Mittwoch, Oktober 9

Klimakleber sind für ihn Extremisten, die Bauernproteste findet er gut, und Politiker stellt er als Dummschwätzer dar: Rainer Wendt ist der lauteste Polizist Deutschlands. Die Medien lieben ihn – auch als Feindbild.

Ein 17-jähriger Syrer geht in der Stuttgarter Innenstadt mit dem Messer auf drei Männer los, verletzt einen von ihnen schwer. Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigt an, man wolle Messer mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern im öffentlichen Raum verbieten. Wenn solche Nachrichten durch die Medien gehen, ist Rainer Wendt nicht weit.

«Kriminellen sind Klingenlängen völlig egal», sagt er nach Faesers Ankündigung zur «Bild»-Zeitung. Bei Welt TV lässt er sich über die deutsche Justiz aus, die den Syrer «die volle Milde des Jugendstrafrechts» spüren lassen werde, statt eine Abschiebung zu prüfen. Die Folgen dieser «Schlafmützenpolitik» trage die deutsche Bevölkerung.

«Die schwätzt dummes Zeug»

Rainer Wendt ist eigentlich nur Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, aber er ist bekannter als mancher Spitzenpolitiker. Springer-Medien wie die «Bild»-Zeitung lieben ihn, weil er stets für ein politisch unkorrektes Statement zu haben ist. «Schauen wir mal, wie sich Herr Wendt dazu äussert», heisst es etwa bei Welt TV, wenn die SPD-Politikerin Aydan Özoguz mehr Nachsicht in der strafrechtlichen Verfolgung von Islamisten fordert. Und Wendt antwortet: «Die schwätzt einfach nur dummes Zeug daher.»

Wendt arbeitet in einem Geschäftshaus an der Berliner Friedrichstrasse, das auch den deutschen Philologenverband beherbergt. «Sie kommen aus Zürich hierher?», fragt er jovial, bietet schwarzen Kaffee in grossen Tassen an. Sein Büro ist klein und schlicht eingerichtet, mit Zierpflanze und Familienbildern. In der Mitte des Raums steht ein Gestell, für die Kamera. Auf seine Bekanntheit ist Wendt stolz, auch wenn er betont, dass nicht er auf die Medien zugehe. «Es ist ja nicht so, dass ich den ganzen Tag hier sitze und Pressemitteilungen schreibe», sagt er, «nein, die rufen mich an und fragen: ‹Kommen Sie heute ins Studio?›»

Einmal, so erzählt er, sei er vom deutschen Markenverband eingeladen worden. «Auf meine Frage, weshalb ich da reden solle, hat man mir geantwortet: ‹Na, Sie sind doch eine Marke!›»

Dass er nach den islamistischen Terrorattentaten in Paris 22 Interviews in 48 Stunden gab, ist eine der bekanntesten Wendt-Legenden. Zu seinem Image passt, dass er sich in der ARD-Serie «Rentnercops» gleich selber gespielt hat: Er mimt den Gewerkschaftsboss, der dem Polizeichef eine Akte auf den Tisch knallt und sagt: «Ihre Rentnercops machen zu viele Überstunden.»

Klimakleber mag er nicht, die Bauernproteste schon

Im echten Leben sagt Wendt oft Dinge, die andere nicht zu sagen wagen. Er bietet ein Gegenprogramm zu dem, was Regierungsstellen, NGO und viele Medien verbreiten. Klimakleber? Nennt er lieber Extremisten statt Aktivisten. Die von Journalisten und Politikern als rechtsextrem gebrandmarkten Bauernproteste von Anfang Jahr dagegen findet Wendt legitim, eine «Quittung für eine verfehlte Politik».

Seine Botschaft, die er seit Jahren vermittelt, ist einfach: Deutschland wird immer unsicherer, die Migration muss stärker kontrolliert werden, der Staat braucht mehr Mittel und vor allem mehr Polizisten. «Deutschland in Gefahr», lautet der Titel eines Bestsellers, den Wendt kurz nach der Flüchtlingskrise veröffentlicht hat.

«Das Gewaltmonopol des deutschen Staates schmilzt wie Schnee in der Sonne», schreibt er. Gleichzeitig sprössen überall im Land die Bürgerwehren «wie Pilze aus dem Boden», weil sich die Menschen nicht mehr sicher fühlten. Solche Sätze machen es leicht, Wendt als Stammtischpolterer abzutun, obwohl er mit vielen Warnungen richtiglag (Messerattacken etwa, die seit 2020 separat erfasst werden, haben in den letzten Jahren stark zugenommen, Gleiches gilt für Sexualstraftaten). Und Feinde hat er viele.

