Donnerstag, November 28

Darts erlebt einen verblüffenden Boom; am Wochenende gastieren die Stars erstmals in der Schweiz, und zwar in Basel. Zu den Aushängeschildern gehört der zweifache Weltmeister Peter Wright, der sich als Teenager nicht einmal eine Dartsscheibe leisten konnte.

Im November 2007 sitzt Peter Wright auf seiner Couch, schaut am TV den «Grand Slam of Darts» und sagt zu seiner Frau Joanne: «Viele dieser Typen würde ich schlagen.»

Aus Wright spricht nicht die weit verbreitete Hybris normaler Sportkonsumenten, die sich selbst belügen, wenn sie bei Veranstaltungen von internationalem Niveau finden: Da könnte ich auch noch mitspielen; vor 20 Jahren auf dem Pausenplatz habe ich es allen gezeigt. Nur dummerweise: Das Knie.

Wright hatte zwölf Jahre zuvor an der Darts-WM teilgenommen, seine Karriere dann aber beendet, weil der Sport so sehr in der Nische gefangen war, dass sich damit kein Geld verdienen liess. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, als Lagermitarbeiter, Reifenmonteur und Rohrverleger. Drei Pfund und 50 Pence gab es dafür pro Stunde, und eher nicht die ganz grosse berufliche Erfüllung. Wenn man ihn fragt, wie er mit so wenig Geld über die Runden gekommen sei, entgegnet er, das sei doch halb so wild, die Lebensmittel hätten damals ja weniger gekostet: «Ich bin ein alter Mann, das ist lange her».

Doch vielleicht half ihm auch einfach die Lebenserfahrung: Seinen Vater lernte er nie kennen; mit der Mutter floh er aus Schottland in eines der ärmsten Viertel Londons, ins karge, trübe England von Margareth Thatcher. Weil eine Dartsscheibe zu teuer war, warf er seine Pfeile auf Bäume.

An Wrights Lebensentwurf hätte sich ohne die Welt der Darts vermutlich wenig geändert. Doch Joanne, eine Friseurin, ermutigt ihn zu einem Comeback, sie finanziert es mit den Einnahmen aus ihrem Coiffeur-Salon. 37 ist Wright da, in einem Alter, in dem man in vielen Sportarten zu den Senioren abgeschoben wird.

Im ersten Jahr verdient Wright 1200 Pfund. In einer ganzen Saison. «Hat zuerst nicht so gut funktioniert», sagt Wright lachend. Zwar hält er Wort und gewinnt regelmässig Partien gegen Spieler, die er vor kurzem noch am Bildschirm verfolgt hat. Trotzdem verläuft sein zweiter Anlauf im Darts-Kosmos so schleppend, dass das Paar 2013 kurz vor der Aufgabe steht. «Wir mussten uns eingestehen, dass das Leben als Profi zu wenig abwirft. Das Geld reichte einfach nicht. Wir entschieden, dass die WM 2014 meine letzte sein würde», sagt Wright. Dort stürmt er ins Finale, was 100 000 Pfund Preisgeld einbringt – die Rücktrittsgedanken sind plötzlich weit weg.

Wright erhält von seiner Ehefrau 240 Franken Sackgeld pro Woche – er sagt, das genüge ihm

Jetzt, etwas mehr als zehn Jahre später sitzt er wieder auf seiner Couch. Aber dieses Mal, weil er ein gefragter Mann ist und einen Interviewmarathon absolvieren muss.

Aus dem Grossmaul vor dem TV ist ein internationaler Star geworden, ein zweifacher Weltmeister und Multimillionär. Wobei er sagt, dass sich für ihn wenig verändert habe, finanziell: Von seiner Frau (und Managerin) erhalte er eine Art Sackgeld in der Höhe von knapp 240 Franken pro Woche, mehr Geld brauche er nicht. Jedenfalls nicht, solange er Pfeile werfen könne, das bringe ihm genügend Kurzweil.

Sein Aufstieg erzählt auch davon, welche Entwicklung dieser Sport genommen hat. Lange wurde wurde Darts als Zeitvertrieb in den Pubs für angeheiterte Wampenträger belächelt. Heute begeistert sich ein Millionenpublikum für die Darts; der Dachverband Professional Darts Corporation (PDC) darf sich über Traumquoten freuen und setzt jährlich gegen 60 Millionen Franken um. Es gibt Turniere in den USA, in Australien und in weiten Teilen Europas.

