Donnerstag, November 13

Nach bloss 13 Monaten im Amt tritt Nemat Shafik von der Spitze der New Yorker Elite-Universität zurück. Sie geriet zwischen aktivistische Fronten, die bleiben.

Krisen sind eigentlich die Spezialität von Nemat Shafik. In ihrem früheren Leben als Star-Ökonomin bei der Weltbank und der britischen Zentralbank war sie immer dort im Einsatz, wo es brannte: In Osteuropa nach dem Mauerfall, in Griechenland während der Euro-Krise, im arabischen Frühling und während der Brexit-Wirren.

Doch als Präsidentin der Columbia University ist die 62-jährige glorios gescheitert. Es gelang ihr nicht, das Feuer zu löschen. Es gelang ihr nicht, die Eskalation der anti-israelischen Proteste auf dem Campus zu verhindern, den erbitterten Streit innerhalb den Fakultäten zu schlichten und zwischen den verhärteten politischen Fronten zu navigieren.

Am Mittwoch gab Shafik abrupt ihren Rücktritt bekannt – gute zwei Wochen vor Semesterbeginn. In ihrem Rücktrittsschreiben erklärt die amerikanisch-britische Doppelbürgerin mit ägyptischen Wurzeln, in ihr sei die Erkenntnis gereift, dass ihr Rücktritt die beste Lösung sei, «damit die Universität die kommenden Herausforderungen bestreiten könne.» Der «Aufruhr» habe auch ihre Familie stark belastet. Shafik zieht nach London zurück, wo sie im britischen Aussenministerium die Entwicklungszusammenarbeit neu ausrichten und ihr Mandat im House of Lords wieder wahrnehmen wird. 2020 ist sie von Queen Elisabeth zur Baronin geadelt und ins Oberhaus berufen worden.

Dekane verschicken antisemitische Textnachrichten

Am Ende war es die judenfeindliche Polemik innerhalb der eigenen Reihen, die Shafik zu Fall brachte. Drei Dekane vom Undergraduate College hatten sich nicht entblödet, an einem Forum über das jüdische Leben auf dem Campus im Mai untereinander despektierliche Textnachrichten über jüdische Exponenten zu verschicken – unter anderem einen Rabbiner. Der Skandal kam während einer Untersuchung des Repräsentantenhauses ans Licht, nachdem ein anonymer Whistleblower ein Bildschirmfoto dieses infamen Chats gemacht hatte. Shafik verurteilte die Dekane, die «antisemitische Stereotypen» bedient hätten, und stellte sie auf unbestimmte Zeit frei.

Doch diese Massnahme war vielen zu schwach – 2000 Dozenten, Studenten, Eltern und Alumni unterschrieben Anfang Juli einen Brief, der die sofortige Entlassung der Dekane verlangte. Deren Rücktritt erfolgte aber erst im August. Der Eklat verdeutlichte, dass Shafik ihr eigenes Versprechen, nämlich konsequent gegen Antisemitismus an der Columbia Universität vorzugehen, nicht gehalten hat. Dieses hatte sie im April vor einem Ausschuss der Repräsentantenhauses abgegeben. Doch bei der Umsetzung haperte es: Die von Shafik gegründete Antisemitismus-Taskforce war angesichts der Radikalisierung der Fronten innerhalb der Universität für die Galerie.

Zwischen den Lagern zerrieben

Trotzdem erfolgt der Rücktritt der Columbia-Präsidentin unerwartet. Denn vor ein paar Monaten schien es noch, als ob sich die Lage beruhigen könnte. Die polizeiliche Räumung und Überwachung des Campus beendete die Proteste grösstenteils, mit der Sommerpause kehrte die Ruhe auf dem Campus ein. Der Senat liess einen Misstrauensantrag der geisteswissenschaftlichen Fakultäten gegen Shafik ins Leere laufen, die Mehrheit der Fakultäten stellten sich hinter sie, so auch der Stiftungsrat, der ihren Rücktritt nun «bedauert.»

Doch hinter den Kulissen brodelte es weiter. Shafiks Konfliktmanagement hatte ideologisch entgegengesetzte Lager gegen sie aufgebracht. Propalästinensisch gesinnte Kreise verärgerte sie durch die in ihren Augen unzimperlichen Polizeieinsätze. Proisraelische Kreise warfen Shafik vor, zu wenig hart gegen Antisemitismus vorzugehen. Im Vergleich zu anderen Universitäten ging die Leitung der Columbia University zwar forsch gegen die Demonstranten vor. Gleichzeitig versuchte Shafik aber, gegen sie revoltierende Dozenten nicht weiter zu vergraulen. Dieser Mittelweg erwies sich letztlich als Sackgasse.

Shafik geht – das Chaos bleibt

Die Republikaner im Repräsentantenhaus sehen Shafik schon lange als Hauptverantwortliche für der Gaza-Proteste, die im Oktober 2023 nur wenige Tage nach dem schrecklichen Hamas-Massaker an der Columbia University ausbrachen und sich von dort an Hochschulen im ganzen Land verbreiteten. Seit Februar untersucht der Kongress das Versagen der Hochschulen, «jüdische Studenten zu schützen.» Entsprechend gross ist die Genugtuung über Shafiks Abgang. «Längst überfällig,» nennt ihn die Abgeordnete Elise Stefanik. Shafik ist die dritte Präsidentin einer Elite-Universität, die wegen der Gaza-Proteste aus dem Amt scheidet. «Drei sind gefallen, viele mehr folgen», verspricht Stefanik, als ob es um eine Triebjagd gehe.

Die Frage bleibt, was Nemat Shafiks Rücktritt an der eigentlichen Konfliktlage verändert. Die Interimsleitung der Columbia University übernimmt per sofort die Dekanin der Medizinischen Fakultät, Katrina Armstrong. Die Epidemiologin hat nun die schwierige Aufgabe, das Gaza-Virus auf dem Campus einzudämmen. Allgemein wird ein Aufflammen der Proteste nach Semesterbeginn erwartet; dabei ist die Universitätsleitung eine primäre Zielscheibe. Kürzlich verunstalteten pro-palästinensische Vandalen die Wohnung des Geschäftsleiters der Columbia University.

Derweil geht die parlamentarische Untersuchung in Washington weiter, die im Wahljahr eine besondere Intensität erreichen dürfte. Und auch das Bildungsdepartement der Biden-Regierung hat eine Untersuchung über Antisemitismus und Islamophobie an den amerikanischen Universitäten eröffnet.

Nemat Shafik ist weg – sie kehrt den propalästinensischen Protesten und dem erbitterten ideologischen Streit an den amerikanischen Hochschulen den Rücken. Diese bleiben wohl eine Kampfzone, solange der Gaza-Krieg andauert.

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