Mittwoch, November 20

Bei einem Treffen in Warschau fordern die Aussenminister verschiedener Länder Einigkeit und mehr Hilfe für die Ukrainer. Woran es fehlt, ist Substanz hinter den Worten.

Als Polens Aussenminister am Dienstag vor die Medien tritt, bittet er um eine Schweigeminute für die in den 1000 Tagen des russischen Angriffskriegs gefallenen Ukrainer. «Wir wollen mit diesem Treffen ein starkes Zeichen der Solidarität senden», sagt Radoslaw Sikorski. Gerade jetzt, zwei Wochen nach der amerikanischen Präsidentenwahl, brauche es eine starke transatlantische Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Eingeladen hatte Polen die Spitzendiplomaten europäischer Länder. Es kamen die Aussenminister des sogenannten Weimarer Dreiecks, also Deutschlands, Frankreichs und Polens. Ihr italienischer Amtskollege und die künftige EU-Spitzendiplomatin Kaja Kallas gesellten sich zu ihnen. Auch wenn sie Donald Trump und seine Ukraine-kritische Rhetorik nicht explizit erwähnten: Das Gruppentreffen sollte Europas Geschlossenheit bei der Unterstützung des Kriegslandes betonen.

Polen in der USA-Politik mit Heimvorteil

Polen ist ein naheliegender diplomatischer Akteur vor dem Hintergrund des Machtwechsels in Washington. Zwar hatte sich die Mitte-links-Koalition von Donald Tusk einen anderen Wahlausgang gewünscht. Doch pflegen alle politischen Lager gute Beziehungen zu den USA. Bereits seit Monaten pilgerten deshalb vor allem deutsche Spitzenbeamte nach Warschau, um sich auf einen möglichen Wahlsieg Trumps vorzubereiten. Diesen Heimvorteil wollte Sikorski nun nutzen.

Eingeladen in den neuen Nato-Frontstaat hatte er auch die Chefdiplomaten von Spanien, Grossbritannien und der Ukraine. Dem polnischen Regierungschef Tusk schwebt die Bildung einer «Koalition der Willigen» vor. Sie soll die Ukraine auch bei einer Verringerung des amerikanischen Engagements weiter unterstützen.

In Warschau forderte die grüne deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock lautstark mehr Waffen und Geld für Kiew. Die russische Armee greife Spitäler, Kindergärten und die Energieinfrastruktur an. «Das Ziel ist es, die Ukrainer zu zermürben, doch stattdessen wird nur deren Freiheitswille stärker», sagte Baerbock. Der Italiener Tajani betonte in mehreren längeren Wortmeldungen, der künftige Friede in der Ukraine müsse gerecht sein.

Dass der spanische und der britische Aussenminister sich nur per Videolink zuschalten liessen und ihr ukrainischer Amtskollege Andri Sibiha seine Teilnahme absagte, zeigt aber, dass das starke Signal der Einheit ausblieb. Es gibt schlicht zu viele Spannungen, verschiedene Befindlichkeiten und Gesprächsformate bezüglich der Ukraine. So reagierte Polen gekränkt, als es vor Monatsfrist nicht an das Treffen von Joe Biden mit Emmanuel Macron, Keir Starmer und Olaf Scholz zur Ukraine-Hilfe in Berlin eingeladen war.

Die Schlusserklärung des Aussenministertreffens in Warschau kam denn auch nicht über Allgemeinplätze hinaus. Darin ist von einer Reindustrialisierung der EU für die Wehrtechnik die Rede und von einer engeren Abstimmung, um die «grösste Bedrohung zu unserer Lebenszeit» durch Russland abzuwehren.

Grosse Bühne und wenig Substanz

Die fehlende Substanz und die grosse Bühne legen aber auch nahe, dass das Treffen vor allem Sikorski zur Profilierung dienen soll. Polens Aussenminister wird als Präsidentschaftskandidat für die Wahl im kommenden Sommer gehandelt. Ein Argument, das er für sich ins Feld führen kann, sind seine Kontakte zu Politikern in der EU und den USA. Er sei das ideale künftige Staatsoberhaupt für Krisenzeiten.

Dass ohne die USA bei der Hilfe für die Ukraine zu wenig geht, zeigte auch der just in der Nacht zum Dienstag erfolgte Beschuss eines Munitionslagers auf russischem Gebiet durch amerikanische Atacms-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Die Erlaubnis dazu hatte Präsident Biden erst am Wochenende erteilt. Sechs solche Langstreckenraketen seien bei der Stadt Karatschew in der Oblast Brjansk eingesetzt worden, bestätigte der ukrainische Generalstab.

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