Montag, November 25

Als giftiger Professor in «The Holdovers» teilt Paul Giamatti gnadenlos aus. Als Interviewpartner ist er ganz anders. Wie enttäuschend.

Am Ende gewinnt Paul Giamatti gar den Oscar. Denkbar ist’s. Mit seiner Darbietung in «The Holdovers» hat er bei den Golden Globes und den Critics’ Choice Awards die namhaften Kollegen Cillian Murphy («Oppenheimer») und Bradley Cooper («Maestro») ausgestochen. Auch beim Filmfest in Palm Springs, wo gewöhnlich die Oscar-Kampagnen Form annehmen, bekam Paul Giamatti den grossen Preis.

In «The Holdovers» hat er sichtlich Spass als Professor für Alte Geschichte. Paul Hunham heisst er; ein ordentlicher Giftzahn, der seine Schüler wahlweise als «Troglodyten» oder «Philister» beschimpft, während er ihnen ihre miesen Hausarbeiten vor den Latz knallt.

Anfang 1970 in Neuengland spielt die Geschichte. Man muss sich das so vorstellen: Bilder mit Gelbstich, dazu ein Professor, der mit Vorliebe Manchesterstoffe trägt und beschwipst Pfeife raucht. Als er vom Institutsleiter dazu verdonnert wird, sich über die Weihnachtstage um einem aufsässigen Schüler zu kümmern, entwickelt sich der Film von bissig-lustig zu herzerwärmend.

«The Holdovers» von Alexander Payne ist ein «character-driven» Comedy-Drama, wie es nur noch viel zu selten gemacht wird. Also nichts mit Barbies oder Atombomben. Ein kleiner Film. Trotzdem scheint Paul Giamatti bei der Oscar-Verleihung im März derjenige zu sein, den es zu schlagen gilt.

Paul wer?

Der Weinkenner war seine grösste Rolle

Giamatti läuft einem im amerikanischen Film viel über den Weg, eher am Wegrand allerdings. Die Nebenrolle mit Kante ist sein Ding. Assistenten kann er gut. In George Clooneys «The Ides of March» war er der ausgebuffte Wahlkampfmanager. Den klugen «weirdo», den Sonderling mit dünnem Haar, dicken Backen und Brille bringt er immer herrlich rüber. Er verkörperte den Kumpan des Extremkomikers Andy Kaufman (Jim Carrey) in «Man on the Moon». Den exzentrischen Bösewicht mit russischem Einschlag hat er auch im Repertoire (Rhino in «The Amazing Spider-Man 2»).

Aber er ist kein «leading man». Unter einem Hollywood-Star stellt man sich etwas anderes vor. Giamatti ist einen Meter vierundsiebzig und wirkt wie der Typ Mann, der immer ein wenig auf seine Linie achten muss. Manchmal gibt es trotzdem Hauptrollen, die kann nur er spielen. So wie vor zwanzig Jahren den Weinkenner Miles in «Sideways», Paul Giamattis genialster Auftritt, sein Paradestück.

Wer den Film, der ebenfalls von Alexander Payne war, gesehen hat, überlegt es sich seither zweimal, einen Merlot zu bestellen. Denn der sauertöpfische Miles, der auf Pinot Noir schwört, ist unvergesslich. «If anyone orders Merlot, I’m leaving. I am not drinking any fucking Merlot!»

Mit seinem besten Freund ist Miles auf einem Roadtrip durch die Weinanbaugebiete Kaliforniens. Wie Paul Giamatti in der Rolle die Nase wurzeltief ins Weinglas steckt und von Passionsfrucht bis zu einem Verdacht von Spargel und Edamer alles aus einer Traube rauszuschmecken weiss, ist zum Schiessen. «Oh, and there’s just like the faintest soupçon of asparagus and just a flutter of a nutty Edam cheese.»

Noch eine weitere Szene aus «Sideways» hat sich eingeprägt. Am Tiefpunkt angelangt, nimmt dieser Miles seinen grössten Schatz aus dem Weinregal, einen Cheval Blanc 1961, setzt sich ins nächstbeste Fast-Food-Lokal – und isst dort seinen Burger mit Weinbegleitung.

An die Szene mag man jetzt wieder denken. Denn nachdem Paul Giamatti neulich den Golden Globe gewonnen hatte, tauchte auf Social Media ein Foto von ihm auf: Man sieht den Star am Abend nach der Preisverleihung, wie er im Smoking bei In-N-Out-Burger in Los Angeles sitzt. Da feierte also einer seinen Golden Globe mit einem Cheeseburger! Das Internet war hingerissen. Als Giamatti vor ein paar Tagen für Interviews in München war, war das die Gelegenheit, mehr darüber zu erfahren.

«Mr. Giamatti, bitte sagen Sie mir, dass sich in dem Pappbecher bei In-N-Out-Burger ein Cheval Blanc befand.» Giamatti, 56, zeigt kaum eine Regung unter dem Musketierbart (voller Kinn- plus Oberlippenbart). «Nein, nein, das war Mineralwasser», sagt er. «Ich trinke keine Limonade.»

Dass sich kein Coca-Cola im Becher befand, mag man ja verschmerzen. Aber: Paul Giamatti macht sich nichts aus Wein! Er versteht nichts davon. Interessiert ihn nicht. «Not really, no», sagt er auf Nachfrage nur. Vielleicht muss der Mann noch ein wenig atmen, denkt man sich am Anfang des Gesprächs. Aber es kommt nicht mehr. Es ergeht einem mit diesem Giamatti wie mit einem kostspieligen Tropfen, der sich als unerwartet stumpf erweist.