«Donald Trump der deutschen Innenpolitik»

Für die «Süddeutsche Zeitung» ist Wendt ein «Mini-Maassen», also ein Klon des ehemaligen Verfassungsschutzchefs, der wegen seiner Äusserungen zu den Ausschreitungen in Chemnitz in Ungnade gefallen ist. Der Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes erkor ihn gar zum «Donald Trump der deutschen Innenpolitik», und die «Zeit» räumte einem ehemaligen Bundesrichter 18 000 Zeichen ein, um «Deutschland in Gefahr» zu zerzausen. «Mit welchem Sumpf», so fragte der Autor, «kokettiert dieses Gerede?»

Der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann hat dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft ein eigenes Schmählied gewidmet, voller bösartiger Anspielungen auf seine Körperform, in dem ihm Gier und natürlich eine rechte Gesinnung vorgeworfen werden. Refrain: «Rainer Wendt, du bist kein echter Polizist.»

Glaubt man Wendt, lässt ihn das alles kalt. «Solange die Journalisten Rainer mit ‹ai› schreiben und Wendt mit ‹dt›, ist mir das ziemlich schnuppe», sagt er. Das Böhmermann-Lied habe ihm gefallen, sein Enkel singe immer mit. «Böhmermann ist ja auch kein echter Künstler, da soll er doch singen, ich sei kein echter Polizist. Er hat sogar mein Buch in die Kamera gehalten. Super!»

Auf Verbrecherjagd im Ruhrpott

Wendt kommt aus einfachen Verhältnissen. Er wächst in Duisburg auf, 1976 wird er Hauptwachtmeister bei der Polizei, mit zwanzig Jahren. Eine Ausbildung als Lehrer bricht er ab. Stattdessen fährt er mit dem VW-Käfer auf Streife, tippt Berichte in eine mechanische Schreibmaschine und verfolgt, nach eigenen Worten, vor allem Einbrecher und Autodiebe.

Das Milieu, in dem der junge Polizist arbeitet, ist rau, geprägt von Stahlarbeitern, Bergleuten und Binnenschiffern. «Die hatten ein ziemlich entspanntes Verhältnis zur Gewalt,» erzählt Wendt, «Kneipenschlägereien waren an der Tagesordnung. Aber damals sind die Schläger am nächsten Tag zur Polizei gekommen und haben sich entschuldigt.»

Überhaupt habe die Polizei viel mehr Autorität gehabt, «wenn man ‹Stehenbleiben!› gerufen hat, sind die Leute erst mal stehengeblieben». Er selbst habe zwar ein paar Mal «auf die Mütze bekommen», mit einem Schlagring oder von einer Frau, die ihn vom Rücksitz aus mit ihrem Pfennigabsatz traktiert habe. Die Kriminalität sei jedoch anders gewesen, weniger geprägt von «diesen toxischen jungen Männern mit Migrationshintergrund». Die damaligen Einwanderer, Polen, Türken und Italiener, hätten dazugehören wollen. Viele dächten heute konservativ und lehnten die Migrationspolitik der Regierung ab.

Politische Ambitionen hat Wendt schon Anfang der 1970er Jahre. Er tritt der CDU bei, in einer Stadt, die damals von der SPD dominiert wird. Später kandidiert er für den Landtag und arbeitet für die Bundestagsabgeordnete Irmgard Karwatzki. Hier lernt er, dass die Debatten im Bundestag oft nur eine Simulation sind, «weil alles schon gelutscht» ist. Eingreifen müsse man früher.

Die AfD? «Würde ich nie wählen»

Sein Aufstieg zum national bekannten Polit-Polizisten beginnt, als er 2007 zum Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft gewählt wird. Wendts erklärtes Ziel ist es, der Konkurrenz Mitglieder abzujagen, insbesondere der SPD-nahen Gewerkschaft der Polizei. Dies auch durch Provokationen und Effekthascherei. Die Frage, ob er im Namen seiner über 100 000 Gewerkschaftsmitglieder spricht oder bloss seine eigene Meinung vertritt, ist umstritten.

«Unguided Missile» haben ihn anonyme Kritiker genannt, Wendt dagegen versichert, er sei im engen Austausch mit Polizisten. Sein offensiver Stil werde geschätzt, das zeigten steigende Mitgliederzahlen. Einen seiner ersten Skandale provoziert er, als er 201o im Zuge der Stuttgart-21-Proteste den Einsatz von Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken rechtfertigt. Trotz 130 Verletzten.

