Samstag, September 28

In Kenyas Hauptstadt Nairobi sind am Dienstag friedliche Proteste in Gewalt eskaliert. Die Jungen galten bisher als politisch eher apathisch – so war rasch von Protesten der Gen Z die Rede.

In der kenyanischen Hauptstadt Nairobi haben Demonstranten am Dienstagnachmittag das Parlamentsgebäude im Stadtzentrum gestürmt, wo Abgeordnete zuvor über ein umstrittenes Finanzgesetz berieten. Teile des Parlaments standen in Flammen. Die Polizei eröffnete das Feuer, Videoaufnahmen und Fotos, die in den sozialen Netzwerken die Runde machten, zeigten mutmasslich erschossene Demonstranten. Die Zahl der Opfer war vorerst unklar. Dies auch, weil im Lauf des Nachmittags das Internet blockiert wurde, was die Verbreitung von Informationen stark erschwerte. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von mindestens fünf Toten und Dutzenden Verwundeten.

Vor der Eskalation hatten seit dem Morgen Tausende vor allem junge Menschen gegen geplante Steuererhöhungen und gegen eine politische Elite demonstriert, die gerade junge Kenyanerinnen und Kenyaner als korrupt und gleichgültig wahrnehmen. Die Proteste hatten vergangene Woche in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #RejectFinanceBill2024 begonnen. Von da gelangten sie auf die Strasse.

Weil die Proteste eine junge Generation mobilisieren, die bisher als politisch eher apathisch galt, war rasch von Protesten der Gen Z, also von zwischen 1995 und 2010 Geborenen, die Rede. Es ist ein Label, das viele Demonstrantinnen und Demonstranten am Dienstag stolz vor sich hertrugen. «Gen Z Revolution» konnte man etwa am Dienstag auf Transparenten lesen.

«Gen Z ist eine Bewegung»

Victor Odhiambo zum Beispiel, ein 20-jähriger Politikstudent, schreibt um halb 11 Uhr morgens auf Papier, das er mitgebracht hat: «Wir müssen uns die Macht zurückholen.» Zwanzig Meter entfernt fliegen schon Tränengaskanister durch die Luft. Die Polizei versuchte von Beginn an, die Demonstranten vom Parlament fernzuhalten. Knallen übertönt das gellende Konzert