Montag, Oktober 7

Das «Grotto della Salute» in Massagno bei Lugano verfügt über einen der schönsten Gärten weit und breit. Und über eine gute Küche – solange sie nicht zu sehr nach Veredelung strebt.

Gegen Edelkastanien ist aus meiner Sicht so wenig einzuwenden wie gegen Edelmut und Edelweiss. Aber ähnlich suspekt wie Edelschimmel, Edelmänner oder Edelpuffs ist mir der Begriff «Edelitaliener»: Dieser klingt nach dunklen Brillen, dicken Brieftaschen und aufgepumpten Rezepten.

Wenig anfangen kann ich auch mit dem Wort «Edelgrotto». So nennen Deutschschweizer, die das Filmfestival nächste Woche wieder einmal in Scharen nach Locarno ziehen wird, manche Lokale im Tessin. Sie meinen damit eine Kombination aus baulicher Rustikalität, gehobener Küche und ebensolchen Preisen, und als Paradebeispiel gilt «Da Enzo» mit seinem fabelhaften Anwesen in Ponte Brolla. Manche werden auch ein etwas kostengünstigeres Gasthaus zu dieser Kategorie schlagen, das zehn Gehminuten vom Bahnhof der Edelstadt Lugano im Dorf Massagno liegt. Das über hundertjährige Lokal trägt den lebensbejahenden Namen «Grotto della Salute» und ist das ganze Jahr über offen, was bei Grotti eher selten ist.

Eigentlich ist es eher ein Palazzo mit diversen Essräumen, kleiner und grösser, mit und ohne Kamin. Draussen lädt auf drei verwinkelten Ebenen ein grandioses Gärtchen, dessen Möglichkeiten in den wärmeren Monaten voll ausgeschöpft werden. Man sitzt auf verschnörkelten weissen Metallstühlen unter prächtigen Platanen, deren biblisches Alter und Schönheit einen andächtig und feierlich zugleich stimmen.

In den Baumkronen hängen Lampen wie illuminierte Riesenkieselsteine, der Kies knirscht, die Stimmung ist magisch und das Publikum bunt gemischt: Unter Familien, ältere Leute, die sich fein angezogen haben, und jüngere Liebespaare mischen sich an diesem Freitagabend an den weiss gedeckten Tischchen einige Poser. Ihnen sagt vielleicht die beliebige Discomusik aus der Konserve zu.

Eindrücklich ist das Weinangebot, es reicht von über hundert Tessiner Tropfen über noch mehr italienische Gewächse bis zu einigen trendigen Orange Wines aus Georgien. Als Hauswein kommt ein guter Sangiovese aus Mallorca (Fr. 8.–/dl.), als Gruss aus der Küche ein kleines Schälchen des toskanischen Brotsalats Panzanella. Man muss darauf achten, sich nicht schon am Brotkorb zu überessen, grosszügig bestückt mit feinen Grissini und ebensolcher Focaccia.

Der Service ist nett und flink, der Humor des älteren Kellners und seiner leicht burschikosen jungen Kollegin ergänzen sich prima. Ich mag es, wenn das Personal in der kurzen Begegnung so etwas wie eine persönliche Beziehung zu den Gästen aufzubauen versteht – und auf zaghaft angebrachte Bitten Antworten parat hat wie: «Bei uns ist alles möglich!» Natürlich ist es das nicht, aber es zählt die Grundhaltung.

Der «Zücchin» – so werden wir Deutschschweizer im Südkanton manchmal genannt – steigt ein mit einem köstlichen Ballett von Zucchini (Fr. 22.–): Sie kommen als Nudeln, als Crème und als hauchzarte Blüten, apart drapiert und gefüllt mit Burrata und wohl etwas Ricotta. Eine mit Kohlrabi zubereitete Vichyssoise (Fr. 26.–) dann ist etwas griessig geraten und erreicht nicht ganz die einzigartige Konsistenz, wie man sie von der klassischen Version mit Lauch und Kartoffeln her gewohnt ist. Dafür versteckt sich unter der stilgerecht kalt servierten Suppe ein punktgenau pochiertes Ei, auf ihr ruht etwas Kaviar. Er könnte wie die Foie gras auf der Karte eine Konzession an jenen Teil der Klientel sein, der sich Luxus ohne solche Produkte nicht vorstellen kann.

Zu einem Höhepunkt wird, trotz etwas zu viel Olivenöl, der Primo: Bigoli mit perfektem Biss (Fr. 28.–) und Vongole, darüber ein knuspriges Mäntelchen aus Bröseln und Algen. Das erinnert fern an ein Gericht der «Farmacia dei Sani», des namensverwandten Lokals in Apulien, das ich zu meinen Favoriten zähle und vor Jahresfrist hier besprochen habe.

Unsere Hauptspeise (Fr. 34.–) allerdings kann jenen des Pendants in Süditalien nicht das Wasser reichen: Der elaborierte Ausflug in die Fusion-Kitchen lässt mich optisch wie geschmacklich eher ratlos. Eine zerlegte Wachtel, Mango-Chutney, Ingwer, Szechuanpfeffer, marinierte Zucchini und Kohlrabi – als Püree und als leicht blanchierte Würfelchen – fügen sich nicht zum Ganzen. Auch fehlt nebst dem Spiel mit Texturen etwas Salz und Pfiff.

Das Dessert (Fr. 14.–), eine zerbröselte Pavlova mit Aprikosen und Verveineblättchen, bildet hingegen einen unspektakulär gelungenen Schlusspunkt. Uns gefällt dieser zauberhafte Ort am besten, wenn er nicht zu sehr versucht, edel zu sein.

Grotto della Salute
Via dei Sindacatori 2 A, 6900 Massagno
Sonntags geschlossen
Telefon 091 966 04 76

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