Donnerstag, Dezember 26

Die Ausgabenstruktur der Schweizer Haushalte ändert sich langfristig stark. So ist etwa der Ausgabenanteil für Nahrungsmittel massiv gesunken, jener für Gesundheitspflege dafür deutlich gestiegen. Das Festschreiben eines Deckels für den Gesundheitsanteil ist deshalb nicht sinnvoll.

Die Kosten des Gesundheitswesens in der Schweiz wachsen schneller als die Gesamtwirtschaft. Seit 1996, dem Startjahr des Krankenversicherungsgesetzes, stiegen die Gesundheitskosten von 8,9 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandprodukt) auf geschätzte 11,3 Prozent 2022. Mit dieser Marke weist die Schweiz im internationalen Vergleich den sechsthöchsten Wert auf. Nebst den USA und Japan haben auch unsere Nachbarländer Deutschland, Frankreich und Österreich noch höhere Gesundheitskosten im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Grossbritannien ist gemäss diesem Kriterium kostenmässig gleichauf mit der Schweiz.

Die Betrachtung der Gesundheitskosten im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist im Prinzip sinnvoll, weil mit steigendem Wohlstand tendenziell die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen überproportional zunimmt. Das gilt zum Beispiel auch für Ausgabenposten wie Bildung und Freizeitgestaltung. In der Tendenz das Umgekehrte gilt bei Ausgabenposten wie Ernährung und Kleidung: Mit steigendem Wohlstand geben die Bürger einen geringeren Teil ihres Einkommens dafür aus.

Verdoppeltes Gewicht

Hinweise zum Ausmass langfristiger Verschiebungen gibt die Zusammensetzung des Waren- und Dienstleistungskorbs für den Schweizer Konsumentenpreisindex. Der Korb ist «für die breite Schicht der Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenfamilien repräsentativ», wie es ein Bericht der Bundesverwaltung zur Revision des Konsumentenpreisindexes von 1966 ausdrückte. Im revidierten Index von 1966 hatten Nahrungsmittel ein Gewicht von 31 Prozent, heuer sind es noch knapp 11 Prozent. Auch der Posten «Bekleidung/Schuhe» hat über die Jahrzehnte stark an Bedeutung verloren (vgl. Grafik). Die «Körper- und Gesundheitspflege» hatte derweil 1966 ein Gewicht von 7 Prozent, nun sind es mehr als 15 Prozent.

Die Gewichte verändern sich

Anteil ausgewählter Ausgabengruppen am Warenkorb des Konsumentenpreisindexes, in Prozent. Datenpunkte für 1966, 1977, 1993, 2000 und 2024.

Solche langfristigen Verschiebungen lassen es als wenig sinnvoll erscheinen, für einen bestimmten Ausgabenposten, wie im vorliegenden Fall die Gesundheitskosten, ein Maximum in Prozent des Einkommens in die Bundesverfassung zu schreiben. Die SP-Volksinitiative zum Ausbau der Verbilligung der Krankenkassenprämien verlangt, dass Versicherte künftig höchstens 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Prämie der obligatorischen Krankenversicherung ausgeben müssen; bei höheren Prämien soll der Staat (grossenteils der Bund) die Differenz übernehmen.

Laut dem jüngsten Monitoring-Bericht im Auftrag des Bundes betrug 2020 in sieben untersuchten Modellhaushalten mit relativ tiefen Einkommen die Nettoprämienbelastung im Durchschnitt 9,4 Prozent des verfügbaren Einkommens. Diese Zahl bezieht sich auf die Betrachtung auf Basis der mittleren Prämien. Auf Basis der Standardprämien (Modell mit minimaler Franchise und ohne eingeschränkte Arztwahl) machte die Belastung durchschnittlich 13,7 Prozent aus.

36 Prozent des Kuchens

Die Volksinitiative betrifft also nicht die gesamten Gesundheitskosten, sondern «nur» die Prämien und damit die Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP). 2021 beliefen sich die gesamten Gesundheitskosten auf rund 86 Milliarden Franken – fast 10 000 Franken pro Einwohner. Davon entfielen gegen 36 Prozent auf die OKP. Dieser Anteil ist seit 1996 um gut 5,5 Prozentpunkte gestiegen. Auch der Anteil der staatlichen Finanzierung des Gesundheitswesens hat deutlich zugenommen. Im Gegenzug ging der Finanzierungsanteil von privaten Versicherungen und via Selbstzahlungen der Versicherten markant zurück.

