Filme wie «The Hustler» und «Cool Hand Luke» haben ihn zur Ikone gemacht. Aber am glücklichsten war er vielleicht im Geschwindigkeitsrausch hinter dem Lenkrad. Heute wäre der Star 100 Jahre alt geworden.
Ende Oktober 2017 versammelten sich einige hundert Menschen im Hauptsitz der Firma Phillips in New York. Dort wurde eine Rolex-Daytona-Armbanduhr versteigert. Eine zweifellos schöne Uhr mit schlichtem Art-déco-Design. Dieses Modell existiert dreitausend Mal und gilt als ein heiliger Gral unter Uhrensammlern. Was dann passierte, hatte selbst der über beide Ohren strahlende Auktionator nicht erwartet.
Kaum hatte er eine Einstiegshöhe von 1 Million US-Dollar genannt, rief eine Frau aus dem Publikum: «10 Millionen Dollar!» Spontan brauste Applaus auf, jetzt war klar, was hier passieren würde. An diesem Tag sollte die Rolex für 17,8 Millionen Dollar den Besitzer wechseln. Sie ist damit bis heute die drittteuerste bei einer Auktion verkaufte Uhr. Das hat allerdings nur wenig mit dem Objekt selbst zu tun.
Viel eher trieb eine in den silbernen Gehäuseboden eingravierte Botschaft den Preis in die Höhe: «Drive Carefully Me» stand da geschrieben. Die Uhr war ein Geschenk der Schauspielerin Joanne Woodward an ihren Ehemann Paul Newman, einen der grössten Stars der Filmgeschichte. In den 1980er Jahren wurde er so oft mit dem Zeitmesser fotografiert, dass die Uhr den Spitznamen «Paul Newman» erhielt.
Etwas hallt nach in diesem Namen Paul Newman, eine Idee von Ruhm, Schönheit und Souplesse, von Unangepasstheit und Menschlichkeit. Ein Nachhall, der 17,8 Millionen Dollar wiegt.
Von Hitchcock bis Pixar
Recherchiert man hundert Jahre nach der Geburt des Uhrenbesitzers, Schauspielers, Regisseurs und Rennfahrers zu seiner Person, fällt auf, wie oft der 2008 einem Krebsleiden erlegene Newman in Texten als Referenz auftaucht. Jemand sehe aus wie Paul Newman, etwas erinnere an Paul Newman, dieses oder jenes sei wie bei Paul Newman. Was dieser Newman aber repräsentiert, das muss anscheinend gar nicht mehr gesagt werden.
Er war schon in den sechziger Jahren mit Filmen wie «The Hustler» oder «Cool Hand Luke» zur Ikone geworden, gehört in eine Reihe mit Steve McQueen, James Dean oder Robert Redford. Dabei besetzt Newman einen einmaligen Raum in der Filmgeschichte, er drehte sowohl mit grossen Regisseuren des klassischen Hollywoodkinos wie Robert Wise («Somebody Up There Likes Me») als auch mit zeitgenössischen Filmemachern wie Sam Mendes («Road to Perdition»). Er drehte mit Hitchcock («Torn Curtain») und sprach ein Auto in Pixars «Cars».
Wie er in seinen postum 2022 erschienenen Memoiren preisgibt, fürchtete er, dass sein ganzer Ruhm auf seinen blauen Augen beruhe und nicht auf seiner Schauspielerei. Wie so oft steckt wohl ein Fünkchen Wahrheit in diesem Selbstzweifel. Hollywood liebt die Oberflächenreize. Und wer einmal gesehen hat, wie die blauen Augen Newmans selbst hinter der getönten Sonnenbrille leuchten, die er in Martin Scorseses «The Color of Money» trägt, versteht, weshalb ihm die amerikanische Filmindustrie verfallen war. Das ist ein Blau von solcher Klarheit, man glaubt direkt in seine Seele schauen zu können.
Das Magazin «Esquire» verglich ihn einst mit der Marmorstatue des Hermes von Olympia von Praxiteles, und gerade der junge Newman hält diesem Vergleich stand. Martin Ritt, mit dem Newman viele Filme drehte, wusste diese Schönheit zu nutzen. Etwa in «Hud», einem der besten Filme Newmans, in dem er einen widerwärtigen, am Leben gescheiterten Trinker spielt, dabei aber so cool wirkt, dass man ihm alles verzeihen will. Er verkörpert den Trotz der Jugend gegenüber der korrupten Moral der Gesellschaft. Oder die Verdorbenheit einer sich an Oberflächen ergötzenden Welt. Beides ist in dieser Figur angelegt.
Tiefgehende Verletzlichkeit
Als Schauspieler war Newman keineswegs herausragend. Er galt als extrem disziplinierter Handwerker, hatte ein Gespür für gute Drehbücher und wunderte sich selbst, wie es ihm immer wieder gelang, komplexe Emotionen in seinen Darstellungen anzulegen. Oft sind es kurze, stille Momente, in denen sein attraktives Selbstbewusstsein einer tiefgehenden Verletzlichkeit weicht.
