Mittwoch, Oktober 9

Immer wieder kollidieren auf hoher See grosse Schiffe mit Walfischen und töten sie. Doch die Vorfälle bleiben meistens unbemerkt. Bis jetzt.

Ein Kreuzfahrtschiff ist kürzlich am Brooklyn Cruise Terminal in New York eingelaufen, die Freiheitsstatue im Hintergrund und am Bug ein toter Wal. Laut Experten war es ein vom Aussterben bedrohter Seiwal. Der Kadaver ist 13 Meter lang und 20 Tonnen schwer. Man geht davon aus, dass er vom Schiff auf hoher See angefahren wurde.

Seither berichten Medien weltweit über den toten Wal. Die Eigentümerin des Schiffs, MSC Cruises mit Sitz in Genf, hat laut der «New York Times» eine Untersuchung eingeleitet. MSC Cruises schreibt zudem, sie habe «umfassende Massnahmen» ergriffen, um Kollisionen ihrer Schiffe mit Walfischen zu vermeiden.

Dass ein solcher Vorfall bemerkt und öffentlich sichtbar wird, kommt selten vor. Doch das Ausmass der Problematik wird auch in Fachkreisen erst langsam bekannt.

Zusammenstösse häufen sich

Die Atlantic Marine Conservation Society leitet die Untersuchung des jüngsten Vorfalls in New York . Ihr leitender Wissenschafter sagte der «New York Times», die Organisation habe in den vergangenen Jahren mit mehr als hundert getöteten Walen zu tun gehabt. Viele hätten sich in Netzen von Fischerbooten verfangen oder seien von Schiffen angefahren worden.

Laut dem Wissenschafter steigt vor allem die Zahl der Kollisionen. Vor anderthalb Jahren wurden an der Ostküste der USA zwei Dutzend tote Wale angeschwemmt. Bei den meisten handelte es sich um Buckelwale. Untersuchungen hätten ergeben, dass sie von Schiffen angefahren und getötet worden seien. Die Wissenschafter begründen die Häufung der Kollisionen mit dem Warenverkehr auf den Weltmeeren. Der Handel per Schiff habe nach der Corona-Pandemie zugenommen. Die Containerschiffe führten mehr Waren, grössere Schiffe kämen zum Einsatz, und aufgrund des dichteren Verkehrs hätten einige ihre Routen geändert.

Doch was weit draussen auf den Handelsrouten der Weltmeere passiert, blieb unentdeckt. Der Regisseur Philip Hamilton hat deshalb im vergangenen September den Dokumentarfilm «Collision» veröffentlicht. Nach zweijähriger Recherche kam er zum Schluss, dass der weltweit zunehmende Schiffsverkehr jedes Jahr für Tausende von toten Walen verantwortlich sei. Das Ausmass sei auch Walexperten unbekannt. Betroffen sei die ganze Seefahrt: Containerschiffe, Kreuzfahrtschiffe, Fähren.

Müssten Schiffe ihr Tempo senken?

Die Unfälle mit Walfischen im Mittelmeer und vor den Kanarischen Inseln haben laut dem Regisseur Hamilton mit dem Geschäftsmodell der Fährenbetreiber zu tun. Die Unternehmen erhöhten die Geschwindigkeiten der Schiffe, um die Verbindungen zwischen den Inseln zu gewährleisten. Dass das Vorgehen die Wale gefährdet, sei den Unternehmen bekannt. Laut Hamilton wurden Technologien getestet, die Kollisionen verhindern sollen. Doch sie würden nicht funktionieren. Und nur wenige Fähren reduzierten wegen der Wale ihre Geschwindigkeit oder würden von ihrer Route abweichen.

Als Folge des toten Wales in New York prüft auch die National Oceanic and Atmospheric Administration die Massnahme, dass Schiffe die Geschwindigkeit senken. Eine Sprecherin der Organisation sagte, Seeleute entlang der Ostküste der USA seien aufgefordert worden, ihre Schiffe zu verlangsamen, wachsam zu bleiben und den Behörden jede Sichtung von toten oder verletzten Walen zu melden.

MSC Cruises hat nach dem Vorfall in New York mitgeteilt, man werde unter anderem die Deckoffiziere schulen und in bestimmten Gebieten die Reiserouten ändern. Doch laut Hamilton fehlt vor allem den Kapitänen das Bewusstsein für die Gefährdung der Wale. Sie würden in den Seefahrtschulen mit der Frage nicht konfrontiert.

Der Seiwal ist laut Berichten an einen Strand in Sandy Hook in New Jersey gebracht worden. Erste Untersuchungen hätten ergeben, dass der Wal in der rechten Flosse gebrochene Knochen und entlang des rechten Schulterblatts Gewebetraumata erlitten habe. Ein voller Magen und eine ansehnliche Speckschicht deuteten darauf hin, dass der Wal gesund war, als er vom Schiff angefahren und getötet worden sei.

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