Montag, September 30

Frömmigkeit allein reicht nicht mehr.

Die Erkenntnis der Studie war erschreckend: Über Jahrzehnte hinweg haben sich katholische Geistliche in der Schweiz an Minderjährigen und Erwachsenen vergangen. Auf 1002 Fälle stiessen die Historikerinnen Monika Dommann und Marietta Meier in ihrem Pilotprojekt «Zur Geschichte sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz», das im Auftrag der Kirche durchgeführt wurde.

Was die Studie auch aufzeigte: Der Opferschutz schien die Kirche nicht besonders zu interessieren. Die Täter hatten kaum Konsequenzen zu befürchten – sie wurden einfach in andere Bistümer im In- oder Ausland versetzt.

Im Nachgang zu Studie kündigten Vertreter der römisch-katholischen Kirche Massnahmen an, «um die Risiken für weitere Missbräuche zu minimieren und deren Vertuschung zu verhindern». Am Montag haben der Kanton und die Katholische Kirche erklärt, wie diese Massnahmen in der Region Zürich aussehen sollen. Bemerkenswert daran ist: Der Umgang mit Missbrauchsopfern soll in Zukunft keine rein kirchliche Angelegenheit mehr sein.

Simon Spengler, Kommunikationschef bei der katholischen Kirche des Kantons Zürich, sagt: «Es kommt zu einem Paradigmenwechsel».

Kirchliche Opferhilfe führt keine Beratungen mehr durch

Konkret sollen Opferhilfe und Meldestellen klar voneinander getrennt werden. Künftig werden Personen, die sich bei einer kirchlichen Stelle melden, nicht mehr dort beraten, sondern an die kantonale Opferhilfe verwiesen. Denn die bisherigen Verflechtungen waren problematisch: «Mitarbeitende von kirchlichen Meldestellen waren oft mit den Tätern bekannt. Sie standen unter Generalverdacht, parteiisch zu sein», sagt Spengler. «Ausserdem waren die Strukturen in jeder Diözese wieder etwas anders.»

Wie die kantonale Direktion der Justiz und des Innern mitteilt, können sich Opfer von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Umfeld schon heute an die anerkannten kantonalen Beratungsstellen wenden. Die neue Zusammenarbeit zwischen Kanton und Kirche startet nächstes Jahr. Ab dann wird der Kanton pro Fall mit einer Pauschale von 1500 Franken entschädigt. Die Kirche selbst wird die kantonalen Stellen bei Fragen zu innerkirchlichen Strukturen unterstützen. Dafür schafft sie eine nationale Informations- und Koordinationsstelle.

Frömmigkeit allein reicht nicht als Kriterium

Eine weitere Neuerung betrifft die Ausbildung von Seelsorgern. Künftig müssen sich angehende Seelsorgerinnen und Seelsorger extern durchchecken lassen, ob sie für diese Aufgabe überhaupt geeignet sind und sie diesen Dienst überhaupt antreten können.

Dafür sollen einheitliche psychologische Abklärungen und einheitliche Standards entwickelt werden. An deren Ausarbeitung sind der forensische Psychologe Jérôme Endrass, stellvertretender Leiter des Zürcher Amts für Justizvollzug und Wiedereingliederung, und sein Team beteiligt. Die Beurteilungen werden ebenfalls ab nächstem Jahr durchgeführt.

Dieser Prozess dürfte für die Verantwortlichen in der Kirche ungewohnt sein, um es vorsichtig auszudrücken. Bisher habe der Regens, also der Leiter des jeweiligen Priesterseminars, zusammen mit dem Bischof darüber befunden, ob eine Person geeignet sei für die Seelsorge, sagt Simon Spengler. «Entscheidend soll aber nicht sein, wie fromm jemand ist, sondern ob er eine gesunde Persönlichkeitsstruktur hat», sagt Spengler.

Teilweise wird das schon umgesetzt. Der Bischof Joseph Bonnemain habe schon einige Anwärter in ein externes Assessment geschickt. Noch unklar ist, ob auch bereits praktizierende Seelsorger einen Eignungstest absolvieren sollen.

Die Öffnung geschehe bewusst, sagt Spengler. «Die Kirche kann von der externen Expertise profitieren.» Innerkirchliche Entscheide nach aussen zu vergeben, bedeutet aber auch, Verantwortung und damit Macht zu verlieren. Dieser Schritt sei kaum allen Beteiligten leicht gefallen. «Aber jetzt stehen alle Kantonalkirchen und Bischöfe dahinter.»

Die Fälle, die in der Studie nachgewiesen werden konnten, seien «nur die Spitze des Eisbergs», hielten die beiden Professorinnen letztes Jahr fest. Zahlreiche Archive hätten nicht ausgewertet werden können. Gemäss Mitteilung des Kantons überarbeiten das Staatsarchiv und die Römisch-katholische Kirchenschaft des Kantons Zürich eine Vereinbarung, welche die Archivierung der Akten der Kirche und weiterer Institutionen regelt. Zudem hat die Kirche eine Analyse zur Rechtsgrundlage in Auftrag gegeben.

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