Freitag, Oktober 18

Beim Kampf um eine Maschinenpistole gelang es einem 41-jährigen Schweizer, die Waffe an sich zu bringen und zu entsichern. Passagiere sollen sich in Lebensgefahr befunden haben.

Am Nachmittag des 24. Juni 2023 spielten sich im Terminal A des Flughafens Zürich dramatische Szenen ab: Passagiere stoben auseinander und versteckten sich zum Teil in den Toiletten, andere stürzten sich auf einen Mann, der mit zwei Kantonspolizisten um eine Maschinenpistole rangelte. Am Schluss lagen sie «kreuz und quer auf dem Mann drauf», um ihn am Boden zu fixieren, wie es seine Verteidigerin im Gerichtssaal des Bezirksgerichts Bülach illustrativ beschreibt.

Im Verlaufe des Gerangels habe der Mann die Waffe entsichert. Diese sei wiederholt gegen die Menschenmenge im Terminal gerichtet gewesen, schreibt die Staatsanwältin in ihrem Antrag. Es sei nur dem Zufall zu verdanken, dass sich keine Schüsse gelöst hätten und niemand schwer verletzt oder gar getötet worden sei.

Die beiden uniformierten Polizistinnen waren gegen 16 Uhr 45 alarmiert worden, weil der Mann sich bei einer Raucherlounge auffällig verhielt. Laut der Staatsanwältin soll er herumgeschrien und mit den Armen Schiessbewegungen in die Luft gemacht haben. Die beiden Beamtinnen traten an den Passagier heran, eröffneten ihm, dass sie ihn kontrollieren wollten und baten ihn, mit ihnen zur Seite zu treten. Er soll sich jedoch geweigert haben, worauf die beiden Polizistinnen ihn in den Escort-Griff nahmen.

Der Mann liess sich daraufhin zu Boden fallen. Die Polizistinnen wurden mit zu Boden gerissen. Er ergriff unvermittelt die Maschinenpistole, welche eine Polizistin quer über ihren Oberkörper gehängt hielt. Er habe die Waffe fest und mit aller Gewalt an sich gerissen. Die Beamtinnen hätten vergeblich versucht, ihm die Waffe wieder zu entwinden. Die eine Polizistin erlitt bei dem Gerangel Hämatome und Blutergüsse

Psychiater sieht eine moderate Rückfallgefahr

Der nicht vorbestrafte Mann konnte schliesslich durch Verstärkung verhaftet werden und wurde zunächst in die Psychiatrie gebracht. Von Juli bis Dezember 2023 sass er in Untersuchungshaft. Ein psychiatrisches Gutachten stellte bei ihm zum Tatzeitpunkt eine schizoaffektive Störung und eine Cannabis-Abhängigkeit fest. Er sei nicht in der Lage gewesen, einsichtsmässig zu handeln, und sei deshalb nicht schuldfähig.

Laut dem Psychiater bestehe eine moderate Rückfallgefahr. Er empfiehlt eine ambulante Therapie. Seit seiner Haftentlassung lebt der 41-jährige Schweizer bereits in einem ambulanten Setting. Er wohnt in einer WG für betreutes Wohnen.

Vor Bezirksgericht Bülach bestreitet der Beschuldigte, dass er herumgeschrien und Schiessbewegungen gemacht hat. «Das war nicht meine Wahrnehmung», sagt er. Er habe sich von der Polizistin mit der Maschinenpistole bedroht gefühlt und habe nur sich selber schützen wollen. Sie habe mit dem Lauf der Waffe vor ihm herumgefuchtelt. Den Griff habe er aber nie angefasst. Er habe sie nicht entsichert, und es sei niemals jemand anderer als er selber gefährdet gewesen.

