Montag, November 17

Moskau hat den Anspruch auf die ehemalige Sowjetunion als Einflusszone nie aufgegeben. Die Voraussetzungen dafür sind aber sehr unterschiedlich. Der Ukraine-Krieg half sogar, den Einfluss zu verstärken.

«Georgien ist gerettet!» Das schrieb am Donnerstagmorgen Mika Badaljan, ein prorussischer armenischer Blogger und politischer Aktivist, in seinem Telegram-Kanal. Die Razzien und Festnahmen durch die georgische Polizei am Vortag hätten den Eifer der «Euro-Aufrührer» abgekühlt, so dass der Protest nun wohl abflauen werde.

Badaljan hat eine Organisation namens Eurasien gegründet, mit der er die Anlehnung an Russland und die Abwehr westlichen Einflusses im postsowjetischen Raum voranbringen will. Aktivisten wie er machen das, was die russische Führung und ihre Propaganda ständig dem Westen vorwerfen: Sie versuchen, in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit der Verbreitung russischer Narrative auf die Gesellschaft einzuwirken und politische Entscheidungen im Sinne Moskaus zu beeinflussen.

Orange Revolution als Fanal

Den Anspruch, im postsowjetischen Raum die alles entscheidende Grossmacht zu sein, hat Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion nie aufgegeben. Von Anfang an wurden die einstigen Sowjetrepubliken zum «nahen Ausland» erklärt, oft mit dem unausgesprochenen Gedanken, es handle sich ohnehin nicht wirklich um eigenständige Staaten. Aber diese entwickelten sich sehr unterschiedlich, und Russland tut sich seit je schwer mit «soft power». Der Grad der Distanz zu Russland hängt von historisch-kulturellen Faktoren, wirtschaftlichen Abhängigkeiten und politischen Entscheidungen ab.

Vor zwanzig Jahren wurde die Orange Revolution in der Ukraine, neun Jahre vor dem Euromaidan, zum Schreckgespenst für Wladimir Putin – nach innen und nach aussen. Derzeit wirkt es so, als stünden die Zeichen für Putin gut. Und das, obwohl 2022 zunächst der Eindruck bestanden hatte, Russland habe sich so sehr im brutalen Krieg gegen die Ukraine verheddert, dass sein Griff nach Einfluss in anderen Teilen des ehemaligen Sowjetreiches erschlafft sei.

Jetzt spielt der Ukraine-Krieg dem Kreml zum Teil in die Hände. Zur neuen aussenpolitischen Strategie gehört auch die Verlagerung der Ressourcen diplomatischer Vertretungen vom Westen unter anderem in die postsowjetischen Staaten. Das Instrumentarium der Beeinflussung und Vereinnahmung hängt aber von den sehr unterschiedlichen Voraussetzungen ab.

Unterschiede zwischen Georgien und der Moldau

Allein in Georgien und in der Moldau, die jüngst am meisten Aufmerksamkeit in dieser Hinsicht bekamen, ist die Ausgangslage nicht dieselbe. Die georgische Regierung, im Hintergrund gesteuert vom schattenhaften, in Russland zum Milliardär gewordenen Bidsina Iwanischwili, kommt zwar mit ihrer zunehmend autoritären, antiwestlichen Politik den Interessen Russlands entgegen. Iwanischwilis Partei Georgischer Traum ist aber keine offen prorussische Partei: Die Mehrheit der Georgier ist gegen eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland.

Die Angst vor Russland half dem Georgischen Traum sogar bei den Wahlen, indem er eine Kriegsgefahr heraufbeschwor für den Fall, dass die Opposition Moskau provozieren würde. Die Chancen, die sich durch die westlichen Sanktionen wirtschaftlich ergeben, sprachen in den Augen der Wähler ebenfalls für Russland. Moskau musste der Partei auch nicht erst zur Machtübernahme verhelfen. Eher geht es darum, diesen für den Kreml nützlichen Kurs allenfalls durch informelle Kontakte zu stützen. So dürften auf Ebene der Sicherheitsbehörden, die sich jetzt mit besonderer Skrupellosigkeit hervortun, Verbindungen nach Moskau bestehen.

Die moldauischen Wähler dagegen sind für eine Hinwendung nach Russland grundsätzlich viel empfänglicher. Der moldauische Unternehmer Ilan Sor, den Russland hemmungslos unterstützt, lebt sogar in Moskau. Die Wirkung russischer Propaganda ist direkter. Wäre es nur nach den Stimmen der Inland-Moldauer gegangen, wäre ein russlandfreundlicher Präsident gewählt worden.

