Donnerstag, März 13

Die Columbia University verliert 400 Millionen Dollar an staatlicher Unterstützung, weil sie jüdische Studenten zu wenig schütze. Der propalästinensische Aktivist Mahmoud Khalil wurde verhaftet. Selbst jüdische Professoren reagieren schockiert.

An der renommierten Columbia University in New York herrscht Aufruhr. Eben wurden ihr 400 Millionen Dollar an Bundesgeldern gestrichen, und am Sonntag verhafteten Beamte der Inlandsicherheit den propalästinensischen Aktivisten Mahmoud Khalil. Ihm droht nun die Abschiebung, obwohl er über eine Green Card, also eine permanente Aufenthaltsbewilligung, verfügt. Es heisst, Khalil, der vor kurzem sein Studium an der Columbia abschloss, habe für die Terrororganisation Hamas Propaganda betrieben. Auch die Streichung der staatlichen Gelder für die Eliteuniversität wird mit Antisemitismus begründet; die Regierung wirft der Columbia vor, die jüdischen Studenten während der Proteste gegen den Gaza-Krieg nicht genug geschützt zu haben.

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Eigentlich war es ruhig geworden auf dem Campus

Schon kurz nach seinem Amtsantritt im Januar erliess Donald Trump eine Durchführungsverordnung, die die Regierung aufforderte, alle verfügbaren rechtlichen Mittel gegen die Urheber antisemitischer Gewalt und Belästigung zu ergreifen, um sie juristisch zu verfolgen, auszuschaffen oder anderweitig zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei nimmt er die Universitäten offensichtlich besonders ins Visier. Das Weisse Haus teilte mit, es seien Briefe an sechzig Universitäten ergangen, bei denen Kontrollen geplant seien. Bei neun Hochschulen würden die staatlichen Zuschüsse überprüft – unter anderem bei Eliteuniversitäten wie Harvard und Columbia.

Viele dieser Ivy-League-Universitäten sorgten letztes Jahr mit antiisraelischen Demonstrationen auf dem Campus für Aufsehen; sie begannen schon kurz nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023. Dabei wurden auch Zeltlager errichtet und Gebäude besetzt. Israelische und jüdische Studenten beklagten sich über Anfeindungen. Im Gefolge mussten sich drei Universitätspräsidentinnen bei einer Anhörung im Kongress harten Fragen stellen, zwei von ihnen wurden später entlassen. Auch die Präsidentin der Columbia, Nemat «Minouche» Shafik, musste im August zurücktreten.

Seither ist es ruhig geworden, auch weil die Columbia durchaus Massnahmen ergriff: Es gab Untersuchungen gegen Professoren, Studenten wurden gemassregelt, der Zugang zum Campus wurde strenger kontrolliert. Am 26. Februar kam es am Barnard College, das zur Columbia gehört, allerdings zu einem Sit-in. Anlass war der Verweis von zwei Studenten, die eine Vorlesung über Israel unterbrochen hatten. Anwesend war auch Khalil. Wenige Tage darauf wurden der Columbia die Zuschüsse gekürzt. Es handelt sich zwar um eine private Universität, die vor allem von Spenden lebt und über ein Stiftungsvermögen von fast 20 Milliarden Dollar verfügt; aber etwa ein Viertel der 2024 budgetierten 6,1 Milliarden Dollar kam vom Staat.

Richter stoppt Khalils Abschiebung

Khalil hat sein Masterstudium in internationalen Beziehungen im Dezember abgeschlossen. Der Palästinenser stammt aus Syrien und kam 2022 in die USA. Er hat keine Straftaten begangen. Laut der «New York Times» ist er mit einer Amerikanerin verheiratet, die im achten Monat schwanger ist. Gegenwärtig befindet er sich in einem Gefängnis in Louisiana. Nach der Anordnung eines Bezirksrichters in New York darf ihn die Regierung nicht abschieben, bis ein Gericht den Fall geprüft hat. Die Rücknahme eines permanenten Aufenthaltsstatus ist in der Regel ein langwieriges Verfahren.

Offenbar unterschrieb Aussenminister Marco Rubio den Haftbefehl persönlich. Er berief sich dabei auf ein Gesetz aus dem Jahr 1952, das es ermöglicht, Personen, die nicht Bürger der USA sind, auf Anweisung des Aussenministers zu deportieren, wenn ihre Aktivitäten potenziell negative aussenpolitische Konsequenzen haben. Das wäre etwa der Fall, wenn sich Khalil als Hamas-Agent herausstellen sollte. Bisher haben Aussenminister höchst selten von diesem Recht Gebrauch gemacht.

Der Fall sorgt für Aufsehen im Land, 1,7 Millionen haben eine Petition unterzeichnet, die Khalils Freilassung fordert. Bürgerrechtsgruppen machen eine Verletzung der Meinungs- und Redefreiheit geltend. Trump hat auf Truth Social bereits angekündigt, dass weitere Studenten, die an «proterroristischen, antisemitischen und antiamerikanischen Aktivitäten» teilgenommen hätten, verhaftet würden.

