Freitag, April 25

Schon bei der ersten Wahl wirkte der Kreml tatkräftig mit, dass Donald Trump das Weisse Haus eroberte. Nun, da er erneut im Amt ist, fällt auf, wie pfleglich er mit Putin umgeht. Was ausser einer gewissen ideologischen Schnittmenge dahintersteckt, bleibt unklar.

Im September 2016 organisierte die vom Kreml finanzierte Bewegung «Dialog der Nationen» in Moskau eine internationale Konferenz von Separatisten. Aus den USA kamen Texaner und Kalifornier. Bereits ein Jahr zuvor waren Delegationen aus Puerto Rico und Hawaii an eine ähnliche Veranstaltung in die russische Hauptstadt gepilgert. Die amerikanischen Gäste wurden von den Russen hofiert. Allerdings gab es keine Gespräche mit Separatisten aus Russland (etwa mit Dagestanern, Tschetschenen oder Sibirjaken) – aus dem einfachen Grund, weil sie offiziell nicht existieren.

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Die USA waren bereits aus sowjetrussischer Sicht ein Gegenstand von intensiver Hassliebe. Lenin rief 1918 dazu auf, Amerika «einzuholen und zu überholen». Später übernahm Stalin diese Losung. Chruschtschow war der letzte Generalsekretär, der an den historischen Sieg des Kommunismus glaubte. Er zeigte sich überzeugt, dass die Sowjetunion die USA überholen werde. Und 1961 versprach er vollmundig die Verwirklichung des Kommunismus «in zwanzig Jahren».

Aggressive Phantasien

Eine realistischere Sicht auf den Systemwettbewerb hatte bereits Lenin. 1921 erklärte der Revolutionsführer in einem Gespräch mit dem Künstler Juri Annenkow, die Losung «Amerika einholen und überholen» bedeute vor allem, die ökonomische und politische Stabilität der USA auszuhöhlen, zu zersetzen und zu zerstören. Erst wenn der amerikanische Widerstandswille gebrochen sei, könne man auf das «Einholen und Überholen Amerikas» hoffen.

Solch aggressive Phantasien stiessen nach dem Untergang der Sowjetunion bei russischen Ultranationalisten auf fruchtbaren Boden. Im Anschluss an Carl Schmitt unterschied Alexander Dugin zwischen atlantischen und tellurischen Kulturen. Russland erscheint aus dieser Sicht als im Boden verwurzelte konservative Kraft, während Amerika seinen atomisierten Individualismus über die globalen Wasserwege verbreitet. Dugin begründete seinen Antiamerikanismus nicht politisch, sondern ideologisch.

Schnell fanden solche Überzeugungen auch Eingang in Film und Literatur. Im Jahr 2000 erzielte «Bruder 2» einen phänomenalen Erfolg in den russischen Kinos. Ein Teil des Films ist im kriminellen Milieu von Chicago angesiedelt, wo sich folgender Dialog abspielt: «Seid ihr Gangster?» – «Nein, wir sind Russen.» Das Verbrechen ist aus dieser Sicht gar keine moralische Kategorie. Auch Dugin hatte verkündet, dass Russland «das Gottesträgervolk» sei und sich deshalb «jenseits von Gut und Böse» befinde: «Sogar unsere Verbrechen stehen unvergleichlich höher als fremde Tugenden.»

Deutlich zeigte sich der russische Antiamerikanismus auch in Pawel Krusanows Roman «Das amerikanische Loch» aus dem Jahr 2005. Der Autor zeichnet ein düsteres Zukunftsbild der USA, die an ihrer Profitgier und ihren gesellschaftlichen Widersprüchen zerbrechen. Die Handlung spielt im Jahr 2011. Texas erklärt seinen Austritt, Kalifornien sucht den Anschluss an Mexiko, die Südstaaten bilden eine neue Konföderation. Ein neuer Bürgerkrieg droht. Die Bundesregierung in Washington ersucht um humanitäre Hilfe, die aus Russland kommt.

Die Annäherung von Russland und Amerika muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Der russische Präsident ist ein gelehriger Schüler von Lenin. Putin lässt keine Finte, keine Schliche und keine Täuschung aus, um seine machtpolitischen Ziele zu erreichen. Putin unterscheidet sich jedoch von Lenin durch seinen postmodernen Ansatz. Lenin glaubte noch an die Macht der kommunistischen Propaganda.

Die Utopie eines «grossen Nordens»

Putin verfügt über keine Ideologie. Sein Ziel besteht darin, sich selbst als Fels in der Brandung der allgemeinen Desinformation und Orientierungslosigkeit zu präsentieren. Darin stimmt er mit Trumps ehemaligem Berater Steve Bannon überein, dessen Medienpolitik darin bestand, die «Zone mit Scheisse zu fluten». Bannon war es auch, der 2018 in einem Geheimtreffen in Rom versuchte, Dugin davon zu überzeugen, dass die USA und Russland nicht Gegner, sondern Partner einer künftigen Weltdominanz seien.

In der Tat hat Dugin seither Kreide gefressen. In einem CNN-Interview lobte Dugin vor zwei Wochen Amerika dafür, dass es nicht mehr einen grenzenlosen Globalismus predige, sondern für seine nationale Souveränität einstehe. In seinem neusten Buch, «Die Trump-Revolution. Eine neue Grossmachtordnung», behauptet Dugin sogar, der Putinismus habe in Amerika gesiegt.

