Europas Wirtschaft ist in der Krise, in den USA läuft es hingegen gut. So weit, so bekannt. Doch was könnte genau passieren? Eine Vorschau in Szenarien
Die US-Wirtschaft zieht weiter davon
Europa lahmt, und China steckt in einer Immobilienkrise fest. Die US-Wirtschaft war, mit einem Wachstum von bis zu 3 Prozent, fast der einzige Lichtblick im Jahr 2024. Auch 2025 wird Amerika die Lokomotive der Weltwirtschaft bleiben und ihre Fahrt sogar noch beschleunigen. Drei Gründe sprechen dafür.
Erstens verschuldet sich der amerikanische Staat derzeit enorm, um seine Bürger und Unternehmen mit Subventionen zu beglücken. Die Beschenkten investieren und konsumieren, als gäbe es kein Morgen. Der designierte Präsident Donald Trump ist zudem gewillt, ein neues «goldenes Zeitalter» einzuläuten. Dank der republikanischen Mehrheit im Parlament wird er die Unternehmenssteuern senken und bürokratische Hürden abbauen, was die Firmen zu zusätzlichen Investitionen bewegen wird.
Zweitens wird die US-Notenbank Fed die Geldpolitik lockern. Weil die Inflation nur wenig über dem Zielwert der US-Notenbank Fed liegt, wird diese 2025 weitere Zinssenkungen beschliessen, was die Wirtschaft zusätzlich ankurbelt.
Drittens investieren die Unternehmen in den USA weiterhin im grossen Stil in Innovation. Es mag gut sein, dass derzeit zu viele KI-Datencenter entstehen, aber manche Investitionen werden Amerika produktiver machen. Der Internet-Boom um die Jahrtausendwende bietet einen guten Vergleich: Auch jener Investitionsschub war von Hybris und Fehlinvestitionen begleitet, brachte aber neue Technologien und effiziente Firmen wie Amazon und Google hervor, die Amerikas Wirtschaft noch heute prägen.
Mit der forcierten Schuldenwirtschaft wird Amerika unter Trump 2025 zwar Raubbau an der eigenen Substanz betreiben. Auch dessen konfrontative Handelspolitik dürfte mittelfristig einen wirtschaftlichen Flurschaden hinterlassen, etwa in Form höherer Inflation. Doch diese negativen Effekte werden erst ab 2026 richtig zum Tragen kommen. Bis dahin bleiben die USA die Lokomotive der Weltwirtschaft.
André Müller
Der europäische Binnenmarkt sorgt weiterhin für Probleme
Es war ein schlechtes Jahr für die Wirtschaft der EU, und die Gefahr, dass 2025 nicht besser wird, ist gross. Europa leidet unter hohen Energiepreisen, dem Mangel an Arbeitskräften, zu niedrigen Investitionen und dem Krieg in der Ukraine. Zudem sind die beiden wichtigsten Mitgliedsländer gelähmt. In Frankreich und in Deutschland stürzten die Regierungen, weil man sich nicht über das Budget einigen konnte.
Die Lage ist verzwickt: Die EU-Länder müssten mehr investieren, gleichzeitig sind die Defizite von acht Mitgliedsländern so hoch, dass die Kommission ein Verfahren gegen sie eingeleitet hat. Geld für Wunschvorhaben steht also nicht zur Verfügung. Nachfrageseitig kann die EU die Wirtschaft kaum ankurbeln.
Doch ihr bleibt eine andere Möglichkeit: eine angebotsseitige Wirtschaftspolitik. Also Anreize schaffen, damit Firmen mehr investieren. Dazu müsste die EU die vier Freiheiten im Binnenmarkt endlich durchsetzen, den freien Verkehr von Personen, Kapital, Dienstleistungen und Waren.
Der Binnenmarkt besteht seit 1993, weist aber immer noch viele Lücken auf. So gibt es keine paneuropäischen Telekomanbieter, und die traditionellen Banken konzentrieren sich jeweils nur auf wenige Länder.
