Polen nimmt an der weissrussischen Grenze vorläufig keine Asylanträge mehr entgegen. Die EU deckt dieses umstrittene Vorgehen – im Interesse der Sicherheit.

Die polnische Regierung setzt um, was sie vor fünf Monaten angekündigt hat: Das international verbürgte Recht, Asyl zu beantragen, ist an der polnisch-weissrussischen Grenze per sofort ausgesetzt. Konkret heisst das: Wer aus Weissrussland ohne gültige Papiere nach Polen einreisen will, kann keinen Asylantrag stellen und wird zurückgewiesen. Die Regelung gilt vorerst für sechs Monate – und nur für Personen, die volljährig und nicht krank oder schwanger sind.

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Das am Donnerstag in Kraft getretene Gesetz liefert die Grundlage für eine Praxis, die Polen schon seit geraumer Zeit anwendet. Berichte über gewaltsame Zurückweisungen an der Grenze zu Weissrussland haben in den vergangenen Monaten immer wieder für Schlagzeilen und Kritik gesorgt. Die polnischen Behörden geben zu, zwischen 2021 und Ende 2024 rund 9000 Personen an der Grenze zurückgewiesen zu haben.

Zwölfmal so viele Anträge aus Eritrea, Äthiopien und Somalia

Polen ist an diesem Teil seiner Grenze seit 2021 mit einer wachsenden Zahl von Asylsuchenden konfrontiert – und sieht diese als Sicherheitsrisiko. Auffallend viele von ihnen stammen nicht aus Weissrussland und angrenzenden Ländern, sondern aus afrikanischen Staaten, dem Nahen Osten oder Afghanistan. Die polnische Regierung will Hinweise dafür haben, dass diese Personen mit russischer Hilfe nach Weissrussland gelangt sind und von den dortigen Behörden ermutigt werden, nach Polen weiterzureisen. Oft haben sie gültige Visa aus Russland oder Weissrussland.

Die Regierung sieht die Migranten als Instrument eines hybriden Angriffs auf Polen und auf die Europäische Union. Von jenen, denen die Einreise gelang, reisten viele in Richtung Deutschland weiter.

Auch deshalb hat die EU-Kommission nach anfänglicher Kritik inzwischen signalisiert, dass sie die polnische Praxis toleriert. Rechtlich sind Abweichungen vom europäischen Asylrecht möglich, sofern die interne Sicherheit eines Landes – oder der EU – bedroht ist. In einer Mitteilung der Kommission vom Dezember heisst es, man anerkenne, dass Mitgliedstaaten alles Nötige unternehmen müssten, um sich vor den hybriden Angriffen aus Russland und Weissrussland zu schützen. Die ausserordentlichen Massnahmen könnten auch vorübergehend Grundrechte wie das Asylrecht beschränken.

Polen hat in den vergangenen vier Jahren viel in den Schutz des rund 400 Kilometer langen Grenzabschnitts investiert: Er ist teils durch eine Mauer, teils durch einen Zaun befestigt und streng bewacht. Dennoch haben die illegalen Einreiseversuche laut der polnischen Grenzschutzbehörde zwischen 2023 und 2024 um 16 Prozent zugenommen. Allerdings sind die Zahlen nach der neuerlichen Einrichtung einer militärischen Sperrzone in der zweiten Jahreshälfte deutlich gesunken.

Die Zahl der Asylanträge war 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 72 Prozent angestiegen. Die meisten Asylsuchenden stammten in letzter Zeit aus der Ukraine, Weissrussland und Russland. Doch die Anträge von Personen aus Eritrea, Äthiopien und Somalia – insgesamt 1500 – waren zwölfmal so hoch wie noch 2023. Im Februar verzeichnete Frontex 962 illegale Übertritte in Staaten entlang der sogenannten östlichen Landgrenze (zu denen auch die anderen EU-Länder am östlichen Rand gehören) – allerdings stammten fast alle der Betroffenen aus der Ukraine. Zumindest theoretisch werden also auch Kriegsflüchtlinge von der neuen Regelung betroffen sein.

Notstand an den Schulen?

Diskussionen, die Asylrechtspraxis aufgrund eines Notstandes zu verschärfen beziehungsweise EU-Recht auszusetzen, gab und gibt es auch in anderen Ländern. Finnland hat mit diesem Argument die Grenze für Migranten vorübergehend geschlossen; auch Lettland und Litauen haben ihren Grenzschutz aufgerüstet. Bereits seit 2015 gibt es immer wieder systematische Kontrollen an den Binnengrenzen. Diese sind zwar zeitlich begrenzt, die Frist kann allerdings verlängert werden.

Österreich will mit dem Argument das Recht auf Familiennachzug einschränken. Ein Notstand wird dort an den Schulen der grösseren Städte festgestellt, wo zum Teil mehr als die Hälfte der Kinder der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Der Notstand ist zum gängigen Mittel geworden, die Unzulänglichkeiten des europäischen Asylsystems zu korrigieren.

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