Sieht man beispielsweise, wie er in «Winning» seine Partnerin (gespielt von seiner Ehefrau Woodward) mit einem anderen Mann erwischt, oder wie am Ende des wilden und subversiven Eishockey-Films «Slap Shot» sein Herz gebrochen wird, erkennt man in den Nahaufnahmen einen menschlichen Schmerz, der unter den schönen Oberflächen liegt. In seiner Mimik funkelte zwar jene verstohlene Bescheidenheit, die den rebellischen Helden des Kinos der 1960er und 1970er Jahre so eigen war, aber etwas an ihm ist herzenswärmer und melancholischer als bei vielen seiner Kollegen.
Das ist es auch, was viele seiner Darbietungen ins Heute trägt, denn im Gegensatz zum anstrengenden Overacting Deans oder den Machoismen McQueens versteckt sich in Newmans Figuren das moderne Moment einer verinnerlichten Identitätssuche. Seine Antihelden werden oft dafür bestraft, nicht zu wissen, wer sie sind, sie scheitern am Ausprobieren neuer Identitäten, sie flüchten vor sich selbst, erfinden sich neu, aber entkommen sich doch nicht.
Newman ist in seinen Filmen in einem ständigen Coming-of-Age gefangen. Die Figuren begreifen zu spät, dass sie eigentlich nur geliebt werden wollen. Das ist es, was seinen Billard-Betrüger in «The Hustler» so faszinierend erscheinen lässt oder seinen bei Apachen aufgewachsenen Cowboy in «Hombre».
Ein schuldbewusster Ehemann
Zeiten popkultureller Ikonoklasmen überlebte er trotz Affären, Alkoholproblemen und der üblichen Geschichte vom Mann, der sich künstlerisch entfaltete, während seine mindestens genauso talentierte Frau die Kinder grosszog.
In seinen bemerkenswerten Regiearbeiten wie «Rachel, Rachel» und «The Effect of Gamma Rays on Man-in-the-Moon Marigolds» zeigt er sich nicht nur als zurückhaltender Künstler, der der Oberflächlichkeit seines Hollywood-Images mit persönlichen Geschichten entkommen möchte, sondern auch als schuldbewusster Ehemann, der Joanne Woodward gross aufspielen lässt. So gross, dass man sich wundern muss, wie selten sie genannt wird, wenn von den grössten Darstellerinnen der Filmgeschichte die Rede ist.
Diese Filme harren einer Wiederentdeckung, es sind umwerfende und feministisch unterfütterte Annäherungen an die Unfähigkeit zu fühlen, die Liebe in einer Familie und das Gewicht des täglichen Lebens. In der Öffentlichkeit galten Woodward und Newman lange als Vorzeige-Ehepaar, die Wirklichkeit sah selbstverständlich komplexer aus. Spätestens als Newmans Sohn aus erster Ehe, Scott Newman, an einer Überdosis Drogen starb, wankte das Bild.
Viele der späteren Filme Newmans, der sich vermehrt politisch engagierte und auf Nixons berühmter Feindesliste Rang 19 belegte, erreichten nicht dieselbe Popularität wie sein Frühwerk, dabei zählen gerade Arbeiten wie «Buffalo Bill and the Indians, or Sitting Bull’s History Lesson» von Robert Altman oder «The Verdict» von Sidney Lumet zu den herausragendsten seiner Karriere.
In Ersterem nahm Newman nicht zuletzt sein eigenes Starbild auseinander und hinterfragte die ganzen Mechanismen, die Menschen zu Bildern machen, denen niemand wirklich entsprechen kann. Der ewige Abgleich zwischen Legende und Wirklichkeit, der schon im Kult-Western «Butch Cassidy and the Sundance Kid» in seiner Rolle des Butch Cassidy entscheidend war. Wenn man nach einem durchgängigen Motiv in seinem Schaffen sucht, ist es das: eine aufrichtige Suche nach ein bisschen Anstand und Menschlichkeit hinter den Masken, die man trägt, um jemand zu werden.
Sein Leben lang kämpfte der mit dem jüdischen Glauben verbundene Schauspieler gegen das an, was er durch seine Filme geworden war. Manche sagen, dass er deshalb am glücklichsten im Geschwindigkeitsrausch hinter dem Lenkrad war. Tatsächlich widmete sich Newman mit grossem Ehrgeiz dem Rennsport, fuhr unter anderem 1979 in einem Dick-Barbour-Porsche 935, im Alter von 54 Jahren, auf den zweiten Platz bei den 24 Stunden von Le Mans. Aber auch das ist nur ein Bild von Glück, das Bild eines Mannes, der aus dem Cockpit klettert und eine teure Uhr trägt. Was wirklich zählte, war vermutlich in den Gehäuseboden graviert, oder aber man konnte es sehen, wenn eine Nahaufnahme hinter seine blauen Augen zu blicken schien.