Sonntag, Oktober 27

Ab nächstem Jahr können in den Schweizer Zivilgerichten Verhandlungen bald per Video- oder Telefonkonferenz durchgeführt werden. Was bedeutet das für den Datenschutz?

Während der Corona-Pandemie erliess der Bundesrat befristete Regelungen zum Einsatz von Video- und Telefonkonferenzen in Zivilverfahren, die Ende 2022 ausgelaufen sind. Doch nun kommt die damalige Notlösung dauerhaft zurück. In der revidierten Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), die am 1. Januar 2025 in Kraft treten wird, steht, dass mündliche Prozesse in Zivilverfahren künftig auch mittels Video- oder Telefonübertragung durchgeführt werden können.

Was im Büro schon lange Alltag ist, hat nun auch die Justiz erreicht. Ab nächstem Jahr können Kläger, Beklagte und Zuschauer Gerichtsverhandlungen per Livestream verfolgen. Dafür müssen natürlich bestimmte technische Voraussetzungen sowie Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit erfüllt sein. Diese hat der Bundesrat am 16. Oktober 2024 im definitiven Text der Verordnung verankert und dabei – im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf – die Anforderungen verschärft. Die Verordnung wird ebenfalls am 1. Januar 2025 in Kraft gesetzt.

Eine Verpflichtung der Gerichte, die Prozesshandlungen mittels Video- oder Telefonkonferenz durchzuführen, besteht nicht. Es liegt im Ermessen des jeweiligen Gerichts, ob die Verhandlung via Livestream zugänglich sein soll oder nicht. Zwar werden im Rahmen der Justizreform «Justitia 4.0» die Verhandlungsräume mit der notwendigen technischen Infrastruktur ausgestattet. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass ein flächendeckendes Angebot für Prozesshandlungen mittels Livestream per 1. Januar 2025 verfügbar ist.

Für eine virtuelle Gerichtsverhandlung sind zwei Varianten vorgesehen: Das Gericht kann entweder die Prozesshandlungen mit dem Einverständnis der Parteien für alle Verfahrensbeteiligten mit elektronischen Mitteln durchführen. In diesem Fall nehmen die Verfahrensbeteiligten per Video- oder Telefonkonferenz an der Gerichtsverhandlung teil. Dasselbe Recht gilt für die Gerichtsbesetzung. Alternativ dazu wird die Möglichkeit hybrider Konferenzen geschaffen. In diesem Fall findet die eigentliche Verhandlung wie bis anhin im Gerichtssaal statt, jedoch können am Verfahren beteiligte Personen online zugeschaltet werden.

Sofern keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen dagegensprechen, kann das Gericht künftig Zeugeneinvernahmen oder Parteibefragungen mittels Livestream durchführen – auch ohne Antrag oder Zustimmung der Parteien. Befindet sich ein Zeuge oder eine Partei im Ausland, haben die Gerichte weiterhin die Gebietshoheit fremder Staaten zu beachten. Vorladungen ins Ausland und Beweisaufnahmen im Ausland müssen deshalb stets auf dem Rechtshilfeweg erfolgen.

Live-Gerichtsverhandlungen für alle?

In der Schweiz besteht grundsätzlich ein verfassungsmässiges Recht auf öffentliche Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung. Sprechen keine gewichtigen Geheimhaltungs- oder Persönlichkeitsinteressen gegen eine Verhandlung vor Publikum, bedeutet das, dass jede Person einer Gerichtsverhandlung als Zuschauer beiwohnen kann.

Dass Gerichtsverhandlungen künftig nicht nur öffentlich sind, sondern unbeschränkt und unlimitiert via Livestream verbreitet werden, wirft allerdings datenschutzrechtliche und sicherheitspolitische Fragen auf. Wie kann verhindert werden, dass schweizerische Gerichtsverhandlungen zu Spionagezwecken oder für kriminelle Handlungen missbraucht werden?

Eine Vorsichtsmassnahme besteht darin, dass sich interessierte Zuschauer mindestens drei Tage im Voraus beim Gericht anmelden müssen. Spätestens einen Arbeitstag vor der Prozesshandlung erhalten die angemeldeten Personen die erforderlichen Log-in-Daten. Den Verfahrensbeteiligten und Zuschauern ist es verboten, weiteren Dritten den Zugang zu ermöglichen oder die Gerichtsverhandlung aufzunehmen. Die Aufzeichnung der Verhandlung obliegt einzig dem Gericht oder von diesem beauftragten Dritten.

Datensicherheit und Datenschutz

Der Datenschutz soll die Privatsphäre und die Persönlichkeitsrechte Betroffener schützen, wenn Daten über sie bearbeitet werden. «Bearbeitet» ist deshalb ein weit gefasster Begriff, der jeden Umgang mit Personendaten betrifft: speichern, beschaffen, aufbewahren, verwenden, verändern, bekanntgeben, archivieren oder vernichten. Die Datensicherheit schützt Personendaten durch ausreichende technische und organisatorische Massnahmen gegen unbefugtes Eindringen und Bearbeiten, gemeinhin Hacking genannt.

Um die Sicherheit der Datenverarbeitung zu garantieren, müssen sich die Server, über die der Livestream aus dem Gerichtssaal realisiert werden soll, in der Schweiz oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union befinden. Die Übertragung muss zudem während des gesamten Übertragungsvorgangs verschlüsselt erfolgen. Die Infrastruktur und Software darf ausschliesslich dem Gericht zur Verfügung stehen.

So sollen sowohl das Öffentlichkeitsprinzip als auch die Datensicherheit gewahrt bleiben.

Urs Feller ist Partner, Mohamed Hasnaoui ist Associate der Zürcher Kanzlei Prager Dreifuss. Sie sind unter anderem auf Prozessführung und Schiedsverfahren spezialisiert. Der Text erscheint in der Serie «Recht und Gesellschaft».

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