Montag, Oktober 28

Der Tabakkonzern Philip Morris kann im Verkauf seiner Iqos-Geräte mehr Marge abschöpfen als im Geschäft mit Zigaretten. Rauchern ihre alten Gewohnheiten abzugewöhnen, ist indes schwierig.

Die letzte Zigarette hat Massimo Andolina, der Europachef des Tabakkonzerns Philip Morris International (PMI), vor 15 Jahren geraucht. Ein starker Raucher sei er nie gewesen, beteuert der Manager in seinem Lausanner Büro mit prächtiger Aussicht auf den Genfersee.

Kein Rauch mehr

Statt zur Zigarette greift der Italiener mittlerweile gelegentlich zu einem Tabakerhitzer. Als leitender Angestellter von PMI kann er kaum anders, als selbst Erfahrungen mit dieser Technologie zu sammeln. Tabakerhitzer sind handliche Geräte mit der Grösse ungefähr eines Leuchtstifts, bei denen Tabak auf elektronischem Weg erhitzt wird. Dabei entsteht nikotinhaltiger Dampf, aber kein Rauch.

PMI bewirbt die Tabakerhitzer unter dem Markennamen Iqos mit riesigem Aufwand. Der Konzern, der seinen Sitz in den USA hat, operativ aber zum Grossteil von Lausanne aus gesteuert wird, preist die Systeme als Alternative zu Zigaretten an. Weil es keinen Verbrennungsprozess gebe, sei die Konzentration von schädlichen chemischen Bestandteilen im nikotinhaltigen Dampf der Geräte deutlich niedriger als bei Zigarettenrauch.

Umstrittene Schadenminimierung

Gesundheitsfachleute bestreiten die geringe Schädlichkeit, die PMI zusammen mit anderen Zigarettenherstellern den Tabakerhitzern attestiert. Luc Lebon arbeitet als Wissenschafter am Universitätszentrum für Allgemeinmedizin und Gesundheitswesen (Unisanté) in Lausanne und leitet dort den Bereich Tabakprävention. «Ich würde Tabak zum Erhitzen nicht als Alternative zu Zigaretten oder als Hilfe zum Rauchstopp empfehlen», sagt er. Diese Produkte würden dieselben toxischen Substanzen wie konventionelle Zigaretten enthalten, lediglich in geringerer Konzentration.

Als Andolina vor 15 Jahren seine letzte Zigarette rauchte, hatte PMI eben die ersten Prototypen für die Tabakerhitzer entwickelt. Als Manager testete der gebürtige Sizilianer sie zusammen mit weiteren Kaderleuten frühzeitig. Erstmals auf den Markt gelangte das Tabakheizsystem von PMI vor zehn Jahren. Es entwickelte sich rasch zu einem Umsatzrenner. Inzwischen bringt es dem Unternehmen über 10 Milliarden Dollar pro Jahr ein.

Werben im Verwandten- und Freundeskreis

Das liegt auch dran, dass PMI seit Jahren grosse Summen in die Vermarktung der Tabakerhitzer investiert. Das Unternehmen bewirbt die Produkte sowohl in eigenen Läden und in Duty-free-Läden wie auch in den sozialen Netzwerken. Daneben spielt Mundpropaganda eine grosse Rolle. Raucher, vor allem ab einem gewissen Alter, gelten aber als ausgesprochen scheu gegenüber Veränderungen. «Viele wechseln ein Leben lang nicht einmal die Zigarettenmarke», sagt Andolina.

Umso hilfreicher ist es für die Anbieter der noch immer relativ neuen Technologie, wenn Raucher im Verwandten- oder Bekanntenkreis darauf aufmerksam werden. Andolina warb selbst unter Familienmitgliedern für Iqos und verschenkte einige Exemplare mitsamt den Sticks, die wie – verkürzte – Zigaretten aussehen und zum Rauchen jeweils in die Heizysteme gesteckt werden müssen.

Der Erfolg war allerdings mässig. Eine Tante zog es vor, den Tabakerhitzer diskret in einer Schublade verschwinden zu lassen. Bei anderen Verwandten stiess Andolina auf ähnlichen Widerstand.

Zweiwöchige Eingewöhnungszeit

Die Tabakerhitzer sind tatsächlich gewöhnungsbedürftig. Man habe die Erfahrung gemacht, dass neue Nutzer sie mindestens zwei Wochen am Stück verwenden müssten, sagt Andolina. Erst dann sei der Übergang geschafft. Ein grosses Hindernis ist offenbar der Geschmack. Viele Raucherinnen und Raucher tun sich schwer mit den Sticks, die trotz ihrem ähnlichen Aussehen anders als Zigaretten schmecken.

Um den Wechsel zu erleichtern, bietet PMI in vielen Märkten auch Tabakmischungen mit Menthol oder dem Aroma von Waldfrüchten an. Vor allem mit Menthol scheint der Konzern viele Raucher angelockt zu haben. In Italien, wo PMI mit 2,5 Millionen Nutzern den grössten Kundenstamm in Europa aufgebaut hat, brachte es diese Geschmacksvariante bis anhin auf einen Anteil von 30 Prozent. In Polen und Ungarn entfielen sogar 50 Prozent der Verkäufe darauf. Ähnlich beliebt sind die Sticks mit Mentholgeschmack in der Schweiz.

Ärger über Entscheid aus Brüssel

Einen Dämpfer versetzte indes dem Geschäft der Entscheid der EU, per Ende Oktober 2022 den Verkauf von Sticks mit Aromen zu untersagen. Brüssel will mit dem Verbot primär verhindern, dass Jugendliche zum Tabakkonsum verführt werden.

