Freitag, Oktober 25

Finanzielle Mässigung ist aus der Mode gekommen. Politische Parteien rund um den Globus plädieren lieber für Schulden. Damit fehlen Finanzpolster, um künftige Krisen abfedern zu können.

Zu den drängendsten Sorgen der Weltwirtschaft gehört die wachsende Staatsverschuldung. So dürfte die öffentliche Schuldenlast bis Ende dieses Jahres auf über 100 Billionen Dollar oder rund 93 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts (BIP) steigen. Das ist ein Rekordwert. Er liegt um 10 Prozentpunkte höher als 2019, also vor der Pandemie.

Eine baldige Trendwende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert an seiner Jahrestagung, dass die Verschuldung noch in diesem Jahrzehnt auf 100 Prozent des weltweiten BIP klettern dürfte. Wobei das Problem, so die Warnung, auch noch deutlich grösser ausfallen könnte.

Die Verantwortung der Politik

Steigende Schuldenquoten sind kein Naturgesetz. Letztlich sind es die Politikerinnen und Politiker, die den Trend befeuern. Denn an Gründen, warum der Staat sich verschulden soll, mangelt es nie: Sei es die Gesundheitsversorgung, der Klimawandel, die Energiesicherheit oder der Ausbau des Militärs – all das kostet viel Geld.

Auch in früheren Zeiten mussten öffentliche Güter bereitgestellt werden. Dies geschah aber massvoller und führte – anders als heute – nicht zu einer Schuldenexplosion. Woran liegt das? Der IWF hat eine einfache Antwort: Der finanzpolitische Diskurs hat sich im gesamten politischen Spektrum zunehmend in Richtung höherer Staatsausgaben verschoben.

Diese Antwort ist keine blosse Behauptung, sondern empirisch belegt. So haben Ökonomen des IWF für den Zeitraum von 1960 bis 2022 mehr als 4500 Parteiprogramme aus 65 Ländern analysiert. Dabei zeigt sich: Seit den 1990er Jahren hat der Anteil jener politischen Programme, die eine Ausweitung der Staatsausgaben propagieren, stark zugenommen.

Ein globaler Trend

Mit anderen Worten: Finanzielle Mässigung ist in der Politik aus der Mode gekommen. Das gilt für die Industriestaaten ebenso wie für die Schwellenländer. Selbst vermeintlich liberale oder konservative Parteien, deren Entstehungsgeschichte eng mit der Forderung nach einem schlanken Staat verbunden ist, plädieren immer leichtfertiger für eine schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik.

In Zahlen ausgedrückt, heisst das: Seit Anfang der 1990er Jahre hat der Anteil der Programminhalte, die eine expansive Finanzpolitik fordern, um 40 Prozent zugenommen. Bei den Befürwortern einer restriktiven Finanzpolitik, die ihren Höhepunkt in den 1980er Jahren erlebten, hat sich der Anteil entsprechender Programme dagegen mehr als halbiert.

Beispiele gibt es zuhauf, etwa in den USA. Dort galt die Republikanische Partei einst als Verfechterin einer sparsamen Haushaltpolitik. Davon ist schon lange nichts mehr zu spüren. Die Denkfabrik Committee for a Responsible Federal Budget hat jüngst berechnet, dass unter Donald Trump die Staatsverschuldung mehr als doppelt so stark steigen dürfte wie unter Kamala Harris.

Puffer für den nächsten Schock

Als Herausgeberin der globalen Leitwährung können sich die USA eine solche Schuldenpolitik vielleicht eher leisten als andere Staaten, die sich teurer finanzieren müssen. Mit einer Schuldenquote von 120 Prozent der Wirtschaftskraft reizt die grösste Volkswirtschaft ihr Privileg aber bis an die Schmerzgrenze aus und wird zusehends zum weltwirtschaftlichen Risiko.

Finanzpolitische Zurückhaltung mag unpopulär sein. Doch wenn sich deshalb die Parteien rund um den Globus kaum noch trauen, für Sparsamkeit einzutreten, und sich lieber spendabel zeigen, ist das eine gefährliche Entwicklung. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, in Krisenzeiten auf finanzielle Reserven zurückgreifen zu können.

Die IWF-Chefin Kristalina Georgiewa forderte daher diese Woche die Staaten dazu auf, ihre Schulden abzubauen und «Puffer zu bilden für den nächsten Schock, der mit Sicherheit kommen wird, vielleicht sogar früher als erwartet». Der Appell ist aktueller denn je. Die Parteipolitik der letzten Jahrzehnte lässt allerdings nicht erwarten, dass er auch befolgt wird.

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