Zusätzliche AHV-Ausgaben sind en vogue – und dürften es künftig noch stärker sein. Aus sozialpolitischer Sicht ist dies eine bedenkliche Entwicklung. Höchste Zeit für eine stärkere Entpolitisierung unserer Altersvorsorge.
Während die Finanzierung der 13. AHV-Rente noch immer nicht gesichert ist, zeichnen sich bereits Mehrheiten für den nächsten Ausbau der ersten Säule ab. Die Mitte-Partei hat im März eine Initiative zur Abschaffung der Rentenplafonierung für Ehepaare in der AHV eingereicht, und immer mehr Parteien sprechen sich für ähnliche Vorhaben aus. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die totalen AHV-Ausgaben die Einnahmen bereits ab 2026 übersteigen dürften – eine alarmierende Entwicklung. Zwar ist gegen eine zivilstandsneutrale Regelung grundsätzlich nichts einzuwenden. Doch warum sollte sie zwangsläufig mit einem Rentenausbau verknüpft werden? Laut Schätzungen des Bundes würden sich die Kosten eines solchen Ausbaus auf 3,8 Milliarden Franken pro Jahr belaufen.
Politökonomische Fehlanreize
Derartige Projekte sind für Politikerinnen und Politiker besonders verlockend. Um wiedergewählt zu werden, müssen sie die Anliegen des Medianwählers berücksichtigen. Und dieser wird zunehmend älter; gegenwärtig ist er 57 Jahre alt. Damit steigen die Chancen für Rentenausbauprojekte, während die Chancen für notwendige Reformen zur Konsolidierung der Altersvorsorge schwinden. Hinzu kommt die Asymmetrie zwischen Ausgaben und Einnahmen bei öffentlichen Budgets: Bestimmte Kosten lassen sich auf die Allgemeinheit abwälzen, was zu einer Übernutzung des Budgets – ähnlich einer Allmende – führen kann. Im Fall der AHV wird allein über den Bundesanteil ein Fünftel der Ausgaben durch die Allgemeinheit getragen.
Ein weiteres Problem ist die sogenannte Zeitinkonsistenz der Politik. Für Politiker ist die Sicherstellung der langfristigen finanziellen Tragfähigkeit der AHV weniger attraktiv, als kurzfristig die eigene Wählerbasis mit Rentenausbauprojekten zufriedenzustellen. Dies gilt erst recht, wenn es sich bei den Leidtragenden der entstehenden Defizite um Generationen handelt, deren Mitglieder noch ungeboren sind und die damit die Wiederwahl der Politiker nicht tangieren.
Diese politökonomischen Dynamiken verdeutlichen, warum es entscheidend ist, den Ausbauwünschen der Politik Einhalt zu gebieten und so unpolitisch wie möglich auf ein so wichtiges Vorsorgewerk wie die AHV zu blicken.
Ungezielte Sozialpolitik
Blicken wir auf das grosse Ganze, so zeigt sich: Auch aus sozialpolitischer Sicht ist ein ständiger Rentenausbau fragwürdig. Analog zur 13. AHV-Rente soll auch der geplante Ausbau der Ehepaarrenten allen zugutekommen – unabhängig von der Einkommenssituation der Bezüger. Dabei zeigt die Datenlage, dass es den Rentnerinnen und Rentnern finanziell nicht schlechter geht als anderen Bevölkerungsgruppen in der Schweiz.
So ist die Armutsgefährdungsquote bei Arbeitslosen und anderen nichterwerbstätigen Personen höher als bei Rentnerinnen und Rentnern. Auch die Median-Nettovermögen verschiedener Haushaltstypen – ob Einpersonenhaushalte, Einelternhaushalte oder Paare mit und ohne Kinder – sind im Alter zwischen 65 und 69 Jahren deutlich höher als bei jüngeren Altersgruppen. Selbst bei den 85- bis 90-Jährigen sind laut Statistiken die Vermögen nicht rückläufig.
Aus sozialpolitischer Sicht ist daher ein weiterer Ausbau nach dem Giesskannenprinzip nicht zielführend – zumal Rentenerhöhungen bei gleichbleibendem Pensionsalter früher oder später durch Lohnbeiträge oder Mehrwertsteuererhöhungen finanziert werden müssen, was die Erwerbstätigen zusätzlich belastet.
Mehr Regelbindung notwendig
Was ist also zu tun? Angesichts der politökonomischen Anreize braucht es eine stärkere Selbstbindung der Politik. Ein grundsätzlich gutes Beispiel dafür ist die deutsche Rentenanpassungsformel, die mit ihrem Nachhaltigkeitsfaktor nebst den Preisveränderungen auch demografische Entwicklungen berücksichtigt. Leider gerät auch dieser Mechanismus mit dem geplanten Rentenpaket II in Deutschland unter Druck. Aber im Grundsatz sind es genau solche Mechanismen, die gebraucht werden, damit die Politik nicht den wachsenden Ausbaugelüsten verfallen kann – auf Kosten der Jungen und Ungeborenen.
Für die Schweiz haben deshalb die Ökonomen Lars Feld, Christian Pfeil, Christoph Schaltegger und Martin Weder bereits vor über einem Jahrzehnt die Einführung einer Schuldenbremse für die AHV propagiert. Ein solcher Mechanismus würde die Politik verpflichten, bei negativen Umlageergebnissen Massnahmen zur Korrektur vorzuschlagen. Falls dies nicht gelingt und die finanzielle Schieflage anhält, treten automatische Anpassungen auf Einnahmen- und Ausgabenseite in Kraft. Dies könnte zum Beispiel in Form einer Kombination aus Mehrwertsteuererhöhung und Rentenalteranpassung erfolgen.
Eine solche Entkoppelung der Altersvorsorge vom politischen Tagesgeschäft wäre angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen dringend angezeigt. Sie würde nicht nur den angespannten Bundeshaushalt entlasten, sondern auch den Weg für eine Sozialpolitik frei machen, die gezielt jene unterstützt, die wirklich darauf angewiesen sind.
Melanie Häner-Müller leitet den Bereich Sozialpolitik am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) an der Universität Luzern.
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