Eine geplante Reform spaltet die marokkanische Gesellschaft. Denn in dem islamischen Land ist die Gleichstellung ein heikles Thema.

Vor 25 Jahren bestieg König Mohammed VI. den Thron von Marokko mit dem Anspruch, sein Land zu modernisieren. Doch sein ehrgeizigstes Reformvorhaben, nämlich die Änderung des traditionellen Familienrechts und die Gleichstellung von Mann und Frau, erweist sich als schwieriges Unterfangen.

Zwar können Frauen seit 2004 die Scheidung einreichen. Doch das geltende Familienrecht toleriert bis heute, wenngleich unter bestimmten Bedingungen, die Polygamie und Kinderehen. Während der Anteil von Vielehen in Marokko mittlerweile auf unter 2 Prozent gesunken ist, werden noch immer jedes Jahr 20 000 Mädchen verheiratet, bevor sie volljährig sind.

Schon im Juli 2022 hatte der Monarch dem Parlament in Rabat den Auftrag erteilt, das geltende Familienrecht – die 400 Seiten schwere sogenannte Moudawana – zu überarbeiten. «Die erste Revision war ein grosser Sprung nach vorne, aber in ihrer jetzigen Form ist sie nicht mehr ausreichend», sagte der König bei seiner Thronrede zum 23. Jubiläum seines Amtsantritts. Korrigiert werden soll vor allem die noch immer bestehende zivilrechtliche Diskriminierung der Frauen.

Es ist ein heikles Thema für ein islamisches Land – entsprechend viel Zeit liessen sich die Parlamentarier. Erst im vergangenen April legten sie dem Monarchen einen Vorschlag vor. Dessen Inhalt soll allerdings erst veröffentlicht werden, wenn Mohammed sein Einverständnis erklärt und den Entwurf zur Abstimmung an das Parlament weiterreicht.

Beachtliche Fortschritte in den letzten Jahren

Bislang ist unklar, wie weit der König gehen wird. Schon jetzt ist Marokko im regionalen Vergleich in Sachen Frauenrechte relativ weit fortgeschritten. In der Hauptstadt Rabat wird das Rathaus von einer Frau regiert, im Parlament sind ein Viertel aller Abgeordneten Frauen und an den Universitäten stellen sie die Mehrzahl der Studierenden. Und auch in der 25-köpfigen Regierung sitzen 6 Frauen.

Doch vor allem das Zivilrecht hinkt hinter den gesellschaftlichen Realitäten hinterher. So verlieren Marokkanerinnen im Falle einer Scheidung automatisch das Sorgerecht für ihre Kinder, gesetzlicher Vormund bleibt der Mann. Die Frau kann ohne die schriftliche Genehmigung des Ex-Mannes ihren Nachwuchs nicht alleine an einer anderen Schule anmelden oder das Kind zu einer Operation ins Krankenhaus bringen.

Der Vater ist sogar berechtigt, das Geld, das die Mutter bei der Bank für ihr Kind einzahlt, von dessen Konto abzuheben. Wird einem Kind nach einem Unfall Entschädigung zugesprochen, erhält diese automatisch der Vater, egal, ob er noch bei der Familie wohnt oder nicht. Selbst Auslandsreisen mit den Kindern sind nur möglich, wenn der Ex-Mann das schriftlich genehmigt.

Diskriminierung sogar beim Erbrecht

Und so ist es auch kein Wunder, dass den Frauenverbänden im nordafrikanischen Land allmählich die Geduld ausgeht. Schon lange fordern sie ein völliges Verbot von Kinderehen und Polygamie sowie ein Ende der Diskriminierung von alleinerziehenden, verwitweten und geschiedenen Frauen. Zu den umstrittensten Themen zählt auch das Erbrecht für Frauen. Laut der Moudawana erhalten Töchter nur die Hälfte des Erbes, das den Söhnen zusteht. Falls kein Sohn vorhanden ist, müssen sie ihr Erbe mit anderen männlichen Verwandten wie Cousins oder Onkeln teilen. Dies steht im Gegensatz zur Verfassung von 2011, die eigentlich vorschreibt, dass Männer und Frauen gleichgestellt sind.

Dass der König erst jetzt sein Reformvorhaben anstösst, hat auch damit zu tun, dass die islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) von 2011 bis 2021 an der Macht war. «Die zehn Jahre der PJD-Regierung waren für uns eine Stagnation, in Marokko verbreitete sich ein frauenfeindlicher Diskurs», sagte Nouzha Skalli, eine ehemalige Ministerin und eine der bekanntesten Feministinnen in Rabat, gegenüber der spanischen Tageszeitung «El País».

Der PJD-Generalsekretär Abdelilah Benkirane behauptete im Gegenzug, die Frauenbewegung repräsentiere eine bürgerliche Elite, die keine wirtschaftlichen Probleme habe. Für seine Wähler, die eher aus armen Schichten stammten, sei es eben wichtig, dass eine Tochter auch minderjährig verheiratet werden dürfe, wenn sie damit ihrer Familie helfe, sagte Benkirane.

Selbst unter betroffenen Frauen sind nicht alle für eine sofortige Abschaffung der Polygamie. «Einige Frauen müssen eine Vielehe akzeptieren, sonst laufen sie Gefahr, dass der Mann die Scheidung einreicht und ihnen ein Leben auf der Strasse droht», gibt die marokkanische Anwältin Khadija al-Amrani in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Le Brief zu bedenken.

In den sozialen Netzwerken werden Vertreterinnen der Frauenbewegung, darunter auch die marokkanischstämmige französische Schriftstellerin Leïla Slimani, von religiösen Marokkanern beschimpft und bedroht. Für den PJD-Generalsekretär Benkirane stecken hinter der Reformbewegung vor allem westliche Interessen – man wolle aus den Marokkanern nun Europäer machen. Im März appellierte er an seine Anhänger, darüber zu wachen, dass die geplante Reform auf keinen Fall gegen die Regeln des Islam verstösst.

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