Der CDU-Politiker Philipp Amthor plädiert dafür, die parlamentsrechtlichen Tricks gegen die AfD einzustellen – und stattdessen eine souveräne bürgerliche Politik zu machen. Die Hysterie des deutschen Politikbetriebs überzeuge niemanden.
Herr Amthor, Ihr Parteivorsitzender Friedrich Merz hat vor der Wahl verkündet, links sei in Deutschland vorbei. Angesichts der neuen deutschen Verschuldung und der Koalition mit der SPD hat man daran grösste Zweifel.
Friedrich Merz behält recht. Es ist jedenfalls Schluss mit einer linken Chaosregierung. Dieser Vertrag ist das klare Gegenteil von dem, was die linke Ampelregierung uns über die letzten Jahre beschert hat. Natürlich ist es aber auch ein Vertrag, der von Kompromissen lebt. Das gehört dazu, übrigens auch zu bürgerlicher Politik. Es bleibt aber dabei: Links ist vorbei.
Ihre Partei hat den heissen Atem der AfD im Nacken. Können Sie damit den weiteren Aufstieg dieser Partei verhindern?
Ich mache die Politik, die ich für richtig halte und nicht, weil mir irgendein heisser Atem der AfD im Nacken sitzt. Da wird mir eher übel, wenn ich daran denke. Ich halte es für katastrophal, wenn Politik von der AfD abhängig gemacht wird. Nein, wir müssen einen Politikwechsel schaffen, weil er für das Land notwendig ist. Und die CDU braucht auch ein Selbstbewusstsein, das sich nicht in Abhängigkeit von der AfD definiert. Gerade deshalb wünsche ich mir auch eine härtere Auseinandersetzung in der Sache mit der AfD.
Hat die CDU diese unabhängige Politik in der Vergangenheit eingelöst? Mein Eindruck ist, dass es in Deutschland seltsame Skrupel gibt: Selbst in der CDU sehen viele Politiker schon ein Problem darin, mit der AfD zu stimmen. Wie eine selbstbewusste, eigenständige Politik wirkt das nicht.
Der Umgang mit der AfD ist oftmals so hyperventilierend, dass die inhaltliche Debatte kaum mehr zu erkennen ist. Dabei sollte im Vordergrund stehen, warum wir die AfD aus inhaltlichen Gründen ablehnen. Wenn man das ausblendet und stattdessen versucht, Themen zu ignorieren, stärkt das die AfD. Die Realität ist dafür ein Beleg.
Ihr Partei-Kollege Jens Spahn hat erst gerade für einen normalen Umgang mit der AfD im Parlament geworben. Sprich, die Partei soll – wie alle anderen Parteien – auch Vorsitze für Ämter bekommen. Allein dies löst in Deutschland Empörung aus.
Jens Spahn wurde aus meiner Sicht missverstanden. Er hat nicht für eine Bagatellisierung der AfD geworben, sondern ganz im Gegenteil: Er hat ein Plädoyer für eine leidenschaftliche und inhaltliche Auseinandersetzung und für eine Abgrenzung gehalten. Uns muss doch schon klar sein: Wir werden die AfD nicht mit parlamentsrechtlichen Tricks und Spielchen besiegen können, sondern nur mit der Kraft der besseren Argumente. Wir müssen uns immer vor Augen führen: Viele Bürgerinnen und Bürger wählen die AfD nicht, weil sie extremistisch ist. Sie wählen die AfD, weil sie glauben, dass die etablierten Parteien ihre konkreten Anliegen nicht lösen. Deswegen müssen wir die Auseinandersetzung inhaltlich führen und nicht über Förmeleien.
Ist Deutschland ein hysterisches Land?
Unser Land ist so schön, nehmen Sie bitte nicht ganz Deutschland in Haftung. Es lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass im politischen Betrieb in Deutschland oft eine gewisse Hysterie herrscht. Mit Hysterien überzeugt man jedoch niemanden. Souveränität erscheint mir da als die weitaus bessere Antwort.
