Samstag, September 28

Der Verband Physioswiss kündigt den Vertrag mit den Krankenkassen auf Ende Jahr – und hofft, 2025 mehr Geld zu bekommen. Doch das dürfte schwierig werden.

Schon lange murren die Physiotherapeuten, jetzt schreiten sie zur Tat: Ihr Verband Physioswiss kündigt die geltenden Tarifverträge mit den Krankenversicherern per Ende 2024. Damit bleiben den beteiligten Akteuren nur sechs Monate Zeit, um einen neuen Preis für die physiotherapeutischen Leistungen auszuhandeln – das ist mehr als sportlich.

Grund für die Kündigung ist, dass die frei praktizierenden Physiotherapeuten finanziell in einer «prekären Situation» seien, wie Osman Besic, der Geschäftsführer von Physioswiss, auf Anfrage sagt. Seit 25 Jahren habe sich im Tarif für die Physiotherapeuten kaum etwas getan. Der Landesindex der Konsumentenpreise stieg in dieser Periode um rund 22 Prozent, der Nominallohnindex sogar um 38 Prozent. Doch die Physiotherapeuten bekamen laut Besic nur 8 Prozent mehr.

Das, obwohl bei der Ausbildung immer höhere Anforderungen gälten. Und die Bürokratie immer mehr Zeit fresse: Laut einer Studie, die Physioswiss in Auftrag gegeben hat, erbringen die Therapeuten mittlerweile rund 40 Prozent ihrer Arbeitsleistung in Abwesenheit der Patienten – doch nur für die restlichen 60 Prozent werden sie bezahlt. Laut dem Lohnbuch 2023 liegt der Durchschnittslohn von Physiotherapeuten in der Schweiz bei jährlich knapp 80 000 Franken oder monatlich 6070 Franken bei 13 Monatslöhnen.

Möglichst schnell «faire» Tarife

«In Zeiten stark steigender Kosten und Aufwände für die Praxisführung ist eine Anpassung der Preise an die aktuelle Situation unumgänglich», schreibt Physioswiss in einem Communiqué vom Dienstag. Der Verband steigt mit jüngst erhobenen Kosten- und Leistungsdaten, welche die gegenwärtigen Betriebsdaten einer modernen Physiotherapiepraxis aufzeigen sollen, in die Verhandlungen – so, wie es die Kassen eingefordert haben. Ziel ist es laut Physioswiss, schnellstmöglich flächendeckend «faire» Preise für die ambulante Physiotherapie zu vereinbaren und einzuführen.

Sollten die Verhandlungen mit den Versicherern über einen nationalen Tarif bis Ende Jahr nicht abgeschlossen sein, könnten die kantonalen Regierungen den bestehenden Vertrag um ein Jahr verlängern. Kommt auch dann keine Einigung zustande, dürfen die Gesundheitsdirektoren die Preise für die Physiotherapieleistungen diktieren.

Das ist ein durchaus realistisches Szenario. Denn derzeit deutet wenig darauf hin, dass die Krankenversicherer parat sind, den Physiotherapeuten höhere Löhne zu finanzieren. Aus Sicht der Kassen ist die starke Mengenausweitung in der Physiotherapie ein wesentlicher Grund für die Kostensteigerungen in der Grundversicherung.

Kosten verdoppelt

Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Physiotherapiekosten mehr als verdoppelt, von 600 auf 1,3 Milliarden Franken. Hauptverantwortlich dafür sind laut dem Verband Santésuisse die grossen Gruppenpraxen; diese würden zunehmend ihre Abrechnungspraxis optimieren, so der Vorwurf. Für den Physioswiss-Geschäftsführer Besic hingegen sind die steigenden Kosten unter anderem die logische Folge der politisch gewollten Verlagerung medizinischer Leistungen von den Spitälern in den ambulanten Bereich.

Das bedeute, dass immer mehr Patienten zu frei praktizierenden Physiotherapeuten gingen, um deren Vergütung es bei den nun angestrebten Verhandlungen gehe. Und tendenziell würden weniger Patienten im Spital von Physiotherapeuten behandelt, deren Kosten in den Fallpauschalen «versteckt» sind. Ein weiterer wichtiger Faktor ist laut Besic, dass konservative Behandlungen ohne Operation an Bedeutung gewännen und auch deshalb die Nachfrage nach Physiotherapie steige.

Nicht zusätzlich erschwert werden sollten die Preisverhandlungen durch die jüngsten Verwerfungen in der Gesundheitsbranche: Santésuisse und der andere Verband Curafutura befinden sich in Auflösung, nachdem ihnen praktisch alle Kassen davongelaufen sind. Für die Tarifverhandlungen sind Tochterorganisationen zuständig, die von den Umwälzungen nicht tangiert sind.

Blockierte Verhandlungen

Der neue Einheitsverband, der aufs neue Jahr hin entstehen soll, wird sich jedoch auch auf einer anderen Ebene mit den Forderungen der Physiotherapeuten beschäftigen müssen. Denn Handlungsbedarf gibt es nicht nur beim Preis der Physiotherapieleistungen, sondern auch bei der Tarifstruktur. Diese legt fest, wie viel mehr oder weniger eine Leistung im Vergleich mit einer anderen Leistung kosten darf.

Krankenkassen und Physiotherapeuten werfen sich gegenseitig vor, die Verhandlungen über einen neuen Physiotarif zu blockieren. Der Bundesrat hat den Parteien bis Mai 2025 Zeit gegeben, sich zu einigen. Gelingt das nicht, könnte das Bundesamt für Gesundheit die Tarifstruktur festlegen.

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