Montag, November 17

Bei der Wiedereröffnung der Pariser Kathedrale Notre-Dame war Papst Franziskus der grosse Abwesende gewesen. Nur eine Woche später besucht er Korsika. Manche lesen darin eine bewusste Distanzierung von Frankreich – und dessen Regierung. Die Korsen waren erfreut.

Papst Franziskus hat den Sonntag auf Korsika verbracht. Mit seinem «Hirtenbesuch» in Ajaccio wollte Franziskus eine von den Korsen mit grossem Eifer zelebrierte Religiosität würdigen, die sie, unterstützt von achtzig katholischen Bruderschaften und bis in die kleinsten Dörfer mit unzähligen Prozessionen, Festen für Heilige und namentlich den sehr religiös geprägten polyfonen Chorgesängen praktizieren. Mehrfach hielt das Papamobil auf dem Weg zur Kathedrale, damit der Papst die zahlreichen Gläubigen am Strassenrand begrüssen konnte. Er segnete Babys und eine 108-Jährige und genoss trotz seiner körperlichen Schwäche den frenetischen Empfang durch die Bevölkerung. Am Nachmittag zelebrierte er auf einem Gelände oberhalb von Ajaccio eine Messe mit 9000 Gläubigen.

Macron enttäuscht über Absage aus Rom

Der eigentliche Anlass für seine Reise war eine Einladung des Erzbischofs von Ajaccio, um bei einem Kolloquium über die «volkstümliche Religiosität im Mittelmeerraum» die Schlussrede zu halten. Der Papst sprach sich bei dieser Gelegenheit für eine «evolutive» Laizität aus mit einer aktiven und «konstruktiven» Teilnahme der Christen in der Gesellschaft «an der Seite der weltlichen, zivilen und politischen Institutionen». In einer unüberhörbaren Anspielung auf die in Frankreich gängige Trennung von Kirche und Staat, die die Konfessionen im Namen der Toleranz weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannen möchte, sagte er: «Der Glaube ist nicht eine Privatangelegenheit, die sich auf das Sanktuarium des Gewissens beschränkt.»

Dass der Papst eine Woche zuvor bei der Wiedereinweihung der renovierten Kathedrale Notre-Dame in Paris nicht anwesend war – er hatte lediglich eine Grussbotschaft geschickt –, betrachteten vor allem antiklerikale Kreise, aber auch ein Teil der Katholiken der Hauptstadt als gezielten Affront. Offensichtlich wollte Franziskus nicht als Statist bei einer von Präsident Emmanuel Macron dominierten Eröffnungszeremonie mitwirken. Die bereits akzeptierte Einladung nach Korsika war eine gute Ausrede. Doch Macron war sehr enttäuscht.

Dass sich der französische Präsident bei der Einweihung von Notre-Dame dann effektiv als «Retter» der Kathedrale in den Vordergrund stellte und den Anlass nutzte, um mit der Organisation eines Minigipfels mit Donald Trump und Wolodimir Selenski einen diplomatischen Coup zu landen, bestätigte allerdings nur die klerikalen Befürchtungen. Kardinal François-Xavier Bustillo, der Erzbischof von Ajaccio, möchte deswegen aber nicht von einer Verstimmung sprechen. «Gewisse Medien, vor allem in Italien, wollen den Papst als Gegner des Präsidenten der Republik sehen oder reden gar von einem Konflikt . . . was nicht der Realität entspricht», dementierte der Gastgeber vom Sonntag. Sicher ist, dass Franziskus im Gegensatz zu seinen Vorgängern keine besondere Vorliebe für das Land hat, das sich im 19. Jahrhundert noch gern als «die älteste Tochter der Kirche» bezeichnet hatte.

Explizit kein Staatsbesuch

Der französische Vatikan-Experte und Religionshistoriker Odon Vallet sieht in Franziskus einen «Papst der Peripherie», das heisst einen Papst, der sich mehr der südlichen Hemisphäre zuwendet. Entsprechend habe dieser in Hinblick auf seine eigene Nachfolge auch das Gewicht der europäischen Kardinäle wesentlich verringert. Denn das «weitgehend entchristianisierte alte Europa» stelle nur noch etwa 20 Prozent der katholischen Gläubigen der Welt dar.

Franziskus verfolgt trotz seinen eher fortschrittlichen Äusserungen zu gewissen Gesellschaftsfragen bestimmte Reformen und Reformprojekte in Frankreich – wie beispielsweise die Liberalisierung der Sterbehilfe – mit Skepsis. Im Vorfeld des Besuchs auf der Mittelmeerinsel wurde sogar kurzerhand gesagt, Franziskus liebe Frankreich nicht. Dafür gibt es Indizien: Er sei in Marseille, aber sei «nicht nach Frankreich gekommen», hatte er bei seiner Visite im September 2023 ausdrücklich gesagt. Und auch dieses Mal, so präzisierte der Vatikan, handle es sich beim Besuch in Ajaccio nicht um einen «Staatsbesuch» in Frankreich.

Präsident Macron musste sich also seinerseits nach Korsika bemühen, um den Papst zu treffen. Dieser gewährte ihm am Ende seines Besuchsprogramms eine kurze Unterredung auf dem Flugplatzgelände. Danach flog er nicht mit einer Maschine der Air France heim, wie dies eigentlich üblich wäre, sondern mit Air Corsica. Die korsischen Nationalisten jubilierten. Die Würdigung ihres religiösen Brauchtums durch Franziskus war für sie ein Segen für ihre Kultur und ihre Eigenheit.

Exit mobile version