Der erste Amerikaner auf dem Heiligen Stuhl gilt als Mann der Mitte. So können sowohl Konservative wie auch Progressive hoffen, dass er die Kirche in ihre Richtung bewegen wird.

Ein Amerikaner: Wie sein Vorgänger Franziskus hat der neue Papst Leo XIV. allein schon aus geografischen Gründen kaum einen Bezug zur Schweiz. Zudem dürfte der Mann, der lange in Peru gewirkt hat, ebenso wie Franziskus die Missionierung oder die Bekämpfung der Armut priorisieren – und weniger die Themen, die Schweizer Katholikinnen und Katholiken am meisten umtreiben: die Rolle der Frau in der Kirche, der Umgang mit Homosexuellen, die Abtreibungsfrage, der Zölibat.

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Dennoch sind die Reaktionen auf die Ernennung von Leo XIV. hierzulande mehrheitlich positiv und teilweise sogar begeistert. Dies auch deshalb, weil vorerst die Gefahr gebannt scheint, dass ein dezidiert konservativer Papst noch mehr Menschen zu einem Kirchenaustritt aus Protest veranlasst.

«Ein schlichter und unkomplizierter Mensch»

Die Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) würden sich über die Wahl freuen und für sein Amt beten, schreibt die SBK in einer kurzen Mitteilung vom Donnerstagabend. Der Papst werde die einzigartige und schwierige Aufgabe fortsetzen müssen, den in weltweit unterschiedlichsten Realitäten lebenden Katholiken und Katholikinnen vorzustehen, betont die SBK. «Im Geiste der Synodalität muss er beim Aufbau unserer Kirche auf alle Gläubigen zählen können.»

Der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain ist dem ersten amerikanischen Papst bereits persönlich begegnet, da dieser bis zu seiner Wahl Chef des Dikasteriums für die Bischöfe im Vatikan war. Also der Behörde, die für die Ernennung der Bischöfe zuständig ist. Auch bei der letztjährigen Gedenkfeier zum Sacco di Roma hatten die beiden Kirchenmänner Zeit, sich auszutauschen.

«Ich habe ihn als schlichten und unkomplizierten Menschen erlebt», sagt Bonnemain. Prevost sei eine zurückhaltende Persönlichkeit und überlege gut, bevor er etwas sage. «Er hat eine grosse Erfahrung und lässt sich nicht aus der Fassung bringen.» Vor allem aber würdigt der Churer Bischof die «grosse Gottverbundenheit und die Spiritualität» von Leo XIV.

Erfreut zeigt sich in einer Videobotschaft auf X auch der Abt von Einsiedeln, Urban Federer. Er begrüsst, dass der neue Papst am 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs eine Botschaft des Friedens aussandte. Und leitet aus der Namenswahl ab, dass Prevost wie Leo XIII. ein Arbeiterpapst werden könnte.

Der letzte Leo war ein Freund der Schweiz

Urban Fink hält die Ernennung von Leo XIV. für einen «Glücksfall» – und die Namenswahl ebenfalls für ein gutes Omen, gerade für die Schweiz. Der Geschäftsführer der Inländischen Mission, Theologe und Historiker weist darauf hin, dass der letzte Leo, dessen langes Pontifikat von 1878 bis 1903 dauerte, für die Schweiz ein Friedensbringer gewesen sei. Denn er kittete den Bruch zwischen der katholischen Kirche und dem mehrheitlich reformiert und freisinnig geprägten jungen Bundesstaat.

1885 ernannte Leo XIII. den Priester Friedrich Fiala in Absprache mit dem Bundesrat zum Bischof von Basel. «Er beendete damit nach der 1873 staatlich erfolgten Vertreibung des Basler Bischofs Eugène Lachat und des Luzerner Nuntius den Kulturkampf», sagt Fink. Mit der 1890 erfolgten Ernennung des ebenfalls 1873 ausgewiesenen Bischofs Gaspard Mermillod zum Kardinal und der damit verbundenen Wohnsitznahme in Rom habe Leo XIII. eine zweite schwierige Kulturkampfpersonalie gelöst.

Die Schweiz ist in der Weltkirche ein Sonderfall, weil sie demokratisch verfasste Parallelstrukturen hat, die kantonalkirchlichen Organisationen. Ihr nationales Gremium ist die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ). Deren Präsident Roland Loos und Generalsekretär Urs Brosi schreiben in einer gemeinsamen Stellungnahme, sie gingen aufgrund seiner ersten Ansprache davon aus, dass Leo XIV. das synodale Anliegen von Papst Franziskus für mehr Inklusion und Partizipation weiterführen wolle. «Das ist aus Sicht der RKZ ein entscheidender Punkt.»

