Dienstag, November 26

Rezessionsängste in den USA und Enttäuschungen bei den US-Tech-Giganten lassen die Aktienmärkte auf breiter Front einbrechen.

Die Sommerpause ist an den Börsen definitiv vorbei. Wegen schwacher US-Wirtschaftsdaten und wenig überzeugender Zahlen einiger amerikanischer Tech-Riesen wie Amazon oder Intel ist die Angst an die Börsen zurückgekehrt. Die Aktienmärkte gaben am Freitag rund um den Globus deutlich nach.

Es geht die Angst um, dass sich in den USA ein Konjunkturabschwung anbahnt. Die US-Notenbank könnte mit ihrer für September in Aussicht gestellten Zinssenkung zu spät kommen, um eine sanfte konjunkturelle Landung zu garantieren. Der grössten Volkswirtschaft der Welt könnte eine ausgewachsene Rezession drohen.

Der am Freitag veröffentlichte schwache Arbeitsmarktbericht der USA bot zusätzliche Argumente dafür, dass die amerikanische Wirtschaft nicht so robust ist, wie Marktbeobachter stets bekräftigen. Statt 175 000 Stellen entstanden im Juli lediglich 114 000 neue Jobs. Nach dieser negativen Botschaft rutschten die gebeutelten Börsen-Indizes weiter ab.

Die Nervosität an den Märkten hatte bereits zuvor messbar zugenommen. Der Volatilitätsindex (VIX), der als «Angstbarometer» der Börsen betrachtet wird, ist in den letzten vier Wochen um fast 70 Prozent gestiegen und steht deutlich höher als im langjährigen Mittel.

Am Freitag sackten zuerst die Börsen in Asien deutlich ab. Der japanische Leitindex Nikkei 225 verlor fast 6 Prozent, das ist der zweitschlechteste Handelstag seit dem Schwarzen Montag im Jahr 1987. Auch für asiatische Börsen wie den Kospi in Südkorea, den Hang Seng in Hongkong und an den chinesischen Märkten ging es abwärts. Die Aktie des grössten und wichtigsten Chip-Herstellers der Welt, TSMC aus Taiwan, verlor 6 Prozent an Wert.

Schweizer Börse stark betroffen

Der Ausverkauf setzte sich in Europa fort. Sowohl für die deutsche Hauptbörse DAX als auch die Aktienmärkte fast aller europäischen Länder ging es nach unten. Auch die US-Indizes S&P 500 und Nasdaq eröffneten deutlich im Minus.

Besonders schlecht erging es dem sonst als widerstandsfähig geltenden Schweizer Blue-Chip-Index SMI – er verlor zeitweise noch mehr als die anderen europäischen Börsen. Hier belasteten vor allem die Kurseinbrüche konjunktursensitiver Aktien wie ABB, Holcim oder UBS, die zeitweise bis 9 Prozent einbüssten.

Grund für den verhältnismässig starken Rückgang des SMI sei der Schweizerfranken, der in unsicheren Zeiten eine Fluchtwährung sei, sagt Christian Gattiker, Leiter Research bei der Bank Julius Baer: «In Dollar gerechnet, bietet sich ein weniger deutliches Bild.» Auch wenn der SMI von eher stabilen Pharma-Werten wie Roche und Novartis sowie Nestlé getragen wird, scheint die defensive Ausrichtung des Index auf kurze Sicht nicht zum Tragen zu kommen.

Gemäss Gattiker herrschen derzeit die konjunkturellen Sorgen vor. Schon der US-Vorlaufindikator für die Industrie sei diese Woche auf Rezessionsniveau gefallen, sagt der Marktexperte. «Das befeuert Ängste vor einem wirtschaftlichen Rücksetzer zur Unzeit», zumal im Hochsommer die Handelsvolumen saisonal bedingt sehr dünn sind. Hinzu kommt der Konflikt im Nahen Osten, wo eine schnelle Gegenreaktion erwartet wird und die Nervosität der Marktteilnehmer zusätzlich ansteigt.

Die KI-Euphorie ist vorbei

Nebst den konjunkturellen Sorgen ist auch Ernüchterung bei den Aussichten für die grossen Tech-Aktien eingekehrt – die grosse KI-Euphorie an den Börsen ist vorbei. Das Aktienrally der vergangenen Monate wurde von wenigen amerikanischen Mega-Caps wie Nvidia, Microsoft oder Alphabet getragen. Sie gelten als die grössten Profiteure des gegenwärtigen Booms bei der künstlichen Intelligenz (KI) und waren bei Anlegern entsprechend beliebt.

