Samstag, April 26

Vor 20 Jahren startete der ambitionierte Airbus A380 zum Erstflug. Weil seine Nachfolger Verzug haben, darf er bei mehreren Fluggesellschaften nochmals abheben.

Der Himmel strahlte in Blau, der Morgen des 27. April 2005 schien wie geschaffen für das wichtigste Ereignis der zivilen Luftfahrt seit dem Erstflug der Concorde am 2. März 1969 am gleichen Ort. Gut 36 Jahre später sollte nun das grösste Verkehrsflugzeug der Welt, der Airbus A380, genau von jener Piste 32 links erstmals abheben, von der damals auch der Überschall-Passagierjet in Toulouse zum Premierenflug aufgestiegen war.

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Schon seit Monaten war bekannt, wer den Riesen in die Luft bringen sollte. Im Cockpit auf dem Pilotensitz sassen zwei Franzosen: Claude Lelaie, Chef der Airbus Flight Division, daneben sein Kollege, Cheftestpilot Jacques Rosay. In der Kabine flogen der spanische Chef-Testflugingenieur Fernando Alonso und drei weitere Ingenieure aus Deutschland, England und Frankreich mit.

«Jeder Erstflug ist relativ einfach aus technischer Sicht», erläutert Fernando Alonso heute. «Sie müssen in der Lage sein zu entscheiden, wann die Systeme ausgereift genug sind, nicht nur für den ersten, sondern gleich für eine ganze Anzahl von Flügen. Es ist eine Frage des Vertrauens – der Crew untereinander und der Crew zu ihrem Flugzeug.»

Die beiden riesigen Decks des A380 mit der Werknummer 001 und der Registration F-WWOW, auf denen in Serienmaschinen später bis zu 644 Passagiere sitzen würden, waren beim Erstflug nahezu leer. Die Haupttreppe zwischen den beiden Decks fehlte noch, im Notfall sollte die mit Fallschirmen ausgerüstete Besatzung über einen speziellen Schacht durch die aufsprengbare vordere rechte Frachtraumtür aussteigen.

Nachdem ein Flugversuchsingenieur 1972 mit dem Fallschirm einem abstürzenden Prototyp des Regionaljets VFW 614 entkommen war und später zu Airbus gewechselt hatte, gab es dort bei allen Flugzeugtypen in der ersten Testphase einen solchen Fluchtweg. «Den behalten wir bei, bis wir den gesamten Umfang an Flugmanövern bei hoher und niedriger Geschwindigkeit getestet haben», erklärt der spanische Testflugingenieur. Wenn man von der Sicherheit überzeugt sei, baue man den Fluchtweg nach zwei oder drei Monaten wieder aus.

Beim A380-Erstflug gab es nur Sitze für die vier Ingenieure auf beiden Decks, dafür war das Flugzeug vollgestopft mit 20 Tonnen Testgeräten und 335 Kilometer Kabeln, die die Daten von 6000 verschiedenen Parametern pro Flug verarbeiten.

Ab dem Vorabend hatten sich rund 50 000 Schaulustige um den Flughafenzaun versammelt. Sie wollten sich den Erstflug des teuersten, grössten und schwersten Verkehrsflugzeugs der Luftfahrtgeschichte nicht entgehen lassen. Um 10.29 Uhr löste Claude Lelaie die Parkbremsen und bewegte die Schubhebel für die vier mächtigen Rolls-Royce-Triebwerke nach vorn.

Das Erstaunen war gross: Der Start verlief unspektakulär, obwohl sich noch nie ein 421 Tonnen wiegendes Passagierflugzeug in die Luft erhoben hatte, schwerer als jemals eine Boeing 747. «Die Mutter aller Starts», wie ein enthusiastischer CNN-Reporter es nannte, war reibungslos verlaufen.

Der gesamte Erstflug spielte sich in einem Radius von etwa 160 Kilometern um den Flughafen Toulouse im Gebiet der Pyrenäen und Südwestfrankreichs ab, die Bilder des A380 über den Berggipfeln wurden aus einem Begleitflugzeug heraus live in alle Welt ausgestrahlt.

Nach einer Ehrenrunde über Toulouse und genau 3 Stunden und 54 Minuten in der Luft setzte der A380 dann zu seiner ersten Landung an, rollte zügig aus und kam schliesslich vor der Ehrentribüne zum Stehen. «Der A380 ist ein ausgezeichnetes Flugzeug, das sich wie ein Fahrrad lenken lässt», erklärte Jacques Rosay vor jubelndem Publikum.

«Das Flugzeug war in ziemlich gutem Zustand, aber noch nicht ausgereift, absolut nicht», erinnert sich Fernando Alonso heute. «Bei den ersten Flügen gab es eine ganze Reihe von Problemen, mit denen wir uns herumzuschlagen hatten.» Der A380 sei beim Erstflug vermutlich weiter in seiner Entwicklung gewesen als der A320 beim ersten Start – «nur der A350 war bei seinem Erstflug 2013 dann schon bedeutend ausgereifter als damals der A380».

Produktionshölle und drohender Konkurs

Der heutige Bestseller A350 – und alles, was ein Jahrzehnt später gut koordiniert verlief – verdankt seine leichtere Geburt jener extrem schweren des A380 zuvor. Denn dessen strahlender Erstflug-Erfolg 2005 war teuer erkauft: Das A380-Programm hatte das damals nur lose integrierte Airbus-Konsortium an den Rand des Kollapses gebracht.