Matt Porter, der Chef der PDC, dürfte recht haben, wenn er sagt: «In Grossbritannien wissen mehr Menschen, wer Michael van Gerwen ist als wer der schnellste britische Leichtathlet ist.» Van Gerwen, ein glatzköpfiger Niederländer, ist mehrfacher Darts-Weltmeister.

Am Freitag gastiert die prestigeträchtige PDC-Tour erstmals in der Schweiz; Van Gerwen und Wright gehören in der Basler St. Jakobshalle zu den Publikumsmagneten. Wright ist inzwischen 54, und ein wenig scheint ihm die Entwicklung selbst unheimlich zu sein. Er sagt: «Vergangene Woche war ich in Budapest in einem Supermarkt und die Leute haben sehr aufgeregt gesagt: ‹Das ist Peter Wright!›. Und ich habe geantwortet: ‹Ja, ja, ist es. Und das in Budapest. Ist schon seltsam. Ich bin ein Typ, der lieber seine Ruhe hat. Aber hey, es ist schön, dass der Sport noch immer wächst. Und die Leute sich dafür begeistern. In den Pubs rund um meinen Wohnort kann man ohne Reservation gar nicht mehr spielen, weil die Scheiben immer belegt sind. Mich freut das.»

Wright hat einiges dazu beigetragen, den Sport populärer zu machen. Seine Outfits sind mitunter so schrill, dass man in Basel selbst an der Fasnacht sagen würde: Ganz so ausgefallen muss es vielleicht doch nicht sein. Sie sind oft so farbenfroh dass man Wright ausserhalb der Darts-Arenen verdächtigen müsste, Musiklehrer an einer Waldorfschule zu sein. Wright ist ein Showman, ein Entertainer, dessen Kapriolen dabei zuträglich waren, den Sport telegen zu machen und gleichzeitig die Hallen zu füllen. Das Überdrehte ist Teil des Faszinosums; fast alle Spieler haben knallige Spitznamen. Die Outfits im notorisch trinkfreudigen Live-Publikum gemahnen in ihrer Geschmacklosigkeit oft an Tenues eines Junggesellenabschieds.

Wright muss sich inzwischen mit Kontrahenten messen, die seine Enkel sein könnten

Und doch verströmt der Zirkus eine grosse Anziehungskraft. Es geht um Konstanz, um Präzision und nicht zuletzt um Nervenstärke. 501 Punkte müssen runter gespielt und mit einem Doppeltreffer beendet werden. Das geht in nur neun Würfen; Darts ist ein in horrendem Tempo vorgetragenes Drama; «Fernsehheroin» schrieb die Süddeutsche Zeitung vor ein paar Monaten und traf es damit ziemlich gut. Es hilft, dass es nicht an Aussenseitern mangelt, mit denen man gerne mitfiebert. Wright ist einer davon, auch weil er nicht zerfressen wirkt vom Ehrgeiz.

Die Frage ist, wie lange er noch mithalten kann in einem Sport, der jünger zu werden scheint. Wright trägt inzwischen oft Brille, man sieht ihm die 54 Jahre an – und er muss sich inzwischen mit Konkurrenten messen, die seine Enkel sein könnten. An der WM im Januar im liebevoll «Ally Pally» genannten Alexandra Palace in London, dem Dart-Happening des Jahres, schaffte es der damals 16-jährige Brite Luke Littler in den Final.

Wright sagt, er sehe keinen Grund aufzuhören, solange er mithalten könne: «Steve Beaton ist 60 und noch immer auf der Tour. Mich treibt das eher an, es den Jungen zu zeigen, dass ich es noch drauf habe.» Vor drei Wochen bewies er das am «German Darts Championship» in Hildesheim. Er feierte seinen ersten Saisonsieg – und brach danach in Tränen aus, so emotional war der Triumph.

In der Schweiz, sagt Wright, sei er noch nie gewesen, er habe keinerlei Verbindung zu diesem Land. Es wäre keine Überraschung, würde er es schätzen lernen in den kommenden Tagen, die hiesige Diskretion. Man kann davon ausgehen, dass ihn niemand anspricht, wenn er im Migros zwischen den Regalen flaniert.

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