Der Besucherrekord auf den Kanarischen Inseln zeigt seine Schattenseiten. Wohnraum und Wasser werden knapper, die heimische Bevölkerung leidet. Kreative Lösungen sind nicht in Sicht. Der Tourismus ist und bleibt vorerst die wichtigste Einnahmequelle.
Der Karneval auf den Kanarischen Inseln gehört zu den besten der Welt und ist fast ebenso berühmt wie der von Rio de Janeiro oder Venedig. Auch dieses Jahr wurde im Inselreich kräftig gefeiert, doch die Töne der Narren klangen diesmal ganz besonders zynisch: «Man jagt uns aus unserer Heimat raus, dafür geniessen die Touristen den All-inclusive-Schmaus», trällerte – grob übersetzt – eine der zahlreichen Karnevalsgesellschaften in Santa Cruz de Tenerife.
Die Botschaft ist klar: Jedes Jahr kommen mehr Touristen, während die Lebensqualität der Menschen auf den Inseln im Atlantik sinkt, denn es wird nicht nur enger, sondern auch der Immobilienmarkt wird aufgemischt. Laut dem Portal Idealista.com sind die Mieten auf den Kanaren im letzten Jahr im Schnitt um 21,5 Prozent gestiegen, die Preise für Häuser und Apartments kletterten um 20 Prozent. Bei den niedrigen Löhnen wird es für die Einheimischen immer schwieriger, mit den reichen Zuzügern aus Europa mitzuhalten. An eine eigene Wohnung ist für die meisten jungen Menschen nicht zu denken.
Mehr Touristen als vor der Pandemie
Doch auch die Feriengäste, die nur wenige Wochen bleiben, machen den Insulanern zu schaffen. Wegen mangelnden Schneefalls und fehlender Alternativen kamen dieses Jahr ungewöhnlich viele Gäste aus Europa schon früher als sonst. Allein im Dezember landeten 1,37 Millionen Touristen auf den Kanarischen Inseln – 12,6 Prozent mehr als im Dezember 2022. Das war die Krönung für ein Rekordjahr in ganz Spanien. Tourismusminister Jordi Hereu freute sich an der diesjährigen Fachmesse Fitur über 85,1 Millionen Touristen in ganz Spanien, fast 14 Millionen von diesen entfielen auf die Kanarischen Inseln. «Damit hatten wir mehr Feriengäste als vor der Corona-Pandemie», so der Minister.
Auch im laufenden Jahr rechnet man mit weiterem Wachstum. Der Branchenverband Turespaña erwartet jetzt schon einen zweistelligen Anstieg der Besucherzahlen im ersten Quartal.
Immer neue Hotels und Resorts
Diese Entwicklung lässt nicht nur bei den Bewohnern der Kanarischen Inseln die Alarmglocken schrillen. So riet die britische Zeitung «Daily Mirror» ihren Landsleuten von einem Besuch der Eilande ab. Ein Bericht der spanischen Umweltorganisation Ecologistas en Acción hatte sie wachgerüttelt. «Die Kanarischen Inseln haben die Kapazität dessen, was unser Terrain verträgt, bereits jetzt um das Siebenfache überschritten», hiess es dort.
Schon letzten Sommer hatte das Wasser nicht mehr für alle gereicht. Die Medien berichteten seinerzeit davon, dass etwa in Tarajal de Sancho auf Fuerteventura den Anwohnern das Wasser gekappt wurde, während die Touristen in Hotels und Airbnb-Apartments in trotz Wasserknappheit prall gefüllten Pools Kühlung suchten. Und auf der kleinen Kanareninsel La Palma sorgen die Pläne für den Bau eines sogenannten «Ökoresorts», das 1400 Betten, Golfplatz und 50 Bungalows mit Privatpools haben soll, für Empörung.
Anstatt die Besucherströme zu regulieren, würden immer mehr touristische Infrastrukturen mit ausländischen Geldern angelegt, ohne Umweltauflagen zu beachten, so der Bericht weiter.
Party auf einem Vulkankrater
Das Thema ist heikel, denn jeder vierte Arbeitsplatz ist auf den Kanarischen Inseln vom Tourismus abhängig. Der Sektor steht für 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) der Kanaren und beschäftigt 265 000 Menschen. Aus diesem Grund hüteten sich die Regierung und die Verwaltung davor, Gäste mit Regulierungen und Kontrollen abzuschrecken. Doch diese Nachlässigkeit wird oft ausgenützt. Erst unlängst wurde auf Fuerteventura eine Rave-Party mit deutschem DJ auf einem Vulkankrater mitten in einem Naturschutzgebiet organisiert.
In anderen spanischen Regionen wie etwa auf den Balearen hat man hingegen schon etwas hinzugelernt. Auch dort wurde im letzten Jahr ein neuer Besucherrekord aufgestellt. Laut der spanischen Statistikbehörde Frontur kamen 14,4 Millionen Gäste, 9,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders stark war der Anstieg bei den Schweizern mit 19 Prozent.
Spaniens grösste Hotelgruppe Meliá, die ihren Sitz auf Mallorca hat, warnt vor einem weiteren unkontrollierten Wachstum. «Es geht darum, die ursprüngliche Identität der Ferienziele zu schützen, sonst verlieren sie ihre Attraktivität.» Für einen Hotelier wie Gabriel Escarrer, den CEO der Gruppe, sind dies ungewöhnliche Worte.
Doch die Politiker spielen nicht mit. So will die neue konservative Regierung auf den Balearen alle von der Vorgängerregierung verhängten Moratorien für den Bau von neuen Hotels aufheben, um den Arbeitsmarkt zu beleben. 75 Prozent aller Neubauten auf der Insel sollen zudem trotz Trockenheit und Strand vor der Haustür mit einem Pool ausgestattet werden. Auch für die Mallorquiner sind das keine guten Nachrichten. Overtourism ist dort schon seit Jahren ein Thema. Eines der Beispiele ist die Bucht Caló des Moro in Santanyí, wo die Feriengäste im Sommer laut der spanischen Tageszeitung «El Mundo» lange Schlangen bilden und bis zu drei Stunden auf den Zugang zum Strand warten müssen.