Doch hier hat der Wind gedreht. Die enormen Investitionen, welche die Tech-Konzerne in KI tätigen, werden nun vor allem auch als Belastung gesehen. Microsoft allein will dieses Jahr 45 Milliarden Dollar in den Ausbau seiner KI-Fähigkeiten stecken. Wesentlich zur Gewinnentwicklung trägt KI aber noch bei keinem der Tech-Giganten bei. Ob und wann sich das ändern wird, weiss niemand. Hinzu kommen die mittlerweile sehr hohen Erwartungen der Finanzgemeinde, die kaum mehr zu übertreffen sind.

So fielen in dieser Woche auch die Reaktionen auf die vorgelegten Quartalszahlen der Tech-Konzerne – ausser bei Meta – durchs Band negativ aus. Dabei verloren auch die Titel wichtiger Technik-Zulieferer für KI aus der zweiten Reihe wie ARM oder ASML stark an Wert. Aber auch die grössten Tech-Aktien der «Magnificent 7» leiden weiter. Amazon – seines Zeichens wichtigster Online-Händler und Cloud-Anbieter der Welt – verlor am Freitag sogar im zweistelligen Bereich. Er konnte seine Gewinnprognose nicht halten.

Für einen regelrechten Schock sorgte der Chiphersteller Intel. Dieser verfehlte die Markterwartungen ebenfalls und kündigte ein umfassendes Sparprogramm an: 15 000 Stellen oder 15 Prozent der Belegschaft soll abgebaut werden, die Dividende wird gestrichen. Die Aktien verloren am Donnerstag fast ein Fünftel und gaben am Freitag weiter nach.

Und sogar der bis anhin grösste Nutzniesser der KI-Euphorie, der amerikanische Chip-Entwickler Nvidia, verliert schnell an Glanz. Die Aktien sind seit ihrem Rekordhoch im Juni ebenfalls fast ein Fünftel weniger wert. Nvidia wird am 28. August Quartalszahlen vorlegen. Auch hier sind die Erwartungen enorm hoch, entsprechend ist auch die Fallhöhe.

Das Motto ist: «Sell the rally»

«Die Stimmung ist sehr fragil», sagt Martin Wullschleger, Anlageexperte bei Belvédère Asset Management. So habe die grosse Volatilität bei grossen Titeln wie Nvidia nun spürbar schlechte Auswirkungen. So verlor Nvidia am Donnerstag sieben Prozent, nachdem es Mitte Woche 13 Prozent gewonnen hatte. Im Klartext: Zuerst wurden Dutzende Milliarden an Börsenwert geschaffen, um am Tag darauf wieder vernichtet zu werden. Auch die Rotation weg vom Tech-Sektor in andere, zinssensitivere Bereiche habe vor zwei, drei Wochen begonnen. Auch das belastet die Tech-Werte jetzt.

Zudem vermutet Wullschleger, dass Hedge-Funds den Negativtrend wegen der neuen Stärke des japanischen Yens verstärken. Diese müssen ihre Wetten, die sie durch Kredite finanziert haben, eindecken. Der Yen hat sich seit dem letzten Höchst am 10. Juli gegenüber dem Dollar um über acht Prozent aufgewertet.

Hinzu kommen verhaltene Aussichten für den Konsum in China und in den USA, wo auch die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen für Verunsicherung sorgen. «Die aktuelle Konstellation ist ungünstig. Das könnte eine sehr holprige Phase an den Börsen einläuten», sagt Wullschleger. Das Motto lautet jetzt deshalb: «Sell the rally», also Gewinne realisieren.

Umschichtungen wenig sinnvoll

Auch Christian Gattiker geht davon aus, dass nach einem starken Aktien-Rally, das bis in die zweite Julihälfte gelaufen ist, nun eine «Phase der Konsolidierung» eintreten könnte. «Mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahlen ist mit weiteren Gewinnmitnahmen und Umschichtungen aus Tech-Aktien zu rechnen», sagt er. Das Problem ist jedoch, dass genau diese Aktien als «Zugpferde für den gesamten Markt» fungierten. Läuft es bei denen nicht mehr, geraten alle in Schwierigkeiten.

Doch was bedeutet der Einbruch für Privatanleger? Sollten auch sie schnell noch Aktien verkaufen, bevor es zu spät ist und die Börsen vollends einbrechen? Anlageprofi Gattiker findet, dass kurzfristige Anpassungen im Portfolio keinen Sinn machen. Im Gegenteil, viele Privatanleger seien bisher zu wenig stark in Sektoren wie Technologie engagiert gewesen. Die derzeitige Kontraktion könnte insofern ein Einstiegschancen bieten – aber erst nachdem die Turbulenzen um die Wahlen in den USA vorbei seien.

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