Der wichtigste Konstrukteur von Putins Macht, der Polittechnologe Wladislaw Surkow, bereitete schon im September 2023 die neue russisch-amerikanische Allianz vor. In einem Essay mit dem Titel «Die Geburt des Nordens» kündigte er ein neues «Triumvirat» der USA, Europas und Russlands an, das den wachsenden Ansprüchen des globalen Südens entgegentreten könne.

In einem Interview mit dem französischen «Express» hat Surkow kürzlich Europa wieder in den zweiten Rang verwiesen. In den USA gehe zurzeit eine «Perestroika» vor sich. In Russland habe die Perestroika zum Zusammenbruch der Sowjetunion geführt. Nun sei es möglich, dass die amerikanische «Perestroika» die Nato und die EU zerstöre. Die EU sei zu schnell gewachsen und wisse nicht, ob sie ein Staat sein wolle. Das geschwächte Europa könne in den Einflussbereich Russlands geraten, das sich so weit ausdehne, «wie Gott es will».

Die Utopie eines «grossen Nordens» hat durchaus auch eine rassistische Komponente. Richard Spencer, der Gründer der Alt-Right-Bewegung und bekennender «white supremacist», erblickt in Russland die «stärkste Kraft der weissen Macht in der Welt». Spencer war mit der Russin Nina Kuprianowa verheiratet, die auch zwei Bücher von Dugin ins Englische übersetzt hat. Sie bezeichnet sich selbst stolz als «Anführerin der Kremlin-Trolle». Sie engagiert sich für traditionelle Werte, die auch die Geburtsrate in Russland wieder steigern sollen. Darin trifft sie sich mit Putin, der 2024 zum «Jahr der Familie» erklärt hatte. Er bezeichnete das «Gebären von Kindern, also die Fortpflanzung unseres Volks» als wichtigste Bestimmung der Familie. Russland sei «die Familie der Familien».

Putin und Trump verfolgen bei ihrer gegenseitigen Annäherung vor allem eigene Zwecke, die zufällig einige Schnittmengen aufweisen. Eine neue Wertegemeinschaft, wie sie Dugin herbeiphilosophieren will, ist jedoch nicht in Sicht. Putin hatte schon 2021 in einem Artikel für «The National Interest» versucht, dem amerikanischen Publikum sein Wunschbild der zukünftigen Weltpolitik schmackhaft zu machen. Er schlug vor, dass alle wichtigen geopolitischen Fragen wie am Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch von den Grossmächten entschieden würden.

KGB-Agent «Krasnow»

Dieser Vorstoss war schon damals Musik in Steve Bannons Ohren. Mittlerweile ist die Lautstärke des Putin-Sounds deutlich gestiegen. Kürzlich bezeichnete Bannon das Treffen der russischen und der amerikanischen Verhandlungsdelegation in Riad begeistert als ein «Mini-Jalta» – damals wurde Polen geteilt, heute gehe es im Namen einer neuen Grossmachtordnung um die Teilung der Ukraine.

In Jalta hatte Franklin D. Roosevelt im Februar 1945 der Forderung des sowjetischen Diktators nachgegeben, dass die Sowjetunion die im Nachgang des Hitler-Stalin-Paktes besetzten polnischen Gebiete behalten dürfe. Der amerikanische Präsident hatte Stalin zum ersten Mal 1943 in Teheran getroffen und ihm gegenüber eine äusserst naive Haltung an den Tag gelegt: «Ich glaube, dass er nichts annektieren wird und auf eine demokratische und friedliche Welt hinarbeiten wird, wenn ich ihm alles gebe, was überhaupt möglich ist, und nichts von ihm als Gegenleistung verlange. Noblesse oblige.»

Die Enttäuschung liess allerdings nicht lange auf sich warten. Zwei Monate nach Jalta und keine drei Wochen vor seinem Tod bemerkte Roosevelt gegenüber seiner Beraterin Anna Rosenberg: «Wir können nicht mit Stalin zusammenarbeiten. Er hat jedes einzelne Versprechen gebrochen, das er in Jalta gemacht hat.» Der ehemalige Strassenräuber Stalin war auch nach seiner politischen Karriere kein Gentleman geworden.

Franklin D. Roosevelt ist gewiss ein anderes politisches Kaliber als der Scharlatan Donald Trump. Roosevelts Schwäche bestand in der irrigen Annahme, mit Stalin ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Bei Trump ist die Sache komplizierter. Gerüchteweise wurde er bereits 1987 als «Krasnow» für den sowjetischen Geheimdienst rekrutiert. 2013 hatte er den Miss-Universe-Wettbewerb nach Moskau gebracht und tappte möglicherweise in eine «Honigfalle» des russischen Geheimdienstes, so dass es in den Giftschränken des Kremls ein Kompromat über ihn geben dürfte. Ausserdem gab es Pläne für einen Moskauer Trump-Tower.

Damals prahlte Donald Trump mehrmals öffentlich damit, dass er Putin persönlich getroffen habe. Seine Darstellungssucht brachte ihn während seiner ersten Präsidentschaftskandidatur 2016 in die Bredouille. Nun stritt er kategorisch ab, jemals direkten Kontakt mit Putin gehabt zu haben. Aufgrund der vorliegenden Dokumente ist kaum zu entscheiden, ob Trump ein naiver (oder auch erpressbarer) Bewunderer Putins, ein nützlicher Idiot für den Kreml oder das gravierendste Sicherheitsrisiko ist, das die USA jemals hatten. Was aber bereits heute feststeht: Putin ist es gelungen, mit seinen postmodernen leninistischen Methoden die Trump-Truppe kirre zu machen.

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