In der EU existieren zwei Schulen: Die eine will den Wettbewerb hochhalten und setzt sich daher für eine strenge Fusionskontrolle ein. Die EU-Kommission vertritt diese Richtung. Die andere sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Sie möchte weniger strenge Fusionsregeln, damit mehr europäische Grossfirmen entstehen. Frankreich vertritt diese Ansicht.
Vergessen geht dabei, dass gerade jene Unternehmen, die sich im Wettbewerb behaupten, besonders wettbewerbsfähig sind. Doch diese Erkenntnis wird sich auch 2025 nicht durchsetzen. Die EU-Länder sind nämlich nur bereit, in den Sektoren den Wettbewerb voranzutreiben, in denen sie stark sind. Sie verhindern diesen aber dort, wo sie sich schwach glauben. Aus diesem Patt gibt es fast kein Entrinnen.
Daniel Imwinkelried
Die Europäische Zentralbank provoziert eine Schuldenkrise in Frankreich
So hohe Staatsdefizite gab es in Frankreich bisher nur während einer schweren Rezession oder in Kriegszeiten: Mehr als 6 Prozent beträgt der diesjährige Fehlbetrag im Staatshaushalt. Die Verschuldung Frankreichs wächst dramatisch: Lag die Quote vor der Pandemie noch unter 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, so klettert sie laut dem Internationalen Währungsfonds auf 124 Prozent im Jahr 2029.
Zwei Aspekte verschlimmern die Lage Frankreichs, gerade auch im Vergleich zu den ebenfalls hoch verschuldeten USA. Die Wirtschaft ist viel weniger dynamisch und wächst langsamer als in Amerika. Zudem hat Frankreich schon jetzt eine der höchsten Staatsquoten: In Frankreich erreichen die Staatseinnahmen über 50 Prozent der Wirtschaftsleistung gegenüber 30 Prozent in den USA. Der Spielraum für höhere Steuern ist damit enorm klein.
Bis jetzt reagieren die Anleihenmärkte gelassen auf die prekäre Lage in Frankreich. Denn die Gläubiger wissen, dass im Notfall die Europäische Zentralbank einspringt. Dank dem Transmission Protection Instrument (TPI) kann sie unbegrenzt französische Staatsobligationen kaufen, sobald das Land unter einer «ungerechtfertigten» Verschärfung seiner Finanzierungsbedingungen leidet.
Das Instrument unterdrückt die Preissignale des Marktes. Entsprechend sind die Renditen auf den Staatsanleihen kaum gestiegen – weshalb die französische Politik keinerlei Notwendigkeit erkennt, die aus dem Ruder gelaufenen Staatsfinanzen zu sanieren. Doch längerfristig ist eine solche künstlich erzeugte Ruhe enorm gefährlich. Vom amerikanischen Ökonomen Hyman Minsky stammt die Formel «Stabilität erzeugt Instabilität».
In Bezug auf Frankreich bedeutet dies: Die schützende Hand der EZB vermag zwar kurzfristige Turbulenzen auf den Märkten zu verhindern. Dafür aber setzt sie den Samen für eine potenziell viel gefährlichere und grössere Krise. Dass die einst gefürchteten Wächter der Bondmärkte, die «bond vigilantes», in Frankreich kaum noch eine Rolle spielen, ist für die Zukunft des Landes ein schlechtes Signal.
Albert Steck
Die Inflation bleibt zäher als erhofft
Das Positive zuerst: Die grossen Zentralbanken haben deutliche Fortschritte gemacht im Kampf gegen die Inflation. Das von den meisten Währungsbehörden angestrebte 2-Prozent-Ziel rückt näher. Und die Befürchtung, dass die Preisstabilität mit einer Rezession erkauft werden muss, blieb bisher in den meisten Regionen unbegründet.
Doch die letzte Meile ist meist die schwierigste, auch auf dem Weg zur Preisstabilität. Obwohl sich die Gesamtinflation in den USA und im Euro-Raum der Zielmarke angenähert hat, ist dies bei der Kerninflation noch nicht der Fall, also bei jener Inflation, bei der volatile Komponenten wie Energie und frische Lebensmittel ausgeklammert sind.
