Donnerstag, Januar 30

Die politische Spaltung in den USA erreicht die Kirche.

Zu den politischen Ritualen gehört in den USA auch der Glaube. Der Präsident bringt eine Bibel zur Vereidigung mit. Es wird gebetet, gesegnet, gepriesen. Und manchmal, da schleichen sich auch politische Statements in die Predigten.

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Pfarrer Lorenzo Sewell hat bei der offiziellen Amtseinführung am Montag in der Rotunde des Capitols den Segen für Trump gesprochen. Er bedankte sich bei Gott, dass er der Nation «in diesen schwierigen Zeiten» einen Trump berufen habe. Trump werde allen Amerikanern Freiheit bringen, rief Sewell in das Gewölbe.

Bischöfin Mariann Budde leitete am Dienstag den traditionellen ersten Gottesdienst des Präsidenten in der Washington Cathedral, an dem auch Trumps Familie teilnahm. Am Ende der Predigt bat Budde den neuen Präsidenten, sich der Menschen im Land zu erbarmen, die wegen der von ihm angekündigten Gesetze Angst hätten, ihre Freiheiten zu verlieren. Budde ging es um jene, deren Existenz der Präsident explizit verneint, die er loswerden will. Insbesondere Queere und Migranten.

Sewell wird von Trump und seinen Anhängern geliebt, Budde hingegen gehasst. Die Auftritte der beiden Geistlichen zur Inauguration von Donald Trump verdeutlichen, wie die politische Polarisierung im Land auch die Kirchen erreicht.

Lorenzo Sewell: der Trumpist

Bevor Pfarrer Lorenzo Sewell am vergangenen Montag Trump den Segen sprach, war er in den USA noch eher unbekannt. Doch nach seinen ersten Sätzen wurde klar, weshalb Trump den Mann für die Segnung auserkoren hatte.

«Himmlischer Vater, wir sind so dankbar, dass du unserem 45. und nun unserem 47. Präsidenten ein Millimeterwunder geschenkt hast. Wir sind dankbar, dass du derjenige bist, der ihn für eine solche Zeit wie diese berufen hat. Dass Amerika wieder zu träumen beginnt», rief Sewell energiegeladen ins Mikrofon.

Das «Millimeterwunder» ist eine Anspielung auf das Attentat in Pennsylvania im Juli 2024, das Trump nur mit viel Glück überlebt hat. Die Aussage, die auf die Segnung folgte: Trump werde die Amerikaner frei machen, und zwar alle Amerikaner. «Dank sei dir, Gott, dem Allmächtigen, wir sind endlich frei.» Der Auftritt von Sewell dauerte drei Minuten. Er hielt seine Augen geschlossen, die Arme Richtung Himmel gestreckt, sprach lebendig und laut. Zum Ende klatschte er laut in die Hände.

Sewell ist Afroamerikaner und stammt aus einer sozial benachteiligten Gegend in Detroit. Er wuchs in einem gewaltbereiten Umfeld auf, sein Vater sass wegen Mordes im Gefängnis, sein Bruder wurde getötet. Sewell war drogenabhängig, begann zu dealen und wurde Anführer einer Bande. 1999 will er Jesus begegnet sein, ein Ereignis, das ihn radikal veränderte, wie er sagt. Heute ist Trump so etwas wie sein Heilsbringer.

Donald Trump und Lorenzo Sewell lernten sich im Juni 2024 auf einer Wahlkampfveranstaltung in Detroit kennen. Trump besuchte Sewells Kirche. Während des Gottesdienstes betete Sewell für Trump und bat Gott, den Präsidentschaftskandidaten zu beschützen. Wenige Wochen später überlebte Trump das Attentat in Pennsylvania.

Das sei auch der Grund gewesen, weshalb sich Trump den Segen von Sewell für seine Amtseinführung gewünscht habe, sagte Sewell in einem Interview mit CNN vor seinem grossen Auftritt.

Sewell durfte schon im Juli am Parteikongress der Republikaner auftreten. Bei dieser Predigt nährte er den Glauben Trumps und seiner Anhänger, dass Trump beim versuchten Attentat im Juli von Gott beschützt worden sei, weil er ein Auserwählter sei.

