Donnerstag, Januar 9

Die erfolgreiche Dating-Show «Love Is Blind» auf Netflix gibt es nun auch in Deutschland. Kann man sich verlieben, ohne den anderen zu sehen? Was sich sagen lässt: Flirten geht besser.

Das Dating heute soll so kaputt sein, dass es lauter Desillusionierte zurücklässt. Jeder stellt sich auf Dating-Apps wie Tinder so dar, wie er gerne wäre, aber nicht ist. Angefangen beim Äusseren, dem mit Weichzeichner nachgeholfen wird.

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Das kann zur Folge haben, dass jemand schon beim ersten Treffen rechtsumkehrt macht, sobald er sein Date von weitem erblickt. Ghosting nennt man diesen Abgang auf Nimmerwiedersehen. In diesem Fall hat man noch nicht einmal zwei Worte in echt gewechselt.

Und noch etwas bringt das lieblose Anbändeln mit sich: Heute hat man oft Sex, bevor eine Beziehung beginnt. Man geht schon beim ersten Date miteinander ins Bett. Ist der Sex gut, sieht man sich wieder. Wenn nicht, wird man vom anderen aus dessen Leben gelöscht.

Das Geheimnis hinter der Wand

Weil Beziehungen dermassen kompliziert geworden sind bei gleichbleibender Sehnsucht nach der Liebe, sind Dating-Shows wie «Love Is Blind» so erfolgreich. Die Netflix-Serie zelebriert den achtsamen Anfang oder tut zumindest so: 15 Frauen und 15 Männer lernen sich kennen, ohne dass sie sich gegenseitig sehen. In immer neuen Kombinationen sitzen sich die paarungswilligen Kandidatinnen und Kandidaten in Kabinen gegenüber, getrennt durch eine Wand.

Man nähert sich im Gespräch dem anderen an, macht sich interessant durch Worte, die Stimme, das Lachen nach jedem Satz. Am Ende der Dating-Phase wählen sich zwei Kandidaten, es kommt zur Verlobung, erst danach sieht sich das Paar. Dieser Moment, wenn sich die Tür öffnet, gehört zum Besten der Reality-Show: Denn ein Gesicht kann Überraschung, Begeisterung oder Enttäuschung schlecht verbergen.

Der Voyeurismus kommt auf seine Kosten, dabei schämt man sich immer auch etwas fremd: Zum Glück stehe ich nicht dort. Da schluckt ein zuvor komplett Verliebter schon einmal leer beim Anblick seiner Verlobten, die er sich ganz anders vorgestellt hat.

Um die These zu testen, dass Liebe blind sei, begleitet die Show die Paare danach in die Liebesferien, wo sie nun erstmals Bad und Bett teilen. Danach folgt das Zusammenleben im Alltag. Am Ende schreiten sie vor den Traualtar, und jetzt geht es um alles. Sagen sie Ja?

Dosierter Gefühlsausdruck

In den USA ist das Original von «Love Is Blind» vor fünf Jahren gestartet, vor kurzem strahlte Netflix die 7. Staffel aus. Die Kuppel-Show wurde inzwischen für England, Japan, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Schweden und die Vereinigten Arabischen Emirate adaptiert.

Und jetzt also Deutschland. Was lässt sich nach den vier ersten Folgen sagen? Die Deutschen flirten verhalten, sie sind gehemmter als die Amerikaner, für die schon Sympathie ein Gefühlszustand ist, dem sie überschwänglich Ausdruck verleihen.

Während die Kandidaten in der amerikanischen Serie bald schon jeder zweiten Aussage ein «Ich liebe dich» anfügen, ist man hier sparsamer. Bisher hat kein deutsches Paar die drei Wörter über die Lippen gebracht.

Intensität durch Zurückhaltung statt Abnutzung durch Wiederholung, so könnte man die zwei verschiedenen Liebesstile nennen. Unsympathisch ist die Reserviertheit nicht. Vielleicht ist ein Kandidat, der schüchtern von sich sagt, er könne sich nicht so gut öffnen, nur nicht so geeignet für eine Show, die von der Selbstentblössung lebt.

Auf diese Weise in sich verknotet wirkt Pascal, 32, ein IT-Projektmanager. Immer leicht überfordert. Hanni, 27, eine blonde, fröhliche Immobilienmaklerin, hat noch nie einem Mann gesagt, dass sie ihn liebe. Dies fordert den Ehrgeiz ihres Dates Daniel erst recht heraus, der schliesslich hinter der Wand vor ihr auf die Knie geht.

Aus demselben Grund wie Hanni ist Tolga in der Show, ein 33-jähriger Versicherungsmanager, schwarze Haare, grüne Augen: Er werde «immer auf die Optik und irgendwelche Statussymbole» reduziert. Hinreissen lässt sich Tolga so wenig wie Hanni. Er ist ein Zauderer, dem die Haltung «Was er hat, das will er nicht, und was er will, das hat er nicht» bei der Partnersuche im Wege steht.

Sie strahlt, er schaut gequält

Mit Sheila, für die er sich entscheidet, ist ihm bald «unwohl». Das sagt er nicht ihr, sondern seinen Kollegen. Er fühle sich, «als hätte ich eine Hand an meinem Hals, und ich kriege keine Luft». Ein paar Bartische entfernt schwärmt Sheila den anderen Frauen vor, wie sehr es passe zwischen ihnen. Sie strahlt, er schaut gequält.

Da befinden sich alle Paare bereits in den Liebesferien auf Kreta, der Himmel ist grau, das fröstelnde Klima überträgt sich auf die Beziehungen, in denen ein Funkeln fehlt. Kreta ist nicht die Karibik, wohin es in der amerikanischen Version von «Love Is Blind» jeweils geht.

Dank der Show fanden sich schon zahlreiche Paare, die sogar geheiratet haben. Doch die Behauptung, Liebe sei blind und das Aussehen nebensächlich, ist auch bei glücklichem Ausgang verlogen.

Zwar weckt das Dating ohne Gesicht die Illusion, da interessiere sich jemand wahrhaftig «für die Person, die ich wirklich bin», wie die Kandidaten sagen. Man fühlt sich «gesehen». Man ist beeindruckt von der eigenen Tiefgründigkeit. Um schliesslich festzustellen, dass der Mensch ein Augenwesen ist. Unterschiedslos und in jeder Kultur.

Love Is Blind: Germany | Offizieller Trailer | Netflix

«Love Is Blind Germany». Neue Folgen ab Freitag auf Netflix.

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