Ein Gerangel habe es nicht gegeben. Er habe sich nur bäuchlings auf die Waffe gelegt, diese sei unter ihm begraben gewesen. «Sie haben sich auf mich gestürzt, und dann habe ich nichts mehr gemacht.» Auf zahlreiche Fragen der Richter antwortet der Beschuldigte nicht oder sagt, er wisse es nicht. Manchmal bricht er seine Sätze auch einfach in der Mitte abrupt ab, ohne weiterzureden.

Er äussert seine Bereitschaft, die ambulante Massnahme zu absolvieren. In der Wohngemeinschaft verhält er sich, laut einem Bericht, kooperativ und freundlich. Er sei drogenfrei. Alle Laborproben seien unauffällig. Zweimal hatte er die WG allerdings für mehrere Tage unerlaubt verlassen. Einmal wurde er an der Grenze von Frankreich und Grossbritannien aufgegriffen. Dazu äussern will sich der Beschuldigte aber nicht. In der WG grenze er sich ab. Er erklärt, er wohne mit fünf Leuten zusammen, mit denen er sonst nichts zu tun hätte.

Die Staatsanwältin plädiert, es sei festzustellen, dass der Beschuldigte die Straftatbestände Gefährdung des Lebens und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte im Zustand einer nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit begangen habe. Es seien eine ambulante Massnahme und die Abnahme eines DNA-Profils anzuordnen.

Die Verteidigerin verlangt Freisprüche von den beiden obenerwähnten Straftatbeständen. Lediglich «Hinderung einer Amtshandlung» sei erfüllt, auch dafür sei er aber schuldunfähig. Die Aussagen der Polizistinnen seien zum Teil unglaubhaft und widersprüchlich. Der Beschuldigte habe sich weder gewehrt noch um sich geschlagen noch geschrien noch die Waffe an sich gerissen.

Er habe sich nur auf die Waffe draufgelegt, und dies weil er sich bedroht gefühlt habe. Lebensgefahr für andere Passagiere habe nicht bestanden. Es sei zudem nicht klar, wann und durch wen die Waffe entsichert worden sei. Auch die Verteidigerin plädiert für eine ambulante Massnahme, mit der Abnahme des DNA-Profils ist sie allerdings nicht einverstanden.

Auslösen eines Schusses bei Gerangel immer möglich

Das Bezirksgericht Bülach folgt dem Antrag der Staatsanwältin. Die Straftatbestände der Gefährdung des Lebens und der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte seien erfüllt. Es gebe tatsächlich Zweifel an den Aussagen der Polizistinnen, einzig relevant sei aber, dass der Beschuldigte versucht habe, die Maschinenpistole zu behändigen.

Wer versuche, eine Waffe von einem Polizisten zu ergreifen, für den sei klar, dass es ein Gerangel, einen Kampf um die Waffe geben müsse. Und in einem Gerangel sei das Entsichern der Waffe und Auslösen eines ungewollten Schusses immer eine konkrete Gefahr. Da komme es nicht darauf an, wer wann die Hände an welcher Stelle der Waffe gehabt habe.

Auf den Überwachungsvideos sehe man zudem, dass die Polizistin erwiesenermassen nicht mit dem Lauf vor ihm herumgefuchtelt habe. Schläge gegen die Polizistinnen seien tatsächlich nicht erstellbar, für den Tatbestand der Gewalt und Drohung genüge es aber, wenn er Gewalt gegen Sachen der Polizei, also gegen die Waffe, ausgeübt habe. Die Polizistinnen seien klar als solche zu erkennen gewesen.

Die Schuldunfähigkeit sei unbestritten. Laut dem Psychiater könne man der moderaten Rückfallgefahr mit einer ambulanten Massnahme begegnen. Diese sei verhältnismässig. Der vorsitzende Richter ermahnt den Beschuldigten jedoch, falls er sich nicht an Weisungen halte, könne eine Umwandlung in eine stationäre Massnahme erfolgen. Gefährdung des Lebens sei ein derart schweres Delikt, dass auch die Abnahme eines DNA-Profils verhältnismässig sei.

Urteil DG240007 vom 16. 10. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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