Dienstag, Oktober 22

Zwar ist es den meisten Ländern gelungen, die Inflation ohne Rezession zu senken. Um wieder stärker zu wachsen, drängt sich laut dem Internationalen Währungsfonds aber ein wirtschaftspolitisches Umdenken auf.

Es ist ein Aufatmen und ein Zittern zugleich. Der Internationale Währungsfonds (IWF) tut sich schwer mit einer klaren Diagnose zum Zustand der Weltwirtschaft. In ihrem «World Economic Outlook» zeigt sich die Organisation einerseits erleichtert darüber, dass die Weltwirtschaft trotz turbulentem Umfeld erstaunlich widerstandsfähig ist. Damit dies so bleibt, wird anderseits eine wirtschaftspolitische Richtungsänderung gefordert, die vielerorts auf Widerstand stossen dürfte.

«Kampf gegen die Inflation weitgehend gewonnen»

Zunächst die positive Sicht der Dinge: «Es sieht so aus, als sei der weltweite Kampf gegen die Inflation weitgehend gewonnen», schreibt der IWF. Nachdem die globale Jahresteuerung im dritten Quartal 2022 noch bei 9,4 Prozent gelegen hatte, wird für Ende 2025 noch ein Wert von 3,5 Prozent erwartet. Damit läge die Teuerung sogar leicht unter dem Durchschnitt der beiden Jahrzehnte vor Ausbruch der Covid-Pandemie.

Ein derart rascher Rückgang der Inflation musste in der Vergangenheit meistens mit einer Rezession erkauft werden. Diesmal scheint es anders zu sein, vieles deutet auf eine weiche Landung hin. «Der Rückgang der Inflation ohne eine weltweite Rezession ist ein grosser Erfolg», meint der IWF. Ein Grund sei, dass die Inflation auf einmalige Schocks zurückzuführen sei, etwa Probleme mit Lieferketten, einen Rückgang der Nachfrage im Zug der Pandemie und steigende Rohstoffpreise aufgrund des Ukraine-Krieges.

Die bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Inflation haben an den Wachstumsprognosen des IWF denn auch wenig geändert. Wie schon bei der Schätzung im April wird das globale Wirtschaftswachstum für dieses und nächstes Jahr auf 3,2 Prozent veranschlagt. Hinter dieser Konstanz verbergen sich aber diverse Korrekturen auf Länderebene. So ist die Prognose für die USA deutlich nach oben korrigiert worden, während die konjunkturelle Zukunft der grossen Staaten der Euro-Zone negativer beurteilt wird.

Deutschland enttäuscht einmal mehr

Mit wachsender Sorge wird Deutschland beurteilt. Gegenüber der Schätzung vom April wird die Wachstumsprognose für 2025 um 0,5 Prozentpunkte auf bescheidene 0,8 Prozent gesenkt, und dies nach einer konjunkturellen Stagnation im laufenden Jahr. Beklagt wird vor allem die anhaltende Schwäche der deutschen Industrie. Als zusätzliche Belastungen kämen die Anstrengungen zur Konsolidierung des deutschen Staatshaushaltes und der starke Rückgang der Immobilienpreise hinzu.

Doch nicht nur Deutschland lässt Dynamik vermissen. Ähnliches diagnostiziert der IWF für die ganze Weltwirtschaft. Die jüngste Prognose für das globale Wachstum in fünf Jahren beträgt 3,1 Prozent –was im Vergleich zum Durchschnitt der Vor-Pandemie-Zeit noch immer ziemlich schwach ist. Strukturelle Herausforderungen wie die Alterung der Bevölkerung und die schwache Produktivität würden das Potenzialwachstum vielerorts bremsen, begründet der IWF.

Die Risiken für das globale Wachstum sind in kurzer Frist nicht zuletzt in China auszumachen. Ein unerwartet schwerer oder langer Rückgang im chinesischen Immobiliensektor – insbesondere wenn er zu finanzieller Instabilität führt – könnte die Stimmung der Konsumenten verschlechtern, betont der IWF. Angesichts des gewichtigen Anteils von China am Welthandel hätte eine solche Eintrübung der Stimmung auch negative Effekte auf den globalen Güteraustausch.

Finanzielle Puffer wieder aufbauen

Auch politisch türmen sich Risiken auf. Diverse Staaten haben jüngst neue industrie- und handelspolitische Massnahmen eingeführt, mit denen heimische Industrien und Jobs geschützt werden sollen. Solche Massnahmen würden zwar kurzfristig die Wirtschaft ankurbeln, schreibt der IWF, sie führten aber auch zu Vergeltungsmassnahmen. Sollte sich der Trend zu wirtschaftlicher Abschottung verstärken, würde dies die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft deutlich eintrüben, folgert der IWF.

Doch was schlägt die Washingtoner Organisation vor, um das insgesamt wenig berauschende Wachstum zu stärken? Nachdem die Inflation laut IWF weitgehend unter Kontrolle ist, wird eine Richtungsänderung auf drei Ebenen propagiert: Die erste davon, nämlich eine Lockerung der Geldpolitik, ist seit Juni in den grossen Währungsräumen bereits im Gange und dürfte in der Politik für wenig Dissens sorgen.

Anders sieht es auf der zweiten Ebene aus, nämlich bei der Finanzpolitik. Nach Jahren einer lockeren Finanzpolitik in vielen Ländern sei es nun an der Zeit, dringend benötigte fiskalische Puffer wieder aufzubauen, so die Forderung des IWF. In vielen Ländern wie den Vereinigten Staaten und China würden die finanzpolitischen Pläne der Regierung jedoch nicht zu einer Stabilisierung der Schuldenlage beitragen, kritisiert der IWF.

Wachstumsfreundliche Reformen

Dass die Aufgabe nicht einfach ist, gesteht der IWF ein. Der Weg sei schmal, schreibt er. Eine Verzögerung der Konsolidierung erhöhe das Risiko ungeordneter und vom Markt aufgezwungener Anpassungen, während eine zu abrupte Hinwendung zu restriktiver Finanzpolitik die Wirtschaftstätigkeit abwürgen könnte. Zur Frage, wie dieser Konflikt gelöst werden soll, liefert der IWF wenig konkrete Hilfeleistung.

Auch die dritte – und besonders schwierige – Richtungsänderung bleibt vage. So plädiert der IWF für wachstumsfreundliche Reformen und Massnahmen zur Stärkung der Produktivität. Hierzu gehörten Initiativen zur Förderung von neuen Technologien und Innovationen, aber auch zur Stärkung privater Investitionen. Das klingt wenig kontrovers. Doch geht es hart auf hart, scheinen derzeit Verfechter von protektionistischen Politiken auf mehr Gehör zu stossen.

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