Weniger polarisierend als Franziskus

Robert Prevost habe nicht Franziskus II. heissen wollen, weil er von seinem Charakter her anders sei als sein Vorgänger. «Ihn zeichnet eine analytische Herangehensweise aus, er wägt Entscheidungen vorsichtig ab und sucht den Ausgleich», schreiben Loos und Brosi über den ausgebildeten Mathematiker Prevost.

Sie seien hoffnungsvoll, dass der neue Papst Reformen moderater angehen und mehr Stabilität ins System der Weltkirche bringen werde als Franziskus. Als eine der Hauptaufgaben von Leo XIV. sehen Loos und Brosi die Dezentralisierung von kirchlicher Macht. «Für die Kirche in der Schweiz wird zudem wichtig sein, wie entschieden er die Prävention gegen Missbräuche in der Kirche angeht und welche Haltung er in der ökumenischen Frage zeigt.»

Der Schweizerische Katholische Frauenbund (SKF) äussert sich verhaltener: Man nehme die Wahl von Leo XIV. mit «Aufmerksamkeit und Hoffnung» zur Kenntnis, schreibt der SKF in einem Communiqué. Die Hoffnung bezieht sich darauf, dass der neue Pontifex den von Franziskus eingeschlagenen Weg fortsetze – aber auch den Mut habe, weiterzugehen, offener zu kommunizieren und strukturelle Reformen anzugehen.

«Die Stimmen von Frauen in der Kirche dürfen nicht länger überhört oder auf symbolische Rollen oder Verwaltungsaufgaben reduziert werden», fordert der SKF. Konkret bedeutete dies, dass die Bistümer mehr Kompetenzen erhielten, damit sie das gemeinsame Gestalten der Kirche durch geweihte und nichtgeweihte Personen besser fördern könnten – sprich: dass Frauen mehr Befugnisse bekämen.

«Sonderfallpsychose» der Schweizer Kirche

Niklaus Herzog, Redaktionsleiter der konservativen News-Plattform Swiss-Cath.ch, hält Prevost ebenfalls für eine gute Wahl, aber aus völlig anderen Gründen wie die Kantonalkirchen oder der Frauenbund. «Der erste Auftritt von Papst Leo XIV. hob sich wohltuend ab vom populistisch-anbiedernden ersten Auftritt seines Vorgängers», sagt Herzog. Leo XIV. sei sich – anders als Franziskus – der Würde und der Bedeutung des neuen Amtes bewusst, er strahle Würde und Zuversicht aus.

Herzog erwartet vom neuen Papst die Korrektur «einer Reihe von Fehlentwicklungen» unter dem Pontifikat seines Vorgängers. «Franziskus hat eine zunehmend orientierungslose und destabilisierte Kirche hinterlassen. Das ist das Letzte, was die heutige zerrissene, von Konflikten heimgesuchte Welt braucht.» Leo XIV. verstehe zudem etwas von Finanzen und Ordnung, was bei Franziskus nicht der Fall gewesen sei.

Herzog lehnt eine Demokratisierung der Weltkirche ab, wie sie sich progressive Katholiken wünschen. Eine der Hauptaufgaben des neuen Papstes werde sein, der sich abzeichnenden «Anglikanisierung» der Kirche gegenzusteuern beziehungsweise die «überhandnehmenden zentrifugalen Kräfte» einzudämmen. «Für die Kirche Schweiz (wie auch die deutsche) bedeutet dies, dass sie ihre in grandioser Selbstüberschätzung permanent zelebrierte ‹Sonderfallpsychose› wird abschminken müssen», sagt Herzog.

Absage an J. D. Vance

Gerhard Pfister, Noch-Präsident der einstigen Katholikenpartei Mitte, hingegen lobt Robert Prevost für seine kritischen Anmerkungen zu J. D. Vance. Der US-Vizepräsident und katholische Konvertit hatte bei der Nächstenliebe eine Abstufung vorgenommen: zuerst die Familie, dann die Nachbarn, dann die Gemeinde, dann die Mitbürger und dann der Rest der Welt. Vance liege falsch, erwiderte Prevost: Jesus verlange nicht, die Liebe zu anderen zu klassifizieren. «Wenn er auch als Papst dabei bleibt: eine Sorge weniger», schreibt Pfister.

Die Bundespräsidentin und Katholikin Karin Keller-Sutter richtet auf X ihre Glückwünsche an Leo XIV. aus. Die Welt brauche Dialog, Hoffnung und Zuversicht, schreibt sie. «Die Stimme des Papstes ist wichtig. Sie findet in diesen unsicheren Zeiten weit über die katholische Kirche hinaus Gehör.»

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