Gut, Schauspieler sind meistens Enttäuschungen. Logisch. Kauft man einem Schauspieler eine Rolle rundum ab, schliesst man intuitiv auf die echte Person. Und ist dann verwirrt. Bei einem wie Paul Giamatti ganz besonders. Denn wenn er jemanden wie Miles oder auch den verbiesterten Professor in «The Holdovers» spielt, tut er das derart cool und unangestrengt, auf eine so natürlich-schrullige Art, dass man gar nicht anders kann, als zu glauben, dass die dargestellte Figur zumindest ein Stück weit einfach . . . er selber ist.

Ein harziges Gespräch

Da kommt man also extra nach München, um mit einem leicht spleenigen Neurotiker eine lustige Unterhaltung über Pinot im Pappbecher oder so zu führen, und stellt fest: Dieser Giamatti ist gar nicht «so». Einem gegenüber sitzt: ein Schauspieler. Ist natürlich ein Frust, für beide Seiten.

Denn der Schauspieler hat einen Film zu verkaufen. Interviews mit Stars sind Verkaufsgespräche, man vergisst das gerne. Giamatti erweist sich als ein Sales-Profi. Alles, was nicht absatzfördernd ist, wird auf die superfreundlichste Art unbeantwortet gelassen. Fragt man ihn aber zu seiner Figur in «The Holdovers», hat er Lust zu schwatzen. Er erinnert sich etwa an einen Biologielehrer, an dem er sich orientiert hat. «Ein strenger Lehrer, der wie ein Aschenbecher roch, aber ein guter Mensch war.»

Auch von einer Englischlehrerin an der «prep school», dem Internat, auf das er vor der Uni ging, erzählt er. Sie hat ihn schikaniert. Einmal habe er sich bei einem Aufsatz besonders viel Mühe gegeben und die schlechteste Note bekommen. Nach der Schule habe die Lehrerin ihn angerufen und gesagt: «Du bist ein Angeber. Gib nicht so an, wir wissen, wer du bist.» Gemeint war: Aus welchen Haus du kommst. Denn Paul Giamattis Vater war Professor an der Yale University und einige Zeit sogar deren Präsident, der jüngste Präsident, den Yale je hatte. Anschliessend wurde dieser Bart Giamatti auch kurzzeitig Commissioner der Major League Baseball, bevor er mit nur 51 Jahren einen tödlichen Herzinfarkt hatte.

Sein Vater sei ein unkomplizierter Mann gewesen, erinnert sich Paul Giamatti. «Also keine schicken Dinners mit teuren Weinen?» – «Nein. Meine Eltern waren bodenständig, wir gingen eher Burger essen.» Auf dem Internat seien die Lehrer zwar wegen seiner Herkunft besonders streng mit ihm gewesen. Sie hätten wohl gemeint, ihre Unabhängigkeit beweisen zu müssen, «und das brachte damals etwas Negatives in mein Leben». Sonst sei es jedoch nie schwierig gewesen, der Sohn des Yale-Präsidenten zu sein.

«Ich werde nicht darüber reden»

Paul Giamatti studierte später selber in Yale, erst englische Literatur, dann Schauspiel. Gerne hätte man mit ihm über den Zustand der amerikanischen Eliteuniversitäten geredet. Aber das ist wohl nicht verkaufsfördernd, er sagt nicht viel mehr dazu als: «Ja, es ist alles sehr verwirrend.» Er hat auch nicht das Bedürfnis, sich zu den antisemitischen Vorfällen etwa in Harvard zu äussern. Dabei sind seine Ex-Frau und der gemeinsame Sohn jüdisch. Doch alle Versuche, ins Thema reinzukommen, scheitern.

«Wie alt ist Ihr Sohn?» – «23.» – Geht er noch zur Uni?» – «Er hat gerade abgeschlossen.» – «Sprechen Sie beide darüber, was an den Universitäten abgeht, die antisemitischen Vorfälle?» – «Nein, eigentlich nicht.» – «Und was ist mit der woken Ideologie und der Cancel-Culture, die von den Unis kommt?» – «Uh, yeah.» – «Macht das das Leben als Schauspieler nicht schwieriger?» (Er nickt unbestimmt.) – «Sie müssen auf die Befindlichkeiten überall achten, wie?» – «Ja. Klar.» – «Man muss sich genau überlegen, mit wem man noch arbeiten kann, oder?» (Unbestimmtes Nicken.) – «Sie haben zum Beispiel früh in Ihrer Karriere zweimal mit Woody Allen gedreht.» – «Ja.» – «Er ist nach allem, was man weiss, unschuldig, trotzdem würden Sie vermutlich zögern, einen dritten Film mit ihm zu machen.» – «Uh, yeah. Yeah.» – «Sie können es nicht sagen?» – «Uh. Ich werde nicht darüber reden.»

Es ist nichts zu machen. Am Ende bleibt einem noch, nach seinen Plänen für die Oscar-Nacht zu fragen. Hat er für den Abend des 10. März schon irgendwo einen Tisch reserviert? Giamatti schaut fragend. «Was ist am 10. März?» – «Äh, die Oscars, Mr. Giamatti.» – «Ach so. Nein. Ich habe noch keine Pläne für den Abend.» – «Man muss wieder mit einem Foto aus einem Fast-Food-Lokal rechnen?» – «Ich schaue, was ich machen kann.»

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