Putin, Trump und Xi sind unberechenbar für die Weltpolitik. So weit, so bekannt. Doch was könnte genau passieren? Eine Vorschau in Szenarien
1. Der Friede bleibt für Europa ausser Reichweite
Bald geht die Ukraine ins vierte Kriegsjahr, und Optimisten glauben, dass es das letzte sein wird. Der künftige amerikanische Präsident Donald Trump hat eine Verhandlungslösung zur Priorität erklärt. Wird ihm dies gelingen? Eine vorsichtige Prognose sei hier gewagt: Die Bemühungen um einen Waffenstillstand werden bald konkreter werden, aber ein echter Friede bleibt 2025 illusorisch.
Trump wird gleich nach Amtsantritt Verhandlungen lancieren. Mit der Berufung von Keith Kellogg zum Ukraine-Sondergesandten und diversen Aussagen hat er die Stossrichtung klargemacht: Er will den Krieg entlang der jetzigen Front einfrieren und Russlands Zustimmung gewinnen, indem er jegliche Nato-Erweiterung blockiert. Der Fleitz-Kellogg-Plan sieht vor, die beiden Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu zwingen, indem den Ukrainern die Militärhilfe entzogen und den Russen umgekehrt eine Erhöhung der Waffenlieferungen an Kiew angedroht wird.
Die Chancen des Plans stehen nicht gut. Der Kreml wäre mit den bisher eroberten Gebieten nicht zufrieden, er verfolgt viel weiterreichende territoriale Ziele und strebt ein prorussisches Regime in Kiew an. Die Ukrainer befürchten, dass Moskau eine Waffenruhe als Verschnaufpause nutzen würde, um später erneut anzugreifen.
Entscheidend ist daher, wie ein Waffenstillstand abgesichert werden könnte. Die beste Garantie wäre, die Rest-Ukraine in die Nato aufzunehmen. Doch Trump lehnt dies ab und will auch keine eigenen Truppen zur Friedenssicherung stellen. Eine rein europäische Schutztruppe dagegen stösst in vielen Hauptstädten auf Ablehnung.
Ein wahrscheinliches Szenario ist deshalb, dass Politiker und Diplomaten 2025 viel über Frieden sprechen werden, aber der Krieg weitergeht. Die Ukraine wird dabei unter enormem Druck stehen, aber vorerst kaum kollabieren. Dank erbitterter Gegenwehr hat sie 2024 «nur» ein halbes Prozent ihres Territoriums eingebüsst. Zu befürchten ist aber, dass sie sich schneller als Russland dem Punkt der totalen Erschöpfung nähert.
Andreas Rüesch
2. Der Nahe Osten kommt nicht zur Ruhe
Der Nahe Osten hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die mit dem Umsturz in Syrien ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht, aber noch lange kein Ende gefunden hat. Zwar ist es fast schon naiv, zuverlässige Prognosen über diese unberechenbare Weltregion abgeben zu wollen. Dennoch darf man davon ausgehen, dass auch 2025 keine Ruhe in Nahost einkehren wird.
Immerhin herrscht seit einigen Wochen zwischen dem libanesischen Hizbullah und Israel ein fragiler Waffenstillstand. Ein echter Frieden herrscht jedoch nicht. Die schwer geschwächte Schiitenmiliz wird versuchen, sich selbst zu reanimieren, Israel wird versuchen, dies zu verhindern. Ein erneutes Aufflammen der Kämpfe ist möglich.
Auch im Gazastreifen stehen die Zeichen derzeit auf Waffenruhe, die Vermittler geben sich so optimistisch wie nie zuvor. Doch Israel hat gelobt, dass jedes Abkommen nur temporär sein und die israelische Armee im Küstengebiet verbleiben wird. Unter diesen Umständen wird weder der internationale Druck auf den jüdischen Staat nachlassen noch ein Wiederaufbau möglich sein.
