In ihren postum erscheinenden Memoiren erinnert sich die Presley-Tochter an ein unglückliches Leben in den Sphären von Ruhm, Reichtum und Prominenz.
Lisa Marie Presley, Elvis Presleys einziges Kind, ist im Januar 2023 mit 54 Jahren an Herzversagen gestorben. Ein paar Jahre zuvor hatte sie begonnen, ihre Lebensgeschichte auf Tonbänder zu sprechen, um sie später in Buchform zu veröffentlichen. Ihre Tochter, die Sängerin und Schauspielerin Riley Keough, hatte ihr versprochen, bei der Vollendung ihrer Biografie zu helfen. Das Ergebnis, das jetzt vorliegt – «Von hier ins Ungewisse» –, wird in Amerika als publizistisches Ereignis gefeiert. So erschien Riley am Erscheinungstag, dem 8. Oktober, zum Interview bei Oprah Winfrey.
Lisa Marie, die sich selbst als Pop-Sängerin profilierte, hat ihren Memoiren viele bizarre Details über die Schrecknisse monumentaler Berühmtheit anvertraut. Spät im Leben klebt sie in einer abgelegenen Gegend in Florida noch immer die Fenster ihres Hauses mit Alufolie ab, weil sie stets in Angst vor den Paparazzi lebt, die sie seit der Geburt verfolgen.
«Von hier ins Ungewisse» erweist sich vor allem aber als eine Erzählung über schwere Verluste, die mit dem frühen Tod des Vaters beginnen und mit dem Selbstmord des einzigen Sohns Ben ihm Juli 2020 enden. Nach seinem Tod bahrt sie ihn zwei Monate lang zu Hause auf Eis auf, weil sie nicht Abschied nehmen kann.
Der Vater, ein Gott
Lisa Marie war in den 1985 erschienenen Memoiren ihrer Mutter Priscilla («Elvis and Me») kaum mehr als eine Fussnote. Ein Kind, das zu früh in ihr Leben gekommen ist, wie sich Priscilla erinnerte – und das von der Mutter später als lästig empfunden worden ist, wie Lisa Marie nun in ihrem Buch behauptet, das teilweise wie eine Antwort auf Priscillas Bericht wirkt.
Eine quasiallmächtige Schlüsselfigur in beiden Memoiren ist Elvis Presley, von dem die Tochter sagt: «Ich hatte das Gefühl, mein Vater konnte das Wetter ändern. Für mich war er ein Gott. Ein Auserwählter.» Sie beschreibt ihn, ähnlich wie Priscilla, als charismatisch und gefühlvoll, aber auch als furchterregend und unberechenbar in seinen gelegentlichen Zornesausbrüchen.
Sein Reich, das Herrenhaus Graceland in Memphis, bewohnte er ab 1957 mitsamt seinem erweiterten Familienclan und seiner Entourage. Anschaulicher als Lisa Marie hat noch niemand das Leben in Graceland beschrieben: ein Königreich en miniature, in dem die Gesetze der Aussenwelt nicht zu gelten schienen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Lisa Marie darüber erzählt, lässt es nur noch surrealistischer wirken. Sie spricht von einem Vater, der tagsüber in gekühlten Räumen schläft und der nur nachts wach bleibt. Und der die Tochter mit grossen, schwarzen Limousinen abholen lässt, wann immer er sie sehen will – auch wenn sie gerade in der Schule ist.
Zum Elterngespräch in der Schule soll Elvis Presley einst mit einem diamantbesetzten Gürtel und einem Zigarillo im Mund erschienen sein; sonst sei er aber normal gekleidet gewesen, wie die Autorin eigens anmerkt. Es handelte sich um einen der wenigen Momente, in denen sich die Tochter gerne im Ruhm des Vaters sonnte. Meistens lebte sie durch ihn in einer Art von Gefangenschaft: Pausenlos war das Haus von Fans und Fotografen umlagert. Es mag ein goldener Käfig gewesen sein, aber es war auch ein trostloser.
Lisa Marie beschreibt zwar die bedingungslose Liebe des Vaters, seine Neigung, sie masslos zu verwöhnen. Aber sie erwähnt auch all die Zeichen seines durch Medikamentenmissbrauch ausgelösten körperlichen Verfalls, den sie als Kind mit panikartiger Angst verfolgte: «So viele Male hatte ich ihn am Boden vorgefunden oder unfähig, seinen Körper zu kontrollieren.» Ständig lebt sie in Furcht, ihn zu verlieren, bis zu dem Tag, an dem die damals Neunjährige ihn dann wirklich leblos in seinem grossen Badezimmer liegen sah.
Fatale Ereignisse
Noch bevor er für tot erklärt worden sei, habe seine Entourage das Haus zum «Selbstbedienungsladen» gemacht; etliche Gegenstände seien verschwunden, die später auf Auktionen wieder aufgetaucht seien. Von der Trauer über den Verlust des Vaters hat die Tochter sich nie erholt. Hinzu kam das Gefühl, ihrer selbstbezogenen Mutter ausgeliefert zu sein – «bei dieser Frau» festzusitzen, die das Kind ständig abschob, in immer neue Schulen und in die Räume der Scientology-Sekte.
Man begreift, dass der Tod des Vaters erst der Anfang einer Reihe von traumatischen Ereignissen war. Im Anschluss durchlebte Lisa Marie Jahre emotionaler Verwahrlosung und Einsamkeit. Sie litt an den Konflikten mit der Mutter, sie wurde von einem Mann missbraucht, schliesslich wurde sie drogensüchtig.
In dieser Zeit entwickelte sie auch ein tiefes Misstrauen anderen gegenüber: Die erste grosse Liebe der damals Vierzehnjährigen endet damit, dass der wesentlich ältere Liebhaber heimlich Fotos von ihnen machen liess, die er an die Boulevardpresse verkaufte.
Lisa Marie Presley erzählt Geschichten, wie sie ein Bret Easton Ellis hätte erfinden können: Geschichten von einem «poor little rich kid», das nicht den Hauch einer Chance hat, zu sich selbst zu finden. Von Michael Jackson, den sie in zweiter Ehe heiratete, fühlte sie sich verstanden, weil auch er die riskanten Sphären des Ruhms kannte, die sie bewohnte. Die Ehe mit dem Schauspieler Nicolas Cage wird im Buch dann nur gestreift.
Für Lichtblicke oder gar Erlösungsmomente im schwierigen Leben Lisa Marie Presleys sorgten eigentlich ihre Kinder. Sie beschreibt sich als eine stets präsente Mutter und schreibt: «Es ist ja so eine Sache, entweder machst du, was deine eigenen Eltern getan haben, oder das genaue Gegenteil dessen, was du selbst erlebt hast. Ich tat das Gegenteil.»
Eine Liebeserklärung
Was sie nicht davon abhielt, ihre Kinder, ganz wie ihr Vater es getan hatte, nach Lust und Laune aus der Schule zu holen, um etwas Unterhaltsameres mit ihnen zu unternehmen. Mit dem von Riley erschütternd beschriebenen Tod des Sohnes aber nahm auch das Mutterglück ein tragisches Ende. Nach einer jahrzehntelangen Unterbrechung ihrer Drogensucht wurde Lisa Marie 2008 rückfällig, als man ihr nach der Geburt von Zwillingen durch Kaiserschnitt Opiate verschrieben hatte.
In Lisa Maries Familie war Riley immer die Verantwortliche gewesen, die alles im Griff zu behalten versuchte. So passt es, dass sie nun die Geschichte der Mutter zu Ende schrieb und jetzt die Veröffentlichung betreut. Das Buch liest sich als Dialog einer Tochter mit der toten Mutter, die sie ebenso wenig wie den Bruder retten konnte. Es ist eine postume Liebeserklärung an beide. Lisa Maries Autobiografie, mit zutiefst persönlichen Einschüben ihrer Tochter, ist eine Geschichte von Traumata, die über Generationen weitergereicht werden, und von Verheerungen, die Ruhm und Reichtum auslösen können. Man hat Ähnliches schon anderswo gelesen, aber kaum je in diesen Dimensionen.
Lisa Marie und Riley Keough: From Here to the Great Unknown – Von hier ins Ungewisse: Erinnerungen. Penguin-Verlag, München 2024. 240 S., Fr. 39.90.