Ein Grund sind die Dienstleistungen. Deren Inflation sinkt weniger stark als jene von Waren. Zu tun hat das mit stark gestiegenen Löhnen, was wiederum mit der Knappheit von Arbeitskräften zu erklären ist. Weil Löhne rigid sind, aber einen Grossteil der Dienstleistungspreise ausmachen, sinkt hier die Inflation nur sehr gemächlich.
Das Problem zeigt sich vor allem in den USA, wo die Inflation trotz tieferen Erdölpreisen weniger gesunken ist als erwartet und wo die Kerninflation sogar wieder anzieht. Im Euro-Raum sieht die Lage etwas besser aus, wobei auch hier noch kein Sieg über die Inflation ausgerufen werden kann. Klar im Zielbereich ist man demgegenüber in der Schweiz.
Unklar bleibt, ob sich bald neue Inflationsgefahren auftürmen. So hat die Wahl von Donald Trump die Gefahr erhöht, dass in den USA die Preise wieder zulegen könnten. Die von Trump in Aussicht gestellten Zölle und Steuersenkungen werden die Schulden und Preise erhöhen. Dasselbe gilt für die geplante Abschiebung von Millionen illegaler Migranten.
Ob die Massnahmen umgesetzt werden, bleibt offen. Die Unsicherheit über den Kurs der USA und dessen globale Auswirkungen ist aber gross. Nicht gebannt ist auch die Gefahr, dass der Kampf gegen die Inflation nachlässt und man sich auch mit einer Teuerung leicht über 2 Prozent zufriedengeben wird. Hinweise auf solches Ermüden gilt es 2025 genau zu beobachten.
Thomas Fuster
Bitcoin erreicht erst neue Rekordwerte – und wird dann wegen Donald Trump abstürzen
Die Begeisterung für den Bitcoin war im Jahr 2024 kaum zu bremsen. Erst die Zulassung von Indexfonds (ETF) und dann die Wahl von Donald Trump sorgten für einen Kursschub. Dank seinem Ruf nach Deregulierung und der Ankündigung einer strategischen Bitcoin-Reserve durchbrach die digitale Leitwährung Ende Jahr die Marke von 100 000 Dollar.
Nach Trumps Amtsübernahme im Januar dürfte der Aufwärtstrieb etwas an Schwung verlieren, doch die Marke von 120 000 wird im Frühjahr noch geknackt. Dann ist es ausgerechnet Donald Trump, der die Vorzeichen ändern könnte. Auf die Frage, weshalb es mit seinem Projekt einer Bitcoin-Reserve nicht vorwärtsgehe, könnte Trump sagen, dass er nicht daran denke, Hunderte Milliarden Dollar an Steuergeldern für eine Million Bitcoin auszugeben. Er liebe zwar den Bitcoin, aber den Dollar liebe er noch viel mehr.
Eine unüberlegte Aussage Trumps genügt, um die Stimmung an den Krypto-Märkten zum Kippen zu bringen. Bleibt die Bitcoin-Reserve eine leere Versprechung, dann ist es weder für die USA noch für andere Zentralbanken notwendig, sich mit Bitcoins einzudecken. Die Hoffnung auf eine staatlich getriebene Bitcoin-Inflation verpufft – und damit könnte der Absturz einsetzen: in wenigen Tagen zurück auf 100 000, nach einem Monat unter 80 000 Dollar. Das Jahr 2025 könnte der Bitcoin schliesslich bei rund 45 000 Dollar beenden, das wäre ein Minus von 57 Prozent – davon gehen die Marktstrategen von BCA Research aus.
Aber nicht nur die Aussagen Trumps könnten einen neuen Krypto-Winter einleiten, auch eine überfällige Korrektur an den hoch bewerteten US-Börsen würde den Bitcoin mit sich reissen – Kryptowährungen bewegen sich im Einklang mit risikoreichen Aktien, aber sie schwanken noch viel stärker. Auch ein Marktereignis wie der Kollaps von Microstrategy könnte den Absturz beschleunigen. Die IT-Firma mit einem Börsenwert von 90 Milliarden Dollar hat Bitcoin-Investitionen zum Geschäftsmodell gemacht. Und sie tut dies mehrfach schuldenfinanziert – solche Auswüchse sind ein Alarmsignal.
Eflamm Mordrelle