Freitag, Januar 3

Mit dem Ja zur 13. AHV-Rente können die Gewerkschaften einen Riesenerfolg feiern. Das liegt auch an ihrem obersten Boss.

Das Jahr ist noch jung, doch den Preis für den Schweizer Politiker 2024 kann man Pierre-Yves Maillard wohl kaum mehr wegnehmen. Der Gewerkschafter und Waadtländer SP-Ständerat ist das prägende Gesicht des Abstimmungskampfs über die 13. AHV-Rente. Der Erfolg der Initiative ist deshalb nicht nur ein Triumph für die Gewerkschaften und für die vereinigte Linke, sondern auch für ihn, die «politische Wucht», das «Animal politique», den Mann, «an dem niemand vorbeikommt», wie er in den Medien beschrieben wird. Und es ist gut möglich, dass er den Bürgerlichen im laufenden Jahr noch weitere Niederlagen zufügen wird.

Das Kalkül ist aufgegangen

Mit Pierre-Yves Maillard hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zweifellos einen charismatischen Kopf und gewieften Taktiker an seiner Spitze. Noch 2016 gingen die Gewerkschaften mit ihrer Forderung, die AHV-Renten um 10 Prozent zu erhöhen, an der Urne unter, mehr als ein Achtungserfolg lag nicht drin. Doch der SGB, damals noch von Paul Rechsteiner geführt, liess nicht locker und versuchte es erneut.

Und jetzt, beim zweiten Anlauf, ist das Kalkül der Gewerkschaften aufgegangen: Wenn die Mittelschicht – echt oder gefühlt – an Wohlstand einbüsst, wenn Abstiegsängste um sich greifen, ist es auch in einer an sich bürgerlichen Gesellschaft wie der schweizerischen nur eine Frage der Zeit, bis die Leute eigennützig werden. Die wirtschaftlichen Umstände, der Anstieg der Krankenkassenprämien und der Teuerungsschub haben den Gewerkschaften gütig in die Karten gespielt. Zudem haben Maillard und die Seinen mit ihrem Nonstop-Lamentieren über den Kaufkraftverlust das Terrain unermüdlich und geschickt beackert und der Bevölkerung und speziell den Rentnern eingeredet, dass sie eine 13. Rente verdienten und es nichts mit Egoismus und Gier zu tun habe, wenn sie am 3. März Ja stimmten.

Für den Gewerkschaftsbund war es wohl der richtige Entscheid, bei der Besetzung des Chefpostens 2018 auf Maillard zu setzen und sich nicht von der Geschlechterfrage und der Forderung nach einer Frau an der Spitze beirren zu lassen. Der Waadtländer scheint in der Rolle des klassischen Arbeiterführers, der wenn nötig auch einmal zum Zweihänder greift, aufzugehen. Der akademisch gebildete Maillard wirkt volksnah und hält auch mit seinen Emotionen nicht zurück. Er drückt sich einfach aus und spricht breite Schichten an. Bei ihm hat man den Eindruck, dass er weiss, wie es in einem Arbeiterhaushalt aussieht, woher das Geld kommt, was der Franken wert ist und wie man als vierköpfige Familie mit bescheidenem Lohn durchkommt.

Maillard betont gerne und häufig, dass er aus bescheidenen Verhältnissen stammt, der Vater war Garagist, die Mutter Hausfrau, und dass er noch heute mit seiner Familie in einem Häuschen in einem Arbeiterquartier wohnt. Das Zeitgeistige überlässt er anderen, und er unterscheidet sich deutlich von der Work-Life-Balance-Fraktion seiner Partei. Auch gehörte er zu jenen Sozialdemokraten, die während der Corona-Pandemie für Vernunft und Augenmass plädierten und mit den teilweise autoritären Rezepten der Juso-Generation nichts anfangen konnten.

Auch bei den Bürgerlichen wohlgelitten

Manch ein Bürgerlicher denkt sich wohl, dass man den starken Mann der Linken eigentlich in den Bundesrat wählen und damit einbinden müsste – seine erste Kandidatur als Bundesrat hatte er 2011 gegen Alain Berset verloren. Tatsächlich wirkt Maillard, der viele Jahre in seinem Wohnkanton als Regierungsrat amtete, nicht unbedingt so, als wäre es ihm in seiner Rolle als Bundesparlamentarier besonders wohl – als einer von 46 Ständeräten und dazu noch mit der vorgeschriebenen Krawatte um den Hals. Allerdings weiss man nicht, inwieweit Maillard nicht schon heute im Bundesrat vertreten ist und welchen Einfluss er ausübt. Er selber macht kein Geheimnis daraus, dass er bei seiner Freundin «Elisabeth», gemeint ist SP-Bundesrätin Baume-Schneider, ein offenes Ohr findet und in der Sozialpolitik Grosses, ja Historisches von ihr erwartet.

Auffällig ist, wie gut der linke Maillard auch in bürgerlichen Kreisen ankommt. Bei der SVP ist er besonders wohlgelitten, weil er sich konsequent gegen das vom Bundesrat geplante neue EU-Abkommen stellt – wenn auch aus anderen Gründen als die Volkspartei – und man mit ihm zusammen eine Vetomacht ausübt. Maillard hat bis jetzt keine Zweifel daran gelassen, dass er dem Europäischen Gerichtshof in Sachen Lohnschutz nicht über den Weg traut. Daneben hat er auch gegenüber der dynamischen Rechtsübernahme, die ebenfalls Teil des neuen Abkommens sein soll, Skepsis durchblicken lassen.

Jene Vertreter der Mitte und der FDP, denen die geplante institutionelle Anbindung an die EU ebenfalls nicht geheuer ist, die das aber nicht offen sagen mögen, können sich in der Europapolitik im Moment bequem hinter dem Gewerkschaftsboss verstecken; er zieht die ganze Kritik des EU-freundlichen Lagers auf sich. Und manch ein Parlamentskollege wäre wohl froh, man könnte Maillard, den zähen Verhandler, nach Brüssel schicken, um die roten Linien der Schweiz zu verteidigen.

Nach der AHV-Abstimmung stehen in diesem Jahr noch weitere zentrale sozialpolitische Urnengänge an, bei denen die Gewerkschaften zuvorderst kämpfen werden. Die nächste grosse Auseinandersetzung wird im Juni stattfinden. Dann geht es um die masslos teure SP-Initiative zur Verbilligung der Krankenkassenprämien. Das zweite Thema ist im Herbst die Reform der beruflichen Vorsorge, gegen welche die Linke das Referendum ergriffen hat. So viel lässt sich schon heute sagen: Die Bürgerlichen müssen sich etwas überlegen, wollen sie gegen Maillard und Co. bestehen. Denn die Gewerkschaften und ihr Chef, das hat der Abstimmungssonntag gezeigt, haben im Moment einen guten Draht zum Volk.

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