Der Schweizer Ansatz wäre eher, mit der AfD zumindest einmal zu sprechen. Sich ergebnisoffen an einen Tisch zu setzen und einmal zu schauen, ob es auf bestimmten Feldern gemeinsame Interessen gibt. Warum hat die Union dies ausgeschlossen und sich damit den Linken ergeben?
Ich mag die Schweiz. Aber wir befinden uns in einer anderen Lage. In der Schweiz mag es möglich sein, unterschiedliche Optionen einfach einmal auszuprobieren. Da stimmt man mal mit dieser, mal mit jener Partei. Die Welt erwartet von Deutschland allerdings die Bildung einer stabilen Regierung. Selbst wenn man ein Gedankenexperiment machen und sich sagen würde, dass die AfD inhaltlich gar nicht so schlimm wäre: Glaubt wirklich jemand, dass daraus eine stabile Regierung hervorgehen könnte? Das ist vollkommen ausgeschlossen. Die sind in keiner Weise regierungsfähig. Schon aus diesem Grund ist es vollkommen richtig, dass wir jetzt mit der SPD zusammenarbeiten.
Was sind Ihre grössten Vorbehalte gegenüber der AfD?
Ich sehe eine Partei, die sich in den letzten Jahren immer weiter radikalisiert hat, die sich nicht abgrenzt vom Extremismus, die das Parlament nicht als Ort der Debatte und des Austausches nutzt, sondern nur als Rampe, als Bühne für das eigene Publikum, für ein Verächtlichmachen der politischen Gegner. Ich sehe nichts, was ich als konservativ verstehen würde. Es gibt in dieser Partei kein positives Verhältnis zu den deutschen Institutionen, keinen gemässigten sachlichen Diskurs, kein Zügeln der Emotionen. Sie geht den Weg eines autoritär-populistischen Stils und nicht den Weg bürgerlich-konservativer Politik. Die AfD ist von einer bürgerlichen Partei so weit entfernt wie die Linkspartei.
Friedrich Merz ist einst angetreten, um die AfD zu halbieren. Mittlerweile liegt die Union mit der Partei in Umfragen gleichauf. Was machen Sie falsch?
Wir sprachen bereits über Hysterie. Es wäre völlig unseriös, die eigene Politik jede Woche nach aktuellen Umfragen auszurichten. Genau das hat mich an der Zeit der Regierung unter Angela Merkel oft gestört, dass Politik nach Umfragen gemacht wurde. Ich mache Politik nach Inhalten. Das ist viel wichtiger und da sollte man sich auch nicht verrückt machen lassen, wenn es einmal an einigen Tagen in den Umfragen nicht so gut läuft. Nun haben wir einen Politikwechsel eingeleitet. Wenn die Wirtschaft wieder wächst und wenn die Migration wieder gesteuert wird, dann wird diese Politik bei den Menschen auch ankommen. Dass sich die AfD in der letzten Wahlperiode nicht halbiert, sondern verdoppelt hat, liegt nicht an uns, sondern an der grottenschlechten Regierung der linken «Ampel». Das war wirklich Öl in das lodernde Feuer der AfD.
Lassen Sie uns über Ihre Karriere reden. Ihre Mutter war alleinerziehend, arbeitete im Callcenter. Würden Sie sagen, dass Sie eine Aufsteigerbiografie haben?
Wenn Sie das so definieren, dann trifft das zu. Allerdings trage ich das auch nicht jeden Tag als Banner vor mir her. In der Berichterstattung wird das Leben von Politikern gern verkitscht und gelabelt. Dann ist man schnell der Konservative oder der Aufsteiger. Ich bin dankbar, dass es in Deutschland möglich ist, durch Leistung und Fleiss den Aufstieg zu schaffen. Das hat mich geprägt und prägt auch mein Gesellschaftsbild. Gleichwohl mache ich nicht den Fehler, von meiner Biografie automatisch auf das Gemeinwohl und die Lebensrealität anderer Bürger in unserem Land zu schliessen.
Sie äussern sich nun recht kritisch zu diesen Etiketten durch die Medien. Tatsächlich haben diese Sie doch auch populär gemacht.
Ja, allerdings ist schon sehr putzig, dass es in Deutschland schon etwas Besonderes ist, wenn man als Politiker ein Jackett trägt, sich die Haare kämmt und auf Etikette achtgibt. Das ist doch auch eine Frage des Respekts vor dem Amt und vor der Institution. Aus meiner Sicht betrifft es nicht nur persönliche Eitelkeit, sondern es ist auch eine Frage der Wertschätzung des Gegenübers. Wenn es rebellisch ist, sich die Haare zu kämmen, dann bin ich gern ein Rebell.
Ist links jetzt vorbei, Philipp Amthor?
Sie sind mit 16 Jahren der CDU beigetreten. In einem Alter, in dem andere kiffen und mit dem Arafat-Tuch in der Gegend herumlaufen. Das ist schon ein bisschen freakig.
Also das wundert mich, dass man da bei Ihnen in der Innerschweiz Arafat-Tücher getragen hat.
Da sehen Sie mal, so divers geht es selbst in stockkonservativen Gebieten in der Schweiz zu und her.
Ich bin, Gott sei Dank, in Ueckermünde, im ländlichen Raum von Mecklenburg-Vorpommern, aufgewachsen. Da war die Welt schon ziemlich in Ordnung. Arafat-Tücher musste man da lange suchen. Trotzdem gab es in der Wahrnehmung vieler Freunde natürlich coolere Sachen, als sich in der Politik einzubringen.
Mit 24 Jahren sind Sie Mitglied des Bundestags geworden, und Sie wurden gleich mit angesprochenen Labels versehen. Der «Spiegel» etwa hat über Sie ein Porträt mit dem Titel «Der Alte» geschrieben. Die «Bild» schrieb von «Merkels Bubi». Man hat sich stark mit Ihrem Äusseren, Ihrer sagenhaften Jugend und einer gewissen Altklugheit auseinandergesetzt. Hat Sie das damals geärgert?
Na ja, also erstrebt habe ich das natürlich nicht, aber ich habe es hingenommen. Ich habe einen Scheinwerfer bekommen, und das war schon einmal viel besser, als nicht beachtet zu werden. Man bleibt aber nur dann relevant, wenn man auch inhaltlich etwas zu sagen hat. Aber es nervte schon ein wenig. Irgendwann war ich dann aber schon sehr froh, als ich nicht mehr ständig als der jüngste Abgeordnete vorgestellt wurde. Was ich wohlgemerkt auch gar nicht war. Es gab einen FDP-Kollegen, der war noch ein paar Monate jünger.
Sie waren besser jung als dieser.
Das weiss ich nicht. Als ich dann ein halbes Jahr mitdiskutiert habe, hiess es im Deutschlandfunk morgens irgendwann erstmals: der CDU-Innenpolitiker. Jetzt werde ich vorgestellt als der Vormals-Junge. Da frage ich mich dann, ob ich nun schon so alt bin.
Jetzt sind Sie 32 Jahre alt. So schnell geht das.
Jens Spahn hat das immer so schön gesagt: Es gibt einen fliessenden Übergang zwischen «der hat ja noch Zeit» und «der ist ja schon ewig dabei». Das geht unmittelbar ineinander über.
Sie tragen an Ihrem Revers stets einen Pin mit der Deutschlandfahne. Dafür würden sich viele deutsche Politiker schämen. Haben viele deutsche Politiker ein gestörtes Verhältnis zur eigenen Flagge und zu ihrem Land?
Ich trage sie mit Stolz, sage aber auch: Was man für sein Land macht, misst sich nicht an der Grösse der Deutschland-Flagge am Revers. Dass Tino Chrupalla von der AfD immer eine viel grössere Deutschland-Flagge trägt, macht ihn zu keinem besseren Politiker. Gleichwohl dürfen wir den Patriotismus nicht den Rechtspopulisten überlassen. Das wäre selbstzerstörerisch. Der Patriotismus gehört in die Mitte der Gesellschaft, er gehört zu bürgerlicher Politik.