Mit Donald Trump wird zudem ein Präsident ins Weisse Haus einziehen, der für maximalen Druck gegenüber dem ebenfalls geschwächten Iran plädiert – die Israeli freut es. Im jüdischen Staat sehen manche die Gelegenheit gekommen, dem Ayatollah-Regime oder zumindest dessen Atomprogramm ein Ende zu setzen. Gleichzeitig wird Iran mit allen Mitteln versuchen, die ramponierte «Achse des Widerstands» wiederzubeleben. Die nächste Runde im Machtkampf zwischen der Islamischen Republik und dem jüdischen Staat dürfte blutig verlaufen.
Und dann ist da noch Syrien, wo ein Konglomerat aus zahllosen Milizen versucht, einen Staat aufzubauen. Sie alle werden nicht davor zurückschrecken, ihre Interessen mit Waffengewalt durchzusetzen. Im Nahen Osten reiht sich derzeit ein Machtvakuum ans nächste – ein Patentrezept für Kriege und Konflikte.
Jonas Roth
3. Wenn Trump seine Politik der Zölle wahr macht, wird Chinas Einfluss in Lateinamerika weiter wachsen
Am 25. November hat der gewählte US-Präsident Donald Trump bekanntgegeben, dass er auf Waren aus Mexiko und Kanada einen Zoll von 25 Prozent erheben will. Zurzeit sind die beiden Länder mit den USA in der nordamerikanischen Freihandelszone USMCA. Aus Mexiko gehen gut 80 Prozent der Warenexporte in die USA, in Kanada sind es rund 75 Prozent. Die Lieferketten der drei Länder sind eng miteinander verbunden.
Noch ist unklar, ob Trump die Drohung ernst machen will oder ob er sie nur als Druckmittel für Verhandlungen ausgesprochen hat, um politische Ziele zu erreichen, wie die Eindämmung der Migration. Während der kanadische Premierminister Justin Trudeau den Ernst der Lage erkannte und sich gesprächsbereit zeigte, reagierte Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum widerständig und deutete Vergeltungsmassnahmen an. Das wird bei Trump kaum verfangen.
Macht Trump seine Drohung wahr, würde die Wirtschaft aller drei Länder in Mitleidenschaft gezogen. Besonders für Mexiko würde es einschneidende Konsequenzen haben. Der wirtschaftliche Druck durch ein Ende des Freihandels mit den USA wird den bereits existierenden autoritären Tendenzen im Land, wo die Regierungspartei Morena bereits jetzt eine dominierende Rolle spielt, weiter Auftrieb geben. Das Land, das bisher wirtschaftspolitisch stark an die USA gebunden war, wird sich dann für ausländische Investitionen und ausländischen Handel verstärkt China zuwenden müssen. Es wäre eine geopolitische Entwicklung, an der eigentlich auch Washington keinerlei Interesse haben sollte. Der Einfluss Chinas in Lateinamerika wächst immer weiter.
Werner Marti
4. Europas liberales Asylsystem geht zu Ende
Migration und Asylpolitik sind seit der Flüchtlingskrise 2015 politische Dauerbrenner in Europa. Seither wird an Reformen des Systems gearbeitet, das seine eigentliche Aufgabe nicht mehr erfüllt: in nützlicher Frist Schutzbedürftigen Asyl zu gewähren.
Die Chance, dass es gelingt, das System grundlegend zu reformieren, sind klein. Deshalb werden 2025 unter dem Druck von rechten Parteien die Weichen gestellt zur Abschaffung des individuellen Anspruchs auf ein Asylverfahren. Es wird ein schrittweiser Prozess sein. Doch an seinem Ende wird eine nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene humanitäre Errungenschaft verschwunden sein.
Andere Migrationskonzepte haben dann die Idee des individuellen Schutzgedankens verdrängt. Dabei stehen die wirtschaftlichen Interessen der Länder und Sicherheitsüberlegungen im Zentrum. Bereits heute verfahren nach diesem Kalkül die meisten Staaten ausserhalb Europas.