Die Furcht, sich zu exponieren

Es herrsche eine Mischung aus Schock, Lähmung und Hilflosigkeit an der Universität, sagt der Schweizer Andreas Wimmer, Soziologieprofessor an der Columbia. Die Furcht, sich zu exponieren, habe zugenommen. «Viele reden nicht mehr mit den Medien, und Dozenten überlegen sich gewisse Aussagen bei Vorlesungen zwei Mal, weil es unter den Zuhörern immer Leute gibt, die nur darauf warten, kontroverse Zitate herauszupicken und sie gegen einen zu verwenden.»

Obwohl es kaum noch zu Demonstrationen komme und auf dem Campus ein Lockdown herrsche, habe sich die Polarisierung verschärft. Allerdings seien auch weite jüdisch-konservative Kreise, die Khalils Ansichten hassten, über das Vorgehen gegen ihn empört. Bei den Kürzungen sorge der Kahlschlag quer durch alle Abteilungen für Kopfschütteln. Vielleicht hätte man ein gewisses Verständnis gehabt, wenn man «woke» Geistes- und Sozialwissenschaften abgestraft hätte. Aber nun seien auch Medizin, Naturwissenschaften, Jus und Ökonomie unter Spardruck. Damit bediene man gewisse Ressentiments unter der Wählerschaft gegen die «Eliten». Aber letztlich könnten die Kürzungen zu einem Braindrain führen, der für den Tech- und Forschungsstandort USA massive Konsequenzen hätte. Zudem seien die eingesparten Summen für das amerikanische Haushaltsdefizit unerheblich, für die Universitäten jedoch gravierend.

Heuchelei unter den Demonstranten

Verständnis für die Massnahmen der Regierung äussert der 34-jährige Elad Arad, ein Chemieingenieur aus Israel und Forschungsstipendiat an der Columbia. Zwar sei die Situation nicht mehr so schlimm wie letztes Jahr, sagt er, aber immer noch würden Demonstranten gegen «den Westen» wettern, die Hamas unterstützen oder zumindest zur Intifada, also dem bewaffneten Kampf gegen die «Zionisten», aufrufen. Plakate mit den israelischen Geiseln würden nach kurzer Zeit heruntergerissen.

«Ich bin überzeugt, dass es den Protestierenden nicht um einen Waffenstillstand geht und nicht einmal um die humanitäre Krise in Gaza, denn zugleich sind ihnen die Massaker in Syrien, der Krieg in Darfur oder der Ukraine egal. Die Demonstranten messen mit zwei verschiedenen Ellen – ein klassischer Fall von Heuchelei.» Man schimpfe über die Trump-Regierung und bezweifle die Rechtmässigkeit der Massnahmen, aber niemand frage sich, ob am Antisemitismus-Vorwurf vielleicht etwas dran sei.

Er sagt, keine andere Gruppe ausser den Israeli gelte als «privilegiert», während man zugleich dauernd gegen sie demonstriere. Er fürchtet sich auch vor einem Backlash: «Bereits hört man Klagen, dass wir uns zu lauthals beschwert hätten und schuld seien an den Kürzungen und anderen Massnahmen.»

Erinnerungen an die McCarthy-Ära

Nina Berman hingegen, Professorin für Journalismus an der Columbia, sieht in der Verhaftung und drohenden Ausweisung von Khalil einen Verfassungsbruch. Auch sie spricht von einem Klima der Angst und weist auf eine anonym verfasste Liste hin, genannt «Canary Mission», die Hunderten Professoren und Studenten Judenhass unterstellt. Die Atmosphäre erinnert sie an die Einschüchterungen der McCarthy-Ära und an autoritäre Regime. «Als Jüdin stelle ich fest, dass der Antisemitismus als Vorwand benutzt wird, um die Universitäten letztlich zu zerstören.»

«Ich räume durchaus ein, dass es Antisemitismus gibt auf dem Campus, so wie es überall auch Rassismus und Sexismus gibt», sagt sie. Aber persönlich habe sie Hass lediglich von proisraelischen Studenten erlebt, die ihr übelgenommen hätten, dass sie sich für die Palästinenser engagiert habe.

Auf der Denunzierungsliste ist auch Marianne Hirsch zu finden, die an propalästinensischen Protesten teilnahm. Die emeritierte Professorin für englische Literatur kam mit ihren Eltern, Holocaustüberlebenden, 1962 aus Rumänien in die USA. Sie sagt, es sei ihr immer wichtig gewesen, zu unterscheiden zwischen Antisemitismus und der Kritik am israelischen Krieg in Gaza. Die Proteste seien keine Unterstützung des Hamas-Terrors gewesen und hätten auch die Sicherheit der jüdischen Studenten nicht gefährdet. «Die Verhaftung und mögliche Deportation von Khalil ist eine Bedrohung für alle, die sich mit einer Green Card oder einem Visum in den USA aufhalten», sagt sie, «und wer weiss, vielleicht sogar für Eingebürgerte wie mich.»

Am Montag nahm Hirsch an einer Pressekonferenz an der Columbia teil, an der sich vierzig mehrheitlich jüdische Professoren gegen Khalils Verhaftung aussprachen. Wiederholt wiesen sie auf die Ironie hin, dass die derzeitigen Massnahmen im Namen der Juden durchgeführt würden, die sie jedoch mehrheitlich missbilligten – oder sich durch die Aktionen, die sie vorgeblich beschützten, sogar bedroht fühlten.

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