Waffen, so erklärt er dem «Spiegel», müssten «weh tun». Zwei Jahre später zieht der Gewerkschaftsboss den Zorn der Fussballfans auf sich, weil er die Abschaffung von Stehplätzen fordert. Doch selbst die linke «Tageszeitung» muss ihm 2016 attestieren, dass er sein Handwerk als strategischer Lobbyist beherrscht – und lädt den «Sheriff vom Dienst» zu einer Lehrstunde über Populismus ein. Zuvor hat Wendt mit der Forderung, Deutschland müsse die Grenzen mit einem Zaun absichern, für Aufregung gesorgt. Dann relativiert er diesen Plan und fordert, wie gewohnt, mehr Polizisten. Der «TAZ» sagt er damals: «Zwei Wochen Aufmerksamkeit sind zwei Wochen Rederecht.»

Wendt ist denn auch geschmeidiger, als es Schmähartikel in den Medien vermuten lassen. So sagt er 2016, als ihn der «Spiegel» auf einer Reportage begleitet, er könne keinen Zusammenhang zwischen Asylmigration und Kriminalität erkennen, selbst wenn er in Reden und Schriften das Gegenteil behauptet. Als Medienprofi weiss er zudem, wann er sich distanzieren muss. Ein Interview, das er 2016 dem rechtsextremen Magazin «Compact» gab, bereut er, wie er betont. Die AfD hat er einmal verklagt, als diese mit Zitaten von ihm Werbung machte.

Wie gross ist die Gefahr, die heute von dieser Partei ausgeht? Auf diese Frage antwortet Wendt diplomatisch: «Ich bin ja nicht Präsident des Verfassungsschutzes, habe die nie gewählt und käme auch nicht auf den Gedanken.» Er glaube an die Stärke der CDU als Volkspartei, mit der Merkel-Politik sei zum Glück Schluss.

Die Vertrautheit mit der Politik und den Medien hat Wendt geholfen, eigene Skandale und Rückschläge zu überstehen. Dies unter anderem, als er 2016 in Bedrängnis gerät, weil er weiterhin ein Salär als Polizeikommissar bezieht, obwohl er schon lange keinen Dienst mehr leistet. Kurz darauf wird bekannt, dass er ein Verwaltungsratsmandat bei der AXA nicht ordnungsgemäss gemeldet hat. 50 ooo Euro bringt es ihm neben seinem Funktionärsgehalt ein. «Lautsprecher ganz leise», höhnen Journalisten, Wendt selber sieht sich bis heute als Opfer einer typisch deutschen Neiddebatte.

«Da hätten sich viele gewünscht, dass es vorbei ist mit der lauten Stimme der Polizei», erinnert sich Wendt, «ist aber nicht so gekommen.» Tatsächlich kommt er mit einer eher symbolischen Disziplinarstrafe davon. 2019 steigt er auf Wunsch der CDU fast zum Staatssekretär im Innenministerium von Sachsen-Anhalt auf, allerdings bekommt es Minister Holger Stahlknecht nach Protesten von Grünen und SPD mit der Angst zu tun.

Wendt soll seinen freiwilligen Rückzug erklären, setzt jedoch mithilfe der «Bild»-Zeitung eine andere Geschichte in die Welt: Die CDU sei eingeknickt, auf Druck der Linken und des Kanzleramts. «Im Mediengeschäft muss man immer die erste Botschaft, die erste Geschichte erzählt haben. Die anderen können dann zwar sagen: ‹Ne, stimmt nicht›, aber das wird meist schwierig.»

Wenn es um die Polizei geht, kann Wendt oft nicht die erste Geschichte setzen. Dann bleibt ihm nur das Poltern. Etwa, wenn der Polizei wegen 400 rechtsextremer Verdachtsfälle ein strukturelles Problem attestiert wird. 90 Prozent dieser Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus, so echauffiert sich Wendt, würden nicht erhärtet, und bei 350 000 deutschen Polizisten liege ihr Anteil bei 0,1 Prozent. All die «Soziologen und Wissenschafter», die sich um die Polizei kümmerten, sollten lieber einmal die Hochschulen untersuchen. «Da käme man auf ganz andere Werte, bei all den Antisemiten.»

Bei aller Polemik und allem Alarmismus wirkt Wendt erstaunlich gelassen. Die mediale Welt, so glaubt er, leide an einer Wahrnehmungsstörung. Die jungen Leute seien viel konservativer, als man uns das weismachen wolle. Die pflegten alte Menschen, wie eine seiner sieben Enkelinnen, machten etwas Sinnvolles. «Über die redet keiner, aber wenn fünf Klimakleber vorm Kanzleramt sitzen, kommt die ‹Tagesschau›.»

Von ihm selber, daran besteht kein Zweifel, wird noch einiges zu hören sein. Spätestens, wenn Nancy Faeser die neuste Idee für mehr Sicherheit präsentiert.

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