Freitag, Oktober 18

Die Parteien gleisen immer mehr politische Kampagnen selbst auf. Sie werden damit zu ernsthaften Konkurrenten von Campaignern wie Daniel Graf.

Daniel Graf hat selten schlechte Laune. Dafür hat der 51-jährige Politaktivist einfach keine Zeit. Er ist ein rastloser Mechaniker der direkten Demokratie, die seiner Meinung nach digitalisiert und mit neuen Ideen fit für die Zukunft gemacht werden muss. Negative Energie hat in dieser Welt eigentlich keinen Platz.

Doch seit Sonntag überschattet ein trauriger Smiley seine Timeline in den sozialen Netzwerken. Grafs «Baby» ist in Gefahr. Wecollect, die 2015 von ihm gegründete Plattform für direkte Demokratie, kämpft mit ernsthaften finanziellen Problemen. Die Spenden sind dramatisch eingebrochen von 350 000 Franken im Jahr 2021 auf 180 000 Franken im Jahr 2023. «Inzwischen sind unsere finanziellen Mittel auf einem so tiefen Niveau, dass der Betrieb gefährdet ist», sagt Graf. Bis Ende Jahr brauche es 250 000 Franken, um den Fortbestand der Plattform langfristig zu sichern.

Graf selbst bezeichnet Wecollect als Demokratie-Infrastruktur, Kritiker sprechen von einer Unterschriftenmaschine. Seit 2015 hat die Plattform 832 127 Unterschriften für 102 Initiativen und Referenden gesammelt, vor allem aus dem links-liberalen Spektrum. Ihr Netzwerk umfasst rund 150 000 Bürgerinnen und Bürger. Dass die Plattform die Schweizer Demokratie verändert hat, ist unbestritten. «Hätten wir so viel Geld wie politischen Erfolg, hätten wir heute keine finanziellen Schwierigkeiten», sagt Graf.

Parteien rüsten auf

Wecollect ist nicht die erste politische Online-Plattform, die in Schieflage geraten ist. Vor einem Jahr ging die Kampagnenorganisation Campax mit einem Spendenaufruf an die Öffentlichkeit. In der Kasse der nach eigenen Angaben grössten Bürgerbewegung der Schweiz klaffte ein Loch von einer halben Million Franken. Campax wollte deshalb nicht nur neue Mittel anwerben, sondern auch seine Aktivitäten in gewissen Bereichen zurückfahren.

«Es ist kein Zufall, dass diese Organisationen gerade jetzt in Schwierigkeiten geraten», sagt der Berner Politanalyst Mark Balsiger. Vor einigen Jahren hätten die Organisationen, die Empörung bewirtschaften oder Initiativen, Referenden und Petitionen vorantreiben, deutlich weniger Konkurrenz gehabt. «Inzwischen ist der Kampf um Aufmerksamkeit und Spendengelder härter geworden», stellt Balsiger fest. «Es gibt immer mehr Akteure, vor allem NGO, die diesen Markt professionell bearbeiten.»

Auch Daniel Graf beobachtet, dass gewisse Parteien ihre Strukturen beim Campaigning professionalisiert haben. «Insbesondere die SP, aber auch die Grünen investieren heute viel mehr in digitale Kampagnen und Online-Kontakte», sagt der Netzaktivist. So habe die SP kürzlich innert 24 Stunden 120 000 Unterschriften für einen Asyl-Appell gesammelt und damit Druck gemacht, dass der Ständerat eine Debatte zu diesem Thema verschoben habe. Auch die bürgerlichen Parteien würden Anstrengungen unternehmen, seien aber beim Campaigning deutlich weniger weit.

Für Wecollect beziehungsweise die Stiftung für Demokratie, in die Graf die Plattform vor fünf Jahren überführt hat, gilt es nun zu sparen. So gibt es Überlegungen, künftig auf den Postversand von Unterschriftenbögen zu verzichten. Zusätzliche Mittel erhofft sich Graf von Stiftungen, die Wecollect bisher nicht unterstützt haben. Er möchte in die Weiterentwicklung der Plattform investieren, um mehr junge Menschen zu erreichen und digitale Barrieren abzubauen.

Aufgeben ist für den Netzaktivisten kein Thema. «Wir befinden uns in einer sehr kritischen Situation», sagt Graf. Die kürzlich aufgeflogenen Unterschriftenfälschungen machen ihm Angst. «Es droht die Pizza-Demokratie, bei der Unterschriften bestellt, bezahlt und zur Haustüre geliefert werden», befürchtet er. Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger, wie es bei Wecollect im Zentrum stehe, könnte durch eine ganze Industrie von kommerziellen Firmen abgelöst werden, die für immer höhere Preise die notwendigen Unterschriften sammelten. Freiwilligenarbeit werde in diesem Umfeld immer schwieriger.

Schub für elektronisches Unterschriftensammeln

Doch Graf wäre nicht Graf, wenn er nicht trotz allen finanziellen Schwierigkeiten und Entwicklungen bei den Sammelaktionen optimistisch in die Zukunft blicken würde. Die Aufregung um die gefälschten Unterschriften hat nämlich einem seiner ältesten und wichtigsten Anliegen neuen Schub verliehen, dem elektronischen Sammeln von Unterschriften für Referenden und Initiativen. In der Herbstsession haben Parlamentarierinnen und Parlamentarier von sechs Parteien vom Bund mit einer gleichlautenden Motion ein Pilotprojekt für das E-Collecting gefordert.

Die Möglichkeit, einen solchen Testbetrieb durchzuführen, gibt es laut Graf bereits seit 2014 in Form eines Artikels im Bundesgesetz über die politischen Rechte. Doch der Bundesrat habe entsprechende Pläne schubladisiert. «Damit ist auch die Weiterentwicklung der Demokratiepolitik brachgelegen», stellt Graf fest. «Ich hoffe, dass es nun vorwärtsgeht mit der Digitalisierung der Demokratie, von der die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich profitieren.» Sicher ist, dass Daniel Graf bei dieser Diskussion an vorderster Front mitmischen wird.

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