahr vorhaben.

Was sagen Sie den Paneristi zu den modernen Uhren, mit denen Sie Ihr Sortiment ergänzt haben?

Die Paneristi sind Puristen. Für sie muss eine Panerai mindestens 44 Millimeter gross sein, mit Handaufzug, ohne Datum, schwarzes Zifferblatt. Wir brauchen aber auch kleinere und elegantere Uhren im Sortiment, nicht zuletzt um die weibliche Kundschaft zu erreichen. Deshalb hat mein Vorgänger die Modellreihe Luminor Due mit 38-Millimeter-Modellen lanciert. Ich versuche, den Paneristi jeweils zu erklären, warum wir etwas machen. Die Marke kann nicht nur von dieser Fangemeinde leben. 80 Prozent des Geschäfts machen wir mit neuen Kunden. Auch viele Sammler sind im Übrigen keine Paneristi.

Sie sind seit 2018 bei Panerai. Was haben Sie an der Produktpalette verändert?

Seit fünf Jahren haben wir Kollektionen in limitierter Auflage, die wir als Experience-Uhren bezeichnen. Wer diese Uhren kauft, bekommt Zugang zu einem aussergewöhnlichen Erlebnis. Die Käufer unserer im Frühling lancierten Submersible Luna Rossa Tourbillon GMT beispielsweise waren Anfang September drei Tage mit uns in Barcelona. Sie durften dort hinter die Kulissen schauen, die Luna-Rossa-Crew ­kennenlernen und das Rennen vom Wasser aus mitverfolgen.

Die Leute zahlen also einen Aufpreis für die Uhr, um an einem Erlebnis teilzunehmen.

Genau. Aber wichtig ist, dass es sich um Erlebnisse handelt, die man typischerweise auch für viel Geld nicht kaufen kann. Eine Reise zum Nordpol mit unserem Markenbotschafter Mike Horn beispielsweise oder ein Training mit den Navy Seals in Florida.

Was bringt das Panerai?

Uhren sind keine Alltagsgüter. Man kauft sie nicht, weil man sie braucht, sondern wegen der damit verbundenen Emotionen. Ein spezielles Erlebnis löst starke Emotionen aus. Das bindet die Kunden an die Marke und verbindet sie auch untereinander. Ich beobachte das jedes Mal bei diesen Events. Am Anfang kennen sich die Teilnehmer kaum, und nach kurzer Zeit haben sie ihre eigene Whatsapp-Gruppe.

Sind Sie als CEO typischerweise ebenfalls dabei?

Nicht immer, aber beim ersten Mal und bei einmaligen Erlebnissen versuche ich jeweils teilzunehmen. Die Kunden möchten auch gerne die Menschen ­hinter der Marke kennenlernen.

Dann haben Sie also auch schon ein Navy-Seals-Training hinter sich?

Ja, das ist heftig. Das Programm beginnt um 5 Uhr 30 in der Früh, man wird militärisch angeredet und erhält entsprechende Befehle – in dem Ton, der dort üblich ist. Wir machen den potenziellen Teilnehmern vorher klar, dass sie nur dabei sein können, wenn sie hundertprozentig fit sind, denn es ist körperlich extrem fordernd. Sie müssen sich auch vorbereiten: Vier Monate vor dem Event erhalten sie von uns ein detailliertes Trainingsprogramm, das sie durchführen sollten, um sich in Form zu bringen. Zudem werden sie unmittelbar vor dem Start vor Ort noch einmal medizinisch getestet.

Ihre Uhren überleben ein solches Abenteuer ebenfalls?

Selbstverständlich. Unsere Uhren müssen extreme Crash-Tests überstehen, ­bevor sie auf den Markt kommen. Wir haben deshalb fast keine Garantiefälle, obschon wir acht Jahre Garantie geben.

Panerai: Italienisches Design und Schweizer Uhrmacherkunst

Die Officine Panerai wurden 1860 von ­Giovanni Panerai in Florenz als Uhrenladen, Werkstatt und Schule gegründet. 1938 erhielt das Familienunternehmen von der italienischen Marine den Auftrag, eine Taucheruhr zu entwickeln, die ­besonders gut ablesbar und zuverlässig sein sollte. Da Panerai das technische Know-how fehlte, bezog man die Uhren von Rolex und ergänzte sie mit eigenen Zifferblättern, auf denen die zuvor entwickelte Leuchtmasse Radiomir verwendet wurde.

Lange ein Nischenprodukt, erlangte Panerai internationale Bekanntheit, als Sylvester Stallone Mitte der 1990er Jahre in Florenz zufällig auf die grossformatigen Uhren stiess. Er kaufte mehrere Modelle, schenkte sie Hollywoodfreunden und trug eine in seinem Film «Daylight». Dies machte die Marke für Luxuskonzerne interessant, und 1997 übernahm Richemont Panerai für rund eine Million Euro, womit die globale ­Expansion begann.

Bis heute setzt Panerai auf das traditionelle Design. 90 Prozent der Uhren haben den markanten Hebel, der die Krone schützt und vor Wasser ­sichert. Neben den klassischen 44-Milli­meter-Uhren gibt es nun auch elegantere 38-Millimeter-Versionen. Die Werke der rund 67 000 jährlich produzierten Uhren stammen heute aus der ­eigenen Manufaktur in Neuenburg. Seit 2018 führt der 60-jährige Jean-Marc Pontroué die Marke.

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