Es gab haarsträubende Produktionsprobleme: Die in Frankreich produzierten Rumpfteile und deren Verkabelungen liessen sich nicht mit den anschliessenden Segmenten aus deutscher Herstellung verbinden. Grund waren nicht miteinander kompatible Computerdesign-Programme deutscher und französischer Partnerunternehmen. Daraus resultierten jahrelange Programmverzögerungen und gigantische Kostensteigerungen.

Das Chaos war so gross, wie damalige Programmleiter berichten, dass das gesamte A380-Programm kurz nach der Jahrtausendwende vor dem Abbruch stand – nachdem bereits Milliarden Euro investiert worden waren.

Gewaltige Anstrengungen aller Beteiligten und die Hilfe der Steuerzahler in den Partnerländern verhinderten dies. Doch der erste Linienflug eines A380 verschob sich durch das Durcheinander immer weiter. Statt im Juni 2006 konnte Singapore Airlines schliesslich am 25. Oktober 2007 den ersten kommerziellen A380-Flug von Singapur nach Sydney durchführen.

Nun kamen für den A380 Pech und schlechtes Timing hinzu. Denn bis die Auslieferungen an Grosskunden wie Emirates – insgesamt 123 Bestellungen – endlich anliefen, hatte 2008 die weltweite Finanzkrise begonnen. Und damit war auch das Geschäft der Airlines empfindlich eingebrochen, ein Riesenflugzeug mit im Schnitt rund 500 Sitzen liess sich kaum füllen.

Am Ende wurde das mit so grossen Hoffnungen und geschätzten bis zu 30 Milliarden Euro Entwicklungskosten gestartete Riesenprojekt kommerziell ein ebenso grosser Flop. Nur 251 Exemplare des A380 wurden bis Ende 2021 ausgeliefert.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Schicksal bereits wieder zugeschlagen: Die Corona-Pandemie mit fast völligem Stillstand des weltweiten Luftverkehrs schien das frühe Ende des A380 endgültig zu besiegeln. Viele Betreiber kündigten an, den Riesen nie wieder in Betrieb zu nehmen. Am radikalsten ging dabei Air France vor, die sogleich begann, kaum zehn Jahre alte und pro Stück zuletzt nach Listenpreis über 445 Millionen Dollar teure A380 abzuwracken.

Doch dann wendete sich das Blatt: 2023 kam die Passagiernachfrage mit Wucht zurück, die Airlines brauchten schnell wieder grosse Flugzeuge und griffen dankbar auf die eigentlich abgeschriebenen A380-Flotten zurück. Obwohl mit vier Triebwerken und zu grossen Tragflächen ineffizient – gedacht für eine nie gebaute längere Version –, werden die verbliebenen Riesen heute mehr gebraucht denn je. Denn es gibt sonst keine grossen Flugzeuge mehr, die wichtige Strecken mit hoher Nachfrage bedienen können: Die Boeing 747 wird nicht mehr gebaut und ist für Passagierflüge weitgehend ausgemustert.

Der Riese füllt die Lücke beim Warten auf Neues

Und das gegenwärtig grösste Verkehrsflugzeug, die Boeing 777-9 für bis zu 426 Passagiere, stellt stetig neue Verzögerungsrekorde durch immer neue Probleme bei der Erprobung auf. Die Auslieferung bei Lufthansa und Emirates war für 2020 vorgesehen, nun könnte es Ende 2027 oder Anfang 2028 werden.

Bis dahin schätzen sich beide Gesellschaften glücklich, noch den A380 zu haben, auch wenn viele Betreiber, darunter Lufthansa und Emirates, einzelne Exemplare bereits verschrottet haben. Niemandem ist der A380 so auf den Leib geschneidert wie Emirates mit ihrem Mega-Drehkreuz in Dubai. «Er hat unser Geschäftsmodell verändert», sagt der Emirates-Chef Sir Tim Clark zum 20. Jahrestag des Erstflugs gegenüber der NZZ.

«Seine Ausstattung bedeutete auch einen Meilenstein beim Passagierkomfort, und diese Qualitäten sind heute noch genauso populär wie zu Beginn der A380-Flüge», so Clark. Emirates bedient zum Beispiel London-Heathrow von Dubai aus sechsmal täglich mit dem A380.

So ist die überraschende Renaissance der Riesen eine positive Nachricht für Passagiere, denn Fluggäste haben den A380 von Anfang an geradezu geliebt, fliegen bis heute oft Umwege, um in dem Doppelstöcker reisen zu können.

Lufthansa betreibt wieder acht Exemplare und investiert sogar in neue Kabinen, auch Emirates erneuert innen viele ihrer 116 verbliebenen A380. Beide Airlines wollen ihre aufgefrischten Riesen nun noch bis zum Ende des Jahrzehnts oder sogar bis in die frühen 2030er Jahre fliegen. Und die Flotte ist wieder stattlich: Im Februar 2025 wurden bei zehn Gesellschaften insgesamt 189 aktive A380 verzeichnet, 36 waren parkiert.

Im Mai will sogar erstmals eine neue Airline nur mit gebrauchten A380 an den Start gehen. Das britische Start-up Global Airlines hat von China Southern Airlines ausrangierte Riesen übernommen und neu hergerichtet. So zeigt sich zwei Jahrzehnte später noch die Tragweite des Erstflugs von 2005 an jenem sonnigen Morgen in Toulouse.

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