Nach dem Auftritt am Parteitag stieg Sewells Gefolgschaft auf der Plattform Instagram auf mehr als 100 000. Sewell teilt seither regelmässig Videos mit politischen Aussagen, betet darin mit einem Maga-Hut auf dem Kopf oder schimpft über die «falsch gezählten Stimmen» aus seiner Kirchgemeinde bei der Wahl 2020.

In einem Video auf Instagram erklärt er den Sturm aufs Capitol vom 6. Januar 2021 zu einem der wichtigsten Tage in der Geschichte des «schwarzen Amerika». Die Menschen, die dabei gestorben seien, hätten sich geopfert, damit Afroamerikaner nun für faire Wahlen kämpfen könnten. Sewell vergleicht die Opfer mit den Afroamerikanern, die im Kampf um Gleichberechtigung ihr Leben verloren.

Sewell wurde als Pfarrer in den vergangenen Jahren immer politischer. Er begründet dies damit, dass Glaube und Politik zusammengehörten, dass Religion zwangsläufig politisch sei. Bei Fox News sagte er, es sei unmöglich, bei einer Predigt politisch neutral zu bleiben.

Auch Bischöfin Mariann Edgar Budde wurde am Gottesdienst in Washington politisch. Ihre Predigt war das Kontrastprogramm zu Sewells Lobeshymne auf Trump.

Mariann Edgar Budde: die Mutige

Mariann Budde ist seit 2011 die Bischöfin der Episkopalkirche von Washington und die erste Frau in diesem Amt. Es hat Tradition, dass der Gottesdienst zur Amtseinführung in ihrer Kirche stattfindet. Der Präsident kann anders als bei seiner Segnung nicht bestimmen, wer die Predigt hält. Und so setzte Budde einen ganz anderen Ton als Sewell: Am Ende ihrer Predigt überraschte sie mit eindringlichen Worten an den Präsidenten.

Budde forderte Trump auf, denjenigen zu helfen, die aus Kriegsgebieten fliehen. Erbarmen mit Kindern zu haben, die «Angst haben, dass ihnen ihre Eltern weggenommen werden». Und an die «schwulen, lesbischen und transsexuellen Kinder in demokratischen, republikanischen und unabhängigen Familien zu denken, von denen nun einige um ihr Leben fürchten». Budde sprach ruhig, machte viele Pausen und schaute Trump immer wieder direkt an.

Und wie reagierten Trump und seine Familie? Donald starrte gelangweilt ins Leere, seine Frau Melania blickte genervt zur Kanzel, die Tochter Tiffany schaute zu ihren Verwandten und verdrehte die Augen.

Nach dem Gottesdienst sagte Trump zu Journalisten: «Nicht sehr aufregend, oder?» Und: «Sie könnte es viel besser machen.» Nach Mitternacht schrieb er auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social, Budde sei eine «linksradikale Hardliner-Trump-Hasserin». Auch andere Republikaner waren genervt. Der Abgeordnete Mike Collins aus Georgia schrieb auf X: «Die Person, die diese Predigt gehalten hat, sollte auf die Deportationsliste gesetzt werden.»

Budde überraschte mit ihren Worten alle. Vor dem Auftritt hatte Budde zur «Washington Post» lediglich gesagt, sie habe ihre Predigt mehrfach umgeschrieben. Denn sie habe eine grosse Verantwortung. Doch dass sich Buddes politische Ansichten von denen Trumps unterscheiden, hatte sie bereits bei Trumps erster Amtseinführung 2017 gezeigt.

Bereits nach dem ersten Wahlsieg Trumps hatte Budde den Gottesdienst zur Amtseinführung geleitet. Damals lief alles wie gewohnt, die Politik blieb in der Kirche unberücksichtigt. Budde zeigte ihre Haltung zu Trumps Wahl stattdessen an einem anderen Ort: Der Zeitung «The Post» sagte sie später, sie habe noch am selben Tag am Marsch der Frauen auf Washington teilgenommen. 2019 war sie zudem Mitautorin eines Protestbriefes von Theologen gegen Trump. Und 2020 ging ihre Kritik an Trumps Umgang mit den «Black Lives Matter»-Protesten viral.

Nun hat Budde eine zweite Gelegenheit erhalten, direkt vor Donald Trump zu predigen – und hat die politische Stimmung unverhohlen in die Kirche geholt.

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