Die gesamten Gesundheitskosten pro Einwohner sind von 1996 bis 2021 im Mittel um rund 2,5 Prozent pro Jahr gestiegen, während die OKP-Kosten pro Versicherten und die Versicherungsprämien um je etwa 3,6 Prozent pro Jahr zulegten. Deshalb lag die mittlere OKP-Jahresprämie 2022 mit 3766 Franken nominal rund 145 Prozent über dem Niveau von 1996.

Das klingt eindrücklich, doch in absoluten Zahlen sind die Löhne viel stärker gewachsen als die Krankenkassenprämien (vgl. Grafik). Das gilt auch für die Reallöhne (Nominallöhne bereinigt um die Teuerung gemäss Konsumentenpreisindex). Der grösste Teil des Anstiegs der Krankenkassenprämien ist nicht im Konsumentenpreisindex abgebildet, weil die Hauptursache für den Prämienanstieg die Zunahme der Gesundheitsleistungen ist – und nicht etwa der Preisanstieg für unveränderte Leistungen.

Löhne steigen in Franken stärker als Krankenkassenprämien

Anstieg von Jahreslöhnen und mittleren Jahresprämien für die obligatorische Krankenversicherung von 1996 bis 2022, jeweils in Franken

Die Bundesstatistiker messen den Einfluss der Krankenkassenprämien auf das verfügbare Einkommen mit einem speziellen Krankenversicherungsprämien-Index. Dieser deckt die OKP und Zusatzversicherungen ab, doch die OKP macht den Hauptanteil der Veränderungen aus. Gemäss diesem Index war wegen der Prämienerhöhungen seit 1999 das verfügbare Einkommen der Versicherten 2022 im Mittel 5,4 Prozentpunkte tiefer, als es bei unveränderten Prämien gewesen wäre. Das klingt nicht dramatisch. Zum Vergleich: Laut der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Bundesstatistiker sind die verfügbaren Einkommen im Mittel pro Einwohner von 1999 bis 2022 um teuerungsbereinigt rund 15 Prozent gestiegen. Dieser Durchschnitt sagt allerdings nichts über die Verteilung aus.

Weiter im Takt

Auch künftig dürften die Gesundheitskosten prozentual stärker wachsen als die Gesamtwirtschaft. Ein laufender Ausbau der Prämienverbilligung mit entsprechend höheren Kosten für die Steuerzahler wäre so durch die Volksinitiative auf Jahrzehnte hinaus programmiert. Dafür sorgen nebst dem schon erwähnten Wohlstandseffekt auch die Alterung der Bevölkerung (die laut Schätzungen in jüngerer Zeit etwa ein Kostenwachstum von 0,5 Prozent pro Jahr ausmachte) sowie der technische Fortschritt (der oft zu teureren Behandlungsmethoden führt).

Hinzu kommt das in der Ökonomie bekannte Phänomen, dass die Produktivität bei persönlichen Dienstleistungen in der Tendenz weniger stark zunimmt als zum Beispiel in der Maschinenindustrie und in der IT. Das gilt für medizinische Leistungen bei notwendiger physischer Präsenz des Arztes ebenso wie etwa für die Dienstleistungen von Coiffeuren. Steigen die Löhne in den Sektoren mit unterdurchschnittlicher Produktivitätsentwicklung nicht entsprechend weniger stark, führt dies zu einem überdurchschnittlichen Kostenanstieg in den betroffenen Sektoren. Die Ökonomen nennen dies die «Baumolsche Kostenkrankheit» – zu Ehren des ersten ihrer Zunft, der das Phänomen detailliert beschrieben hat.

Die Anreize massgebender Akteure im Gesundheitswesen führen dazu, dass Innovationen oft in Richtung teurere Produkte und Behandlungsmethoden zielen. Prozessinnovationen, dank denen man das Gleiche günstiger anbieten kann, erscheinen weniger attraktiv: Diese versprechen keine Umsatzzunahmen, sondern können im Gegenteil früher oder später zu Tarifsenkungen führen.

Schwierige Nutzenmessung

Die Produktivitätsmessung im Gesundheitswesen ist allerdings ein schwieriges Unterfangen. Es ist zu hoffen, dass die höheren Gesundheitsausgaben zumindest in gewissem Mass in einer besseren Gesundheit der Bevölkerung und in einer höheren Lebenserwartung gespiegelt sind. So lässt die internationale Forschungsliteratur zu den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte mutmassen, dass eine Erhöhung der Gesundheitsausgaben in der Tendenz die Lebenserwartung steigert. Und im internationalen Vergleich bekommen die Schweizer etwas für die hohen Kosten: Gemessen an Kriterien wie Lebenserwartung, vermeidbare Todesfälle und Bevölkerungszufriedenheit gehört das hiesige Gesundheitssystem zu den besten der Welt. Dummerweise wollen manche Schweizer dafür nicht bezahlen.

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