Innerhalb der EU erreichen die Tabakerhitzer von PMI die höchste Marktdurchdringung weltweit. In Stückzahlen gerechnet, entfielen 37 Prozent der Verkäufe in den ersten neun Monaten dieses Jahres auf Geschäfte mit europäischen Kunden. «Der EU-Beschluss verursachte ein Chaos unter Konsumenten», beklagt Andolina. Erwachsene Raucher, die aufgrund der Aromen auf IQOS umgestiegen seien, hätten keine andere Wahl gehabt, als sich nach Alternativen umzusehen. Die Leute seien gezwungen gewesen, sich nach Alternativen umzusehen – mit dem Risiko, auf Zigaretten zurück zu wechseln.

Tatsächlich begannen, so vermutet man bei PMI, zwei Drittel von ihnen, wieder herkömmliche Zigaretten zu rauchen. Der Rest dürfte auf E-Zigaretten umgestellt haben, die Fachleute wie Lebon von allen Alternativen zu Zigaretten als am wenigsten schädlich einstufen. Ähnlich wie Nikotinbeutel, die sich Konsumenten unter die Oberlippe schieben, enthalten sie keinen Tabak. Doch auch diese beiden Produkte machen wegen ihres Nikotingehalts süchtig.

Ausgezeichnete Geschäfte im dritten Quartal

Der Riese PMI hat alles im Angebot. So gesehen ist es für ihn verschmerzbar, wenn er wegen der Einschränkungen in der EU manche Iqos-Kunden nicht halten konnte.

Im zurückliegenden dritten Quartal lief es dem Unternehmen ohnehin ausgezeichnet. Der Umsatz stieg weltweit um 8 Prozent auf fast 10 Milliarden Dollar. Im Geschäft mit sogenannten rauchfreien Produkten, also den Tabakerhitzern, E-Zigaretten sowie Nikotinbeuteln, betrug das Wachstum 14 und bei Zigaretten 5 Prozent.

Mit knapp 62 Prozent steuern die Zigaretten noch immer den grössten Teil zum Konzernumsatz bei. Bei allen Beteuerungen, Raucher weg vom Glimmstengel zu bringen, ist PMI weiterhin in erster Linie ein Tabakkonzern.

Das Unternehmen profitiert davon, dass selbst in Europa, wo Regierungen laufend die Steuern auf Zigaretten erhöht und Werbemassnahmen für den Tabakkonsum eingeschränkt haben, fast ein Viertel der Bevölkerung Raucher sind. In der Schweiz greifen laut dem Bundesamt für Statistik 18 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen täglich zu Zigaretten. Gelegentlich tun dies 27 bzw. 21 Prozent.

Deutschland verbietet Nikotinbeutel

In der Medienmitteilung zum Quartalsabschluss begründet PMI den jüngsten Umsatzsprung im Geschäft mit Zigaretten treuherzig damit, dass in vielen Ländern Alternativen zu Zigaretten weiterhin nicht zugelassen seien. So ist beispielsweise der Verkauf von Tabakerhitzern in Brasilien, Argentinien und in der Türkei untersagt. In all diesen drei Ländern ist Rauchen nach wie vor stark verbreitet. Weltweit wird die Zahl der Zigarettenraucher von der Weltgesundheitsorganisation auf eine Milliarde beziffert.

Deutschland hat wie Belgien und jüngst die Niederlande die Vermarktung von Nikotinbeuteln verboten. Ausgerechnet im grössten europäischen Markt auf dieses wachstumsträchtige Geschäft verzichten zu müssen, sorgt bei PMI für Unmut.

Vorsprung auf British American Tobacco und JTI

Die Nikotinbeutel haben den Vorteil, dass sie sich beinahe unbemerkt konsumieren lassen. Anders als bei den Tabakerhitzern und den besonders bei Jugendlichen beliebten E-Zigaretten entstehen keine Aerosole, durch die sich Umstehende belästigt fühlen könnten. Der Konsum von Nikotinbeuteln sei derart diskret, dass er sich sogar fürs Büro eigne, schwärmt man bei PMI.

In erster Linie will der Tabakkonzern aber weiterhin das Geschäft mit Tabakerhitzern ankurbeln. Er profitiert von einem deutlichen Vorsprung auf Konkurrenten wie British American Tobacco und Japan Tobacco International (JTI), die später in dieses Segment eingestiegen sind.

In Europa, wo sich die Technologie bislang am stärksten durchgesetzt hat, bringt es PMI laut Andolina auf einen Marktanteil von 84 Prozent. Wer derart dominant auftritt, hat wenig Preisdruck zu befürchten.

Steuervorteile erlauben Preissenkungen

Tabakerhitzer sind für den Multi aber vor allem aus steuerlichen Gründen ein lukratives Geschäft. Weil die Sticks deutlich schwächer als Zigaretten besteuert werden, verbleibt ein deutlich grösserer Anteil des Erlöses in seiner Kasse. Wie gross die Differenz ist, zeigt sich am Beispiel des Schweizer Marktes. Zwar lamentiert man bei PMI über die jüngst beschlossene Steuererhöhung des Bundes von 12 auf 16 Prozent. Doch bei Zigaretten betragen die Abgaben über 50 Prozent.

Der Steuervorteil ermöglicht Herstellern wie PMI, Sticks für Tabakerhitzer zu niedrigeren Preisen als Zigaretten zu offerieren. Künftig will der Konzern preislich noch attraktivere Angebote machen.

Bis anhin verkaufen sich die Tabakerhitzer weltweit am besten in Grossstädten, wo sich die Bevölkerung tendenziell einer höheren Kaufkraft erfreut. Die Landbevölkerung hängt nach wie vor an Zigaretten. Aber auch sie ist ein lukratives Kundensegment für die Tabakbranche.

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