Verantwortlich für diese Entwicklung sind zwei Akteure: zum einen die europäischen Gerichte, die den Schutzanspruch von Asylbewerbern immer weiter ausgebaut haben. Dass sie damit die Praxis überforderten und einen Vollzugsnotstand auslösten, hat an ihrer Rechtsprechung nichts geändert. Weder Asylverfahren noch Rückschaffungen werden heute in nützlicher Frist abgeschlossen.
Davon profitieren, zum andern, die Rechtsaussenparteien. Sie skandalisieren die Ineffizienz des Staates als «Kontrollverlust» und verknüpfen das Narrativ mit den wirtschaftlichen Sorgen und den Ängsten der Bürger um ihre Sicherheit. Damit haben sie politisch immer stärkeren Erfolg.
Vor diesem Hintergrund versuchen die Regierungen seit wenigen Jahren Tatkraft zu beweisen. Die EU hat 2024 einen Migrations- und Asylpakt beschlossen, der vieles verbessern soll: den Schutz der Aussengrenzen, das Tempo der Verfahren, die Solidarität zwischen den Ländern. Auch mit Drittstaatmodellen möchten Länder wie Italien und Deutschland experimentieren. Doch sie wurden von den Gerichten gebremst. Wenn Europa das Asylsystem nicht schnell reformiert, beginnt dessen Abschaffung im neuen Jahr.
Andreas Ernst
5. Chinas Wirtschaft ist in der Krise. Damit wird es vorerst unwahrscheinlicher, dass China Taiwan angreift
Die chinesische Regierung steht unter Druck. Die Wirtschaft ist in der Krise. Das spüren die Chinesinnen und Chinesen. Immer mehr Firmen entlassen Menschen, Hochschulabgänger finden nur schwer eine Anstellung, der Wert vieler Eigentumswohnungen ist in sich zusammengefallen. Das führt zu Unmut, Proteste nehmen zu. Beobachter sagen, dass sich die Lage 2025 noch zuspitzen werde.
Bereits 2023 hat der damalige taiwanische Aussenminister davor gewarnt, dass innenpolitische Instabilität die Gefahr eines Angriffs auf Taiwan erhöhe. Taiwan könne zum «Sündenbock» werden, sagte Joseph Wu in einem Interview mit dem Fernsehsender Sky News. Die These eines Ablenkungsangriffs gegen Taiwan scheint auf den ersten Blick einleuchtend.
Doch viel plausibler ist das Gegenteil, nämlich dass wachsende innenpolitische Probleme die Wahrscheinlichkeit einer riskanten militärischen Operation Chinas gegen Taiwan senken. Das sind die Gründe:
- Taiwan hat seine Verteidigung in den letzten Jahren stark ausgebaut, insbesondere mit Unterstützung der USA. Das macht eine Invasion extrem kostspielig und schwierig – ein solcher Krieg kann nur ein starker Staat führen.
- Sollte China mit seinen militärischen Zielen scheitern, würde dies die innenpolitischen Probleme verschärfen und die Legitimität der Kommunistischen Partei untergraben. Die Risiken eines Angriffs sind also immens.
- Schon bei einer Blockade Taiwans könnten möglicherweise die USA und ihre Partner mit Sanktionen oder militärischer Unterstützung einschreiten. China würde dadurch seiner eigenen Wirtschaft empfindlich schaden – was zu weiteren sozialen Unruhen führen könnte.
China hat bisher auf langfristige Strategien gesetzt, um Taiwan unter Kontrolle zu bringen. Es normalisiert durch kontinuierliche militärische Einschüchterung sowie politische und wirtschaftliche Einflussnahme seinen Anspruch auf Taiwan. Das wird es auch weiterhin tun.
Ein plötzlicher militärischer Angriff ist zwar möglich, verschiedene Szenarien sind denkbar. Doch mit Blick auf die wirtschaftliche Lage Chinas wird das vorerst unwahrscheinlicher.
Katrin Büchenbacher