Die heisse Phase der Bilanzsaison ist eingeläutet, und mit ihr kommt Bewegung in die Tabellen des Momentum Screen, mit dem The Market die Börsen nach den stärksten Aktien durchforstet.
Der deutsche Leitindex Dax hat im Sog der lockeren Geldpolitik die 19’000-Punkte-Marke hinter sich gelassen und ist bereits auf dem halben Weg zu 20’000 Zählern. Denn die Europäische Zentralbank hat den Leitzins am vergangenen Donnerstag nicht nur zum dritten Mal in Folge auf nunmehr 3,25% gesenkt, sie sieht auch die Wachstums- und die Inflationsrisiken weiterhin abwärtsgerichtet. Das lässt am Markt Interpretationsspielraum für einen grösseren Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten beim letzten Entscheid des Jahres, am 12. Dezember, offen. Der Swiss Leader Index (SLI) befindet sich indes seit ziemlich genau einem Jahr in einem intakten Aufwärtstrend und kämpft gerade mit der 2000-Punkte-Marke. Unter seinem 200-Tage-Durchschnitt notiert derzeit kaum ein Aktienindex weltweit.
Ein wenig Ratlosigkeit herrscht an Märkten zwar über das Ausmass der Konjunkturmassnahmen in China, aber in den USA gibt es keine Spur einer Rezession. Es ist also angerichtet für die Jahresendrally. Und so befinden sich allen voran die US-Indizes, ob Dow Jones Utility (Versorger), der klassische Dow Jones, die breiten Indizes Russell 2000 und S&P 500 oder auch der gleichgewichtete Value Line Arithmetic (VLA), im Aufwärtstrend. Und ein solcher Trend setzt sich oft fort.
Dem Trend zu folgen, ist die Idee des Momentum Screen von The Market, bei dem die Aktien nach ihrer relativen Stärke sortiert sind. Die Kennzahl setzt den Aktienkurs ins Verhältnis zum 26-Wochen-Durchschnitt. Die relative Stärke nach Levy (RSL), benannt nach Erfinder Robert Levy, genügt aber nicht als einziges Kriterium für die Aktienauswahl. Titel mit Kursmomentum sollten zugleich fundamental attraktiv bewertet und die allgemeine Marktlage – wie beschrieben – günstig sein. Am attraktivsten ist die Ausgangslage, wenn sich nicht nur die einzelnen Aktien im Aufwärtstrend befinden, sondern der gesamte Index.
Immobilienaktien gehören unverändert zu den Gewinnern. Wegen der sinkenden Zinsen dürfte sich dies fortsetzen, während die Titel von Autobauern aufgrund struktureller Probleme Verlierer bleiben. Folgende Valoren sind The Market im Dax – sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne – aufgefallen.
Zalando mit Wachstumsfantasie
Aktionäre von Zalando, so viel Wortspiel und Anlehnung an den bekannten Werbespot sei erlaubt, schreien gerade vor Glück. Denn die ohnehin schon starken Aktien des Dax-Konzerns haben noch einmal ordentlich an Kursmomentum gewonnen, nachdem der Onlinemodehändler die Prognose für das Gesamtjahr angehoben hatte. So soll das Bruttowarenvolumen nun 3 bis 5% wachsen. Die ursprüngliche Spanne lag bei 0 bis 5%.
Für den Umsatz erwartet Zalando eine Steigerung zwischen 2 und 5% (zuvor: 0 bis 5%). Als bereinigten Gewinn auf der Stufe Ebit peilen die Berliner 440 bis 480 Mio. € an, was die ursprüngliche Prognose von 380 bis 450 Mio. € deutlich übersteigt.
Ausserdem plant der Modekonzern für dieses Jahr mit nur noch 200 Mio. statt 250 bis 350 Mio. € Investitionsausgaben. Der Grund: Er verzögert gerade den Ausbau von Lagerkapazitäten, von denen man derzeit mehr als genug habe, um die Fixkosten niedrig zu halten. Entsprechend soll das geplante Logistikzentrum im hessischen Giessen erst 2026 in Betrieb gehen, so ein Unternehmenssprecher gegenüber The Market. Ende 2021, als die E-Commerce-Plattform noch 45 Mio. Kunden zählte, war die Rede davon, dass der manuelle Betrieb 2023 aufgenommen werden soll. Nun liegt die Zahl der aktiven Kunden bei mehr als 50 Mio. Die Richtung stimmt.
Und das Wachstum soll weitergehen: Bis 2028 hat sich Zalando vorgenommen, einen Anteil am gesamten europäischen Modemarkt – also online und stationär – von 15% zu erobern. Dessen Volumen beziffert man auf 450 Mrd. €. Das klingt ambitioniert. Gegenwärtig beläuft sich der Anteil auf 3%, heisst es aus der Konzernzentrale.
