Mittwoch, Januar 15

Die letzte Nacht des Jahres steht bevor. Manche macht das euphorisch. Andere werden unerträglich. Zehn Kategorien lassen sich unterscheiden.

Die Partynudeln

Silvester ist nicht nur die letzte Nacht des Jahres. Für Partynudeln ist es die wichtigste. Mit Abstand! Alle ziehen sich glamourös an, trinken Champagner statt Prosecco. Um Mitternacht herzt man sich kurz – und dann wird bis sechs Uhr morgens durchgefeiert. Mindestens!

Sie wissen genau, was ihnen vorschwebt. Deshalb tagt ein fünfköpfiges, ausschliesslich weibliches Komitee bereits seit Mitte August, um die Riesenfete vorzubereiten. Updates der Vorbereitungen werden regelmässig in der «Lass krachen»-Whatsapp-Gruppe gepostet. Motto: ES MUSS GUT WERDEN!

Die Playlist: KI-optimiert. Sie reicht von Abba über The Weather Girls bis Blurs «Song 2». Madonna soll die Stimmungskurve tragen. Richtung: steil nach oben. Und wehe, irgendwer verlässt die Tanzfläche frühzeitig. Als Dresscode steht auf der Einladung: «Be fabulous»** (** Let’s sparkle!!!). Zu Beginn der Festtage decken sich Partynudeln mit Paillettenkleidern und Glitzer-Make-up ein. Eine hat sogar Gold-Spray für die Haare entdeckt. Kinder, ist das alles aufregend!

Dass sämtliche Mitfeiernden von diesem ES-MUSS-GUT-WERDEN-Hype total genervt sind, merken die Feierfanatikerinnen nicht. Und dass die totorganisierte Party deshalb am Ende ÜBERHAUPT NICHT GUT WIRD, leider auch nicht.


Die Unentschiedenen

Immer das Gleiche. In manchen Jahren passiert gar nichts – und dann bekommt man plötzlich zig Einladungen auf einmal. Für Pärchen, die sich eh schon schwer entscheiden können, ist das der Endjahres-GAU. Diagnose: Fomo («fear of missing out»). Sie haben Angst, etwas zu verpassen.

Also melden sie sich erst mal überall an, legen eine Plus-Minus-Tabelle für die diversen Optionen an und spielen den Abend mehrmals exemplarisch durch:

  • Abendessen bei Annette und Markus.
  • Fondue bei Beat (oder doch nicht?).
  • Hausparty bei den Nachbarn (Migräne vortäuschen, damit wir nach Mitternacht schnell wieder gehen können).
  • Danach mit Schmids und/oder Eggers in diesen neuen Klub.
  • Oder doch bei den Nachbarn bleiben (dann wären wir schneller daheim)?

So oder so müssen die Unentschiedenen unbedingt auf der Hut sein, dass sie in keiner Instagram-Story auftauchen, damit die Geprellten nichts vom Party-Hopping mitbekommen. Klappt natürlich nicht, weshalb die Schmids und/oder Eggers und all die anderen im neuen Jahr erst mal kein Wort mehr mit ihnen reden.


Die Spassbremsen

Für sie ist Silvester nichts anderes als kollektiver Wahnsinn. Als könne man auf Kommando die Sau rauslassen. Spassbremsen, die sich selbst nie als solche bezeichnen würden, lesen lieber ein gutes Buch und gehen dann früh ins Bett, weil sie am nächsten Morgen die Skipiste ganz für sich allein haben wollen. Das ist der wahre Luxus unserer Zeit. So fängt das Jahr gut an!

Dummerweise gibt es immer mehr Menschen, die anscheinend überhaupt keinen Schlaf mehr brauchen und um 8 Uhr ebenfalls an der Gondel stehen. Und das erst noch guter Laune. Und weil Spassbremsen Spassbremsen sind, machen sie bei diesem Anblick kehrt und verkriechen sich beleidigt zu Hause.


Die Alleingebliebenen

Ausgerechnet kurz vor Weihnachten ist der/die Liebste ausgezogen, die besten Freunde sind verreist, die anderen machen Pärchen-Fondue, Horror. Dann lieber allein zu Haus. Mit «Dinner for One» und Partyhütchen im Einzelpack. Alleingebliebene wissen sich zu helfen.

Trübsal blasen? Von wegen! Man kann das auch positiv sehen: Das neue Jahr startet mit einer Eins-a-Me-Time. Nur ich und niemand sonst, der stört. Spätestens ab Mitternacht läuft der Jahreshit «Flowers» von Miley Cyrus in Dauerschleife:

(. . .) I can buy myself flowers
Write my name in the sand
Talk to myself for hours
Say things you don’t understand
I can take myself dancing
And I can hold my own hand
Yeah, I can love me better than you can (. . .)

Yeah, yeah, yeah, nimm das, 2024!


Der Sturzbetrunkene

Das neue Jahr beginnt für ihn mit vielen Fragen: Wie bin ich ins Bett gekommen? Wer liegt da neben mir? Was bedeuten die Buchstaben CR auf meinem linken Arm?

Erst im Laufe des Nachmittags wird sich der Nebel lichten, und alle Peinlichkeiten des Silvesterabends kommen hoch: Wodka-Wetttrinken mit irgendwelchen Niederländern an der Schneebar, Liebesschwüre unterm Sternenhimmel, gemeinsames Do-it-yourself-Tätowieren, vor laufender Überwachungskamera in den Garten des Nachbarn pinkeln. Das Video davon haben die Nachbarskinder natürlich längst auf Social Media geteilt.

Immerhin hat die neue Bekanntschaft, die schon wieder über alle Berge ist, einen nicht im Schnee erfrieren lassen. CR? Clara . . .? Christine . . .?? Chantal . . .??? Ach, egal. Sagen wir Costa Rica! Da könnte man 2024 wirklich mal hinreisen.


Die Selbstoptimierer

Ihre Devise lautet: New Year, New Me. Und um möglichst viel Druck aufzubauen, teilen sie ihre guten Vorsätze ungefragt mit jedem, der sie nicht hören will.

  1. Endlich (wieder) Sport machen. Deshalb gleich zwei Fitness-Abos gekauft: eins in einem Studio bei der Arbeit, eins in jenem um die Ecke von zu Hause.
  2. Detoxen und fleischlos ernähren. Darum zu Weihnachten einen Thermomix gekauft.
  3. Einen Life-Coach engagieren, für die Persönlichkeitsentwicklung.
  4. Netflix abbestellen.
  5. Mehr lesen, dieses Mal aber wirklich.

Durchhalten tun die selbsterklärten Selbstoptimierer das Ganze vier Wochen lang. Immerhin eine mehr als im Vorjahr.


Die Böllerer

Eigentlich hätten sie nur ein paar Raketen und Knallfrösche für die Kinder besorgen sollen. Aber dann entdeckten sie im Baumarkt diese Super-Familienpackung zum Sparpreis, Knallteufelchen und Frauenfürze inklusive. Die zweite Packung kostete sogar nur die Hälfte. Wer kann da widerstehen?

Silvesterfeuerwerk ist das Waffenarsenal des kleinen Mannes. Lärm? Rauch? Umweltverschmutzung? Pff. Für irgendwas zahlt man Steuern: Die Stadtreinigung soll das bitte schön sauber machen am Neujahrstag. Und alle anderen profitieren schliesslich auch davon. Sie lassen zwar keine Raketen steigen, aber um zwölf stehen sie trotzdem auf dem Balkon und bewundern das Feuerwerk, das die Böllerer in den Himmel zaubern.


Die Bleigiesser

Nichts darf man mehr! Nicht mal mehr Blei giessen! In der Schweiz und in der EU ist dieser Silvesterbrauch seit 2018 verboten. Die Chemikalien-Risikoreduktions- beziehungsweise die Chemikalien-Verbotsverordnung hatte etwas dagegen. Klar, man kann auf Zinn oder Wachs umsteigen, aber damit werden die Figuren nie so ausdrucksstark wie mit dem guten alten Schwermetall.

Zum Glück haben leidenschaftliche Bleigiesser (wie ich) vom Hamsterkauf vor dem Verbot noch eine Packung übrig. Vergangenes Jahr zeichnete sich ganz klar ein Elefant ab, das Symbol für schwere Zeiten. Und ja, mein 2023 war sehr anstrengend. Das nächste Jahr muss bitte besser werden. Vielleicht mit einem Vogel. Laut Bleigiessen.de bedeutet das: «Ausbruch aus dem Käfig: eine Veränderung ist unausweichlich.» Oder mit einem Hund: «Feste Freundschaft.»

Was bloss könnte mehr Sex bedeuten?

Oder wie wäre es mit einem Fisch? Der kündigt auch was Schönes an: einen Geldsegen.


Das glückliche Kind

Seit der Dämmerung wartet die oder der Fünfjährige aufgeregt darauf, dass die Tischbombe endlich angezündet wird. Aber die Erwachsenen müssen zuerst kochen, streiten oder den Hund in den schallsicheren Zwinger bringen. Die Zwischenzeit vertreibt sich der Nachwuchs damit, die Erdbeeren aus dieser perlenden Suppe zu stibitzen (Wie hatte Mama die noch gleich genannt: Bohne? Buhle? Bohle? . . .).

Später schwört das Kind, zwei Bomben auf dem Tisch gesehen zu haben. Obwohl es mit Papa doch definitiv nur eine gekauft hatte. Der erste Schwips des Lebens!

Egal. Die Funken, die plötzlich fliegen! Die Flammen am Vorhang! Die Wasserschlacht mit Mama, Papa und Oma mitten im Wohnzimmer! Ach, wäre dieses Silvester doch bloss jede Woche.

Das glückliche Kind schläft zufrieden ein, weit vor Mitternacht. Beneidenswert.


Der Apokalyptiker

Partynudeln feiern, als gäbe es kein Morgen mehr. Der Apokalyptiker meint das wirklich so. Die Welt geht eindeutig den Bach runter, die Menschheit wird auch im Kant-Jubiläumsjahr 2024 nicht zur Vernunft kommen, und wahrscheinlich arbeiten russische Hacker längst an einem Super-Bug, gegen den der «I love you»-Computerwurm damals ein harmloses Ungeziefer war.

Mit seinen Untergangsszenarien vermiest der Apokalyptiker allen Anwesenden die Laune, bis sie ihn mit Luftschlangen fesseln und knebeln. Seine «unbequemen Wahrheiten» will niemand hören.

Na dann, frohes neues Jahr!

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