Mittwoch, Januar 22

Der Zürcher Mitte-Nationalrat Philipp Kutter denkt, der Alltag als Bundesrat wäre für ihn als Tetraplegiker vielleicht sogar einfacher zu organisieren als ein normaler Bürojob.

Vor knapp zwei Jahren verunfallte Philipp Kutter beim Skifahren im Engadin schwer. Seither ist er gelähmt. In der Reha hat er sich zurück ins Leben gekämpft: Er ist wieder als Nationalrat und als Stadtpräsident von Wädenswil tätig. Nun könnte der Mitte-Politiker Viola Amherd im Bundesrat beerben.

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Philipp Kutter, die grossen Favoriten aus der Mitte haben sich aus dem Bundesratsrennen zurückgezogen. Sie überlegen noch. Was beeinflusst Ihre Entscheidung?

Der wichtigste Faktor ist meine Familie. Ich muss mit meiner Frau und mit meinen Kindern darüber diskutieren. Es wäre ein völlig neues Leben. Da muss ich mich fragen: Kann ich ihnen das zumuten? Meine Töchter sind 10 und 12 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem sie auch mitdiskutieren können.

Abgesehen davon – trauen Sie sich das Amt zu?

Ich habe grossen Respekt vor dieser Aufgabe. Grundsätzlich denke ich, dass ich den nötigen politischen Rucksack mitbringe. Als Stadtpräsident von Wädenswil habe ich, auch wenn man die beiden Ämter nicht direkt vergleichen kann, in den letzten 15 Jahren schon einiges erlebt. Und von der Persönlichkeit her bin ich eigentlich ein Exekutivpolitiker.

Wie meinen Sie das?

Ich suche gerne den Konsens. Und ich will Probleme bewältigen. Es gibt Kolleginnen und Kollegen im Parlament, die wollen vor allem auf Missstände hinweisen, das ist auch sehr wichtig, aber so ein Typ bin ich nicht.

Sie wären der erste Bundesrat im Rollstuhl.

Der Rollstuhl darf eigentlich keine Rolle spielen. Aber er spielt natürlich eine Rolle.

Welche Unterstützung brauchten Sie, um Bundesrat sein zu können?

Ich brauche jemanden, der mich überallhin begleitet. Das erscheint auf den ersten Blick machbar. Bundesräte haben ja immer persönliche Mitarbeiter. Jemand müsste mir helfen, die Jacke anzuziehen, und mir das Glas reichen zum Trinken. Ich denke, der Alltag in dieser Position ist vielleicht sogar einfacher zu organisieren als der eines Tetraplegikers mit Bürojob, der ganz allein zurechtkommen muss.

Der frühere deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, selbst lange im Rollstuhl, sagte einst: «Wer so ein hohes Amt hat, muss ertragen, dass diskutiert wird, ob er gesundheitlich, kräftemässig dazu in der Lage ist.» Halten Sie das aus?

Ich kann die Diskussion nachvollziehen. Die Leute fragen sich natürlich: Kann er das? Hat er die körperliche Konstitution? Ich stelle mir diese Frage ja selbst und versuche immer, zu belegen, dass es geht. Ich mache meine Parlamentsarbeit genau gleich wie alle anderen Parlamentarier. Ich bin präsent. Trotzdem wird diskutiert, das akzeptiere ich.

Der einstige amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt war auf einen Rollstuhl angewiesen, vermied es aber, sich öffentlich darin zu zeigen oder fotografieren zu lassen aus Sorge, nicht mehr ernst genommen zu werden. Beeinflusst der Rollstuhl, wie Sie wahrgenommen werden?

Ich will nicht, dass man mich nur darum wählt, weil ich im Rollstuhl sitze – also mit dem Gedanken der Inklusion, damit man einen Bundesrat hat mit Behinderung. Die Bundesversammlung soll unabhängig vom Rollstuhl beurteilen, wer geeignet ist und das nötige Rüstzeug mitbringt. Ich will ernst genommen werden wie alle andern.

Das Amt würde viele Gesunde überfordern. Sie überlegen sich, es trotz körperlichen Einschränkungen zu wagen. Ist das Ihre Art, mit dem Schicksal umzugehen? Jetzt erst recht?

Meine Strategie ist es, einen Weg zu suchen zurück in den politischen Alltag. Das hilft mir, mit meinem Schicksal umzugehen. Es tut mir gut, aktiv zu sein. Zu Hause zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen, wäre nichts für mich. Die Bundesratskandidatur soll aber nichts ersetzen, was ich durch den Unfall verloren habe.

Am 3. Februar jährt sich zum zweiten Mal der Skiunfall in Scuol, bei dem Sie sich zwei Halswirbel gebrochen haben. Kommen da Emotionen wieder hoch?

Es ist ein besonderer Tag. So war es jedenfalls letztes Jahr. Ich hoffe, dass ich den Unfall irgendwann abhaken kann. Vergessen werde ich ihn nie und nimmer. Aber ich hoffe, dass dieser Jahrestag mich irgendwann nicht mehr so nachdenklich stimmt.

Dieses Jahr könnte sich Ihr Leben erneut an einem 3. Februar völlig verändern. Bis zu diesem Tag müssen Sie entscheiden, ob Sie kandidieren als Bundesrat. Dasselbe Datum – Zufall oder Schicksal?

Natürlich ein Zufall – und ein Grund für mich, innezuhalten. Ich stand vor zwei Jahren am Morgen auf und freute mich auf den Skitag. Wenige Stunden später war alles anders.

Zurück zur Politik. Ein Topfavorit nach dem anderen sagt ab. Ist das Amt des Bundesrats unattraktiv geworden?

Ich sehe es als reizvolle Aufgabe. Und es ist unsere Aufgabe als Partei, dafür zu sorgen, dass wir eine gute Nachfolgerin oder einen guten Nachfolger für Viola Amherd finden. Ich empfinde es von daher als meine Pflicht, über eine Kandidatur ernsthaft nachzudenken. Es geht mir nicht um mich persönlich, sondern darum, dass wir einen schlagkräftigen Bundesrat haben.

Mit Viola Amherd verlässt eine Frau den Bundesrat. Denken Sie, dass das Geschlecht eine Rolle spielen wird bei der Wahl?

Ich würde mich freuen, wenn Frauen sich melden und sich interessieren für das Amt. Die Mitte hat seit 1998 immer eine Frau im Bundesrat gestellt. Von daher denke ich, die Geschlechterfrage wird nicht im Mittelpunkt stehen. Ich fände es trotzdem gut, wenn wir als Partei ein gemischtes Ticket präsentieren könnten.

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