Die Aktien sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 24 für 2025 bewertet, da sollte noch Luft nach oben drin sein, sind sich die bei Bloomberg erfassten Analysten mehrheitlich einig.
MTU mit Allzeithoch
Der Luftfahrtzulieferer MTU Aero Engines kann von der Rückrufkrise seines Partners Pratt & Whitney profitieren und hat ebenfalls die Prognose erhöht. Da viele Airlines aufgrund der Schwierigkeiten bei Boeing und Airbus ihre Flugzeuge länger nutzen und öfter warten müssen, steigt die Nachfrage nach Ersatzteilen und Wartungsleistungen von MTU kräftig. Die Münchner haben zudem zusätzliche Wartungsaufträge mit Pratt ausgehandelt. Die MTU-Valoren haben mit 312.70 € gerade erst ein Allzeithoch erreicht. Das ist aus Trendfolgesicht ein weiteres Kaufsignal.
Neue Impulse für den Kurs könnten am 24. Oktober mit den endgültigen Quartalszahlen folgen oder am Kapitalmarkttag (29. November), wenn CEO Lars Wagner seinen Mittelfristplan für 2025 bis 2030 vorlegen will – voraussichtlich mit höheren Margenzielen. Überzeugt von MTU ist auch Vermögensverwalter und Fondsmanager Georg von Wallwitz. «Eine unserer stärkeren Aktien», sagt er im Interview mit The Market. Die MTU-Titel sind auf Basis des geschätzten Gewinns von 2025 mit einem KGV von 21 bewertet.
Rheinmetall ist unbeliebt
Zu den eingangs erwähnten relativ schwachen Autobauern gesellen sich nun auch mehr und mehr Waffenhersteller wie Rheinmetall aus dem Dax und seit geraumer Zeit schon Hensoldt (MDax) sowie Renk (SDax), deren Aktien deutlich an Momentum verloren haben. Während der deutsche Leitindex in den vergangenen sechs Monaten rund 10% zugelegt hat, ist Rheinmetall an der Börse rund 5% günstiger geworden. Als wären die Anleger kriegsmüde. Am Markt heisst es, vage Gedankenspiele über ein mögliches Ende des Krieges in der Ukraine trügen dazu bei, jetzt, wo der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski für seinen Friedensplan werbe.
Die Titel von Rheinmetall verloren an Schwung, obwohl der Rüstungskonzern das bereits im Juli angedachte Joint Venture mit der italienischen Waffenschmiede Leonardo auf den Weg gebracht hat. Leonardo Rheinmetall Military Vehicles (LRMV) mit Hauptsitz in Rom, operativer Zentrale im norditalienischen La Spezia und zu je 50% deutsch und italienisch soll in einem ersten Schritt Panzer für die italienische Armee produzieren.
Anfang 2025 soll die formelle Genehmigung durch die Behörden stehen. Der erste Auftrag könnte bereits Ende des Jahres oder im ersten Quartal des nächsten Jahres vergeben werden, hatte Rheinmetall-Chef Armin Papperger im August erklärt. Es gehe dabei um ein Volumen von 20 bis 25 Mrd. €. Die Auftragsbücher von Rheinmetall sind aber auch ohne die gemeinsamen Pläne mit den Italienern gut gefüllt. Zur Jahresmitte meldete das Unternehmen einen Auftragsbestand und erwartete Abrufe aus bestehenden Rahmenverträgen in Höhe von 48,6 Mrd. €.
Europa wird weiterhin mehr Geld für die Verteidigung ausgeben. Allem Druck für mehr Haushaltsdisziplin zum Trotz. Gegenwärtig schwächeln die Rheinmetall-Papiere allerdings ein wenig, weshalb sie aus reiner Trendfolgesicht unattraktiv sind. Ändern könnte sich das aber schnell, sollte etwa Donald Trump US-Präsident werden und sollten die Europäer gezwungen sein, der Ukraine mehr Waffen und Munition als zuvor zu liefern. Die Rheinmetall-Aktien sind auf Basis des für 2025 geschätzten Gewinns mit einem KGV von 17 bewertet (Hensoldt: 17; Renk: 15).
Im Swiss Leader Index (SLI) gab es folgende Änderungen: Während der Hörgerätehersteller Sonova die nach relativer Stärke sortierte Tabelle weiter klar anführt und sich die Aktien von Zahnimplantathersteller Straumann gut halten, haben die Valoren des Herstellers von Abfüllanlagen und Getränkekartons SIG Group etwas nachgegeben. Auf die drei Titel ist The Market vor zwei Wochen ausführlich eingegangen.
