Mittwoch, Februar 5

Beim Bund stapeln sich 5000 unbearbeitete Gesuche für den Schutzstatus S. Nun wird das Personal aufgestockt – auch um Anträge von Roma-Gruppen genauer zu prüfen.

Was derzeit in der Asylpolitik nicht funktioniert, lässt sich anhand eines simplen Zahlenbeispiels illustrieren. Im Frühjahr 2022, wenige Wochen nach Ausbruch des Ukraine-Krieges, rechnete das Staatssekretariat für Migration (SEM) bis im Herbst mit 80 000 bis 120 000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die in der Schweiz ein Gesuch für den Schutzstatus S einreichten.

Schon nach wenigen Monaten zeigte sich, dass die Prognose viel zu pessimistisch war. Bis Mitte September stieg die Zahl der Gesuche zwar auf 65 000 an. Bis die Marke von 80 000 überschritten war, dauerte es aber noch bis Mitte März 2023. In den nächsten Tagen wird das SEM das 100 000. Gesuche registrieren. Das sind immer noch 20 000 Gesuche weniger, als das Staatssekretariat für die ersten Monate nach Kriegsausbruch prognostiziert hatte. Trotzdem stapeln sich in Bern mittlerweile 5000 unbearbeitete Gesuche – und es kommen wöchentlich neue hinzu.

Mit dem Kriegsverlauf lässt sich der Pendenzenberg jedenfalls nicht erklären. Die Frontlinien haben sich in den vergangenen Monaten kaum verschoben. Zudem hat die ukrainische Regierung ihre Staatsangehörigen zur Rückkehr aufgerufen; das Land braucht Arbeitskräfte und Soldaten. Das spiegelt sich auch in der wöchentlichen Gesuchsstatistik des SEM. Seit Oktober 2022 wurden pro Woche im Durchschnitt nie mehr als 100 Gesuche für den Status S gestellt. In den ersten Wochen nach Kriegsausbruch waren jeweils über 1000.

Bewilligungsquote von 97 Prozent

Die Statistik zeigt, dass seit einigen Wochen deutlich weniger Gesuche für den Schutzstatus S bewilligt werden, als bei SEM eingehen. In den letzten Wochen seien im Durchschnitt etwa 30 Prozent der Gesuche abgelehnt worden, teilt dazu das SEM mit. Das ist eine enorme Steigerung, zumal die Bewilligungsquote über die ganzen zwei Jahre seit Kriegsbeginn über 97 Prozent liegt.

Die Zahl der Gesuche für den Schutzstatus S hat sich eingependelt

Gewährte Gesuche pro Woche

Dass das SEM nun dennoch 5000 Gesuche im Rückstand ist, erklärt der SEM-Sprecher Daniel Bach so: «Der allgemeine Kontext hat sich verändert, weil seit dem Kriegsausbruch zwei Jahre vergangen sind.» Das SEM müsse bei neuen Gesuchen für den Status S insbesondere abklären, ob die Betroffenen bereits in einem anderen europäischen Land Schutz erhalten haben. «Zudem wird auch die Abklärung der Frage schwieriger, ob jemand, der ein Gesuch um Status S stellt, den Lebensmittelpunkt vor Ausbruch des Krieges tatsächlich in der Ukraine hatte.» Dies bedeute, dass der Aufwand für die Abklärungen spürbar gestiegen ist und oft deutlich mehr Zeit in Anspruch nehme als früher.

Im zweiten Halbjahr 2023 habe die durchschnittliche Verfahrensdauer noch 24 Tage betragen, teilt das SEM mit. Für das laufende Jahr lägen noch keine belastbaren Zahlen vor, die Verfahren würden aber im Durchschnitt sicher länger dauern.

Dies dürfte auch mit den jüngst bekannt geworden Problemen mit Roma-Gruppen zu tun haben. Mehrere Kantone haben sich beklagt, dass diese Gruppen teils mit gefälschten oder illegal erworbenen Pässen unterwegs seien, Wohnungen verwüsteten und dann spurlos verschwänden. Der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth hat inzwischen einen Vorstoss eingereicht, der den Bundesrat auffordert, den Schutzstatus S so anzupassen, dass Missbräuche verhindert werden können. Gegenüber den Tamedia-Zeitungen hat das SEM mittlerweile bestätigt, dass in der Ukraine Identitätspapiere teils illegal hergestellt und verkauft würden.

Das SEM prüfe diese Gesuche sehr genau und lehne sie ab, wenn es Hinweise darauf gibt, dass diese Personen vor Ausbruch des Krieges nicht in der Ukraine gelebt haben oder wenn sie ihre Identität nicht belegen und klären können, sagt Bach dazu. Offiziellen Zahlen zufolge lebten vor dem Krieg 48 000 Roma in der Ukraine. Inoffizielle Schätzungen gehen dagegen von bis zu 400 000 aus.

Über 40 Vollzeitstellen für Status-S-Gesuche

Das SEM hat nun reagiert und eine Taskforce für die Ukraine-Flüchtlinge gegründet. Dabei handelt es sich um ein Team mit aktuell 34 Vollzeitstellen, das allein für die Bearbeitung der Status-S-Gesuche zuständig ist. Zudem ist «in absehbarer Zeit» eine Aufstockung um weitere neun Vollzeitstellen geplant, wie Bach mitteilt.

Dabei handle es sich nicht um zusätzlich eingestelltes Personal, sondern um SEM-Mitarbeitenden, die man in anderen Bereichen «zusammengekratzt» habe, wo Aufgaben weniger dringend sind und zurückgestellt werden können. Als Beispiel nennt Bach Mitarbeitende, die sonst für das momentan sistierte Resettlement-Programm zuständig sind. «Aber es ist so: andere Bereiche leiden darunter.»

Auch abgesehen von den Ukraine-Flüchtlingen stapeln sich im SEM die Pendenzen. Zu den 5000 Gesuchen für den Schutzstatus S kommen 15 000 hängige Gesuche im ordentlichen Asylverfahren. Letztmals war diese Zahl im November 2017 so hoch. Damals verzeichnete das SEM über 21 000 hängige Gesuche. Noch höher lag die Zahl auf dem Höhepunkt der europäischen Asylkrise im Februar 2016 mit über 31 000 hängige Asylgesuche.

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