Wirtschaftliche Abhängigkeiten

Eines der wichtigsten Einfluss-Instrumente Russlands sind seine Fernsehsender, Internetplattformen und Kanäle in sozialen Netzwerken. Je russifizierter die Gesellschaft ist, desto leichter dringen diese Inhalte in die Länder ein und desto mehr Nährboden gibt es für die russischen Narrative – über Russland selbst, über den Ukraine-Krieg, über den Westen und die jeweilige Regierung.

In Armenien, das aus historischen und auch wirtschaftlichen Gründen lange eines der Russland am meisten zugewandten Länder war, findet gerade eine Verschiebung statt. Weil Russland viele Armenier während der beiden Karabach-Kriege als Sicherheitsgarant enttäuscht hat, fällt es selbst vielen ursprünglich russisch sozialisierten Armeniern schwer, diese Verbundenheit noch zu leben. Sie kommen aber auch nicht so einfach davon los – zu stark sind die wirtschaftlichen Verflechtungen.

Georgien, die Moldau und Armenien sind bis jetzt Wahldemokratien. Es herrscht ein gewisser Pluralismus, und der Ausgang der Wahlen ist nicht vorbestimmt. Andere Voraussetzungen herrschen in den meisten zentralasiatischen Staaten sowie in Aserbaidschan, allenfalls mit Ausnahme Kirgistans. Dieses entfernt sich allerdings seit dem Umsturz 2020 immer weiter von den vergleichsweise freiheitlichen und pluralistischen Zuständen, die es in der Region lange Zeit zum Ausnahmefall gemacht hatten. Symptomatisch dafür sind die scharfe Kontrolle zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Verfolgung unabhängiger Medien.

Die Mitgliedschaft Kirgistans in der Eurasischen Wirtschaftsunion gibt dem Land automatisch eine Nähe zu Russland, macht umgekehrt aber die kirgisischen Arbeitsmigranten in geringerem Masse zum Druckmittel. Viel verletzlicher ist Tadschikistan, die ärmste Republik der Region, die zugleich eine russische Militärbasis beherbergt und Hunderttausende von Arbeitsmigranten nach Russland schickt. Usbekistan wiederum ging früh schon wirtschaftlich und sicherheitspolitisch auf freundliche Distanz zu Moskau. Erfolgreich entzieht es sich dem Druck, der Wirtschaftsunion beizutreten. Aber keiner der Staaten rüttelt am Grundsatz, dass gute Beziehungen zu Russland für das Gedeihen zwingend sind.

Frage der Generationen

Kasachstan und Kirgistan sind, als bevorzugte Staaten zur Umgehung der westlichen Wirtschaftssanktionen, mehr denn je mit Russland verflochten, obwohl sie von Anfang an keine Begeisterung für Putins Feldzug gegen die Ukraine gezeigt haben. Beide sind auch in Russlands Militärbündnis ODKB eingebunden. Das Russische hat für sie zudem noch immer eine grosse Bedeutung. Der Norden Kasachstans ist russisch geprägt. Manche Kasachen sehen in den Russischstämmigen eine «fünfte Kolonne». Nationalistischen russischen Politikern dient das immer wieder dazu, Kasachstan «ukrainische Verhältnisse» anzudrohen.

In Kirgistan fördert Russland russische Schulen; auch die Lehrbücher sind oft aus Russland und vermitteln entsprechend die russische Sicht. Zugleich entzünden sich an der Sprache regelmässig Konflikte – dann, wenn die Russen das Gefühl haben, Russisch werde unterdrückt.

Während unter älteren Generationen das russische Fernsehen auch die politischen Narrative formt und die Sowjetnostalgie düstere Seiten der eigenen Geschichte überstrahlt, werden jüngere Generationen selbstbewusster. Sie hinterfragen das Verhältnis zu Russland und zur eigenen Vergangenheit und werden so weniger empfänglich für die russische Beeinflussung. Das ist besonders in Kasachstan zu spüren. Aus Furcht, es sich mit dem grossen Nachbarn zu verscherzen, versucht das Regime Debatten über den kolonialen Charakter der russischen und sowjetischen Herrschaft, über Repressionen und Hungertod zu kontrollieren. Das mag im Sinn des russischen Regimes sein. Es könnte aber auch längerfristig das Gegenteil bewirken – erst recht die Abwendung von Russland.

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