Zurich Insurance übertrifft Ziele
In den zurückliegenden zehn Handelstagen hat Zurich Insurance im Ranking nach relativer Stärke auf sich aufmerksam gemacht. Am Investorentreffen in London am 21. November stellt der Versicherer sein neues Strategieprogramm für 2025 bis 2027 vor, bereits am 7. November werden die Zahlen fürs dritte Quartal präsentiert. Die Ziele für 2023 bis 2025 hat er übertroffen. So sieht der bald auslaufende Dreijahresplan eine Eigenkapitalrendite von 20% vor. 2023 lag sie bei rund 23%, im ersten Halbjahr 2024 bei 25%. Auch das Gewinnwachstum entwickelt sich bislang besser als prognostiziert. Aktionäre können sich zudem über eine Ausschüttungsquote von 75% freuen.
Thomas Bruhin, Portfoliomanager bei der Zürcher Kantonalbank, ist sich sicher: «Das Preisumfeld mit steigenden Prämien spricht derzeit grundsätzlich für Versicherer.» Im Finanzbereich gewichte er Versicherer höher als Banken. Ihre Abhängigkeit von den Finanzmärkten sei geringer. Nicht zuletzt spricht die Dividende für Zurich. So liegt die Dividendenrendite bei 4,9%. Das KGV beträgt 15. Die Aktien von Zurich sind auch im Dividendenportfolio von The Market enthalten.
Jenseits von Dax und SLI stechen folgende Titel hervor:
Inditex investiert kräftig
Wie Zalando laufen die Aktien von Industria de Diseño Textil, kurz Inditex, derzeit sehr gut. Der spanische Modehersteller ist für Marken wie Zara, Pull & Bear und Massimo Dutti bekannt. Er erzielt rund 85% des Umsatzes ausserhalb der Heimatmarktes. Im ersten Halbjahr (per 31. Juli) stieg der Umsatz 7,2% auf 18,1 Mrd. €, währungsbereinigt steht sogar ein Plus von 10,2% zu Buche.
Der Gewinn auf Stufe Ebitda kletterte 8,1% auf 5 Mrd. €. Die Gewinnmarge auf der Stufe Ebit lag bei 19,3%. Analysten gehen von einer weiter steigenden Marge und einem über der Branche liegenden Wachstum aus. Dafür sind die traditionell hoch bewerteten Titel kein Schnäppchen, im historischen Vergleich aber interessant. Sie werden mit einem vorausschauenden KGV von 28 für das Kalenderjahr 2025 gehandelt. Der Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre liegt bei 30.
In seinem Ausblick spricht das Textilunternehmen von «weiterhin starken Wachstumschancen». Anders als Zalando brauchen die Spanier noch mehr Lagerhäuser. Sie rechnen zur Erhöhung der Logistikkapazitäten 2024 und 2025 – ausserordentlich – jeweils mit Investitionen von 900 Mio. € pro Jahr. Für 2024 prognostiziert der Textilkonzern Investitionsausgaben in Höhe von insgesamt rund 1,8 Mrd. €. Er zahlt am 4. November 77 Cent Dividende je Aktie und berichtet Neunmonatszahlen am 11. Dezember.
ASML sorgt für Unruhe
Der niederländische Chipausrüster ASML schockte die Märkte mit den Zahlen zum abgelaufenen Quartal und vor allem dem Ausblick. In der Berichtsperiode wurden neue Lithografiesysteme zur Halbleiterproduktion im Wert von 2,6 Mrd. € bestellt, Analysten hatten mit 5,4 Mrd. gerechnet. Ein Grund dafür dürften Budgetkürzungen bei Intel sein. Der US-Chiphersteller befindet sich in der Krise und ist im Dow Jones ebenfalls am Ende der Liste nach relativer Stärke zu finden.
Neu geht ASML für 2025 von nur noch 30 bis 35 Mrd. € Umsatz aus. Am Markt wurden bisher knapp 36 Mrd. € erwartet, während das Unternehmen zuvor noch 30 bis 40. Mrd. € angepeilt hatte. Die Bruttomarge soll bei 51 bis 53% liegen (zuvor: 54 bis 56%; Analystenkonsens: 54%). Die ASML-Aktien sind derzeit mit einem KGV von 28 für 2025 bewertet.
Die Befürchtung, der KI-Boom könnte zu Ende sein, hat sich am Markt nicht durchgesetzt, dennoch zog es auch andere Titel mit nach unten, etwa die des Schweizer Chipzulieferers VAT. Die Aktien sind derzeit nicht aus Trendfolgesicht interessant, könnten aber aus Sicht eines antizyklischen Investors attraktiv sein.
Die guten Zahlen des taiwanischen Auftragsproduzenten TSMC haben die Börse mittlerweile etwas beruhigt, der Abwärtstrend bei ASML ist damit aber nicht gestoppt. Und Achtung: Nicht nur Aufwärtstrends setzen sich häufig fort, auch Abwärtstrends.
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Der Autor hält Aktien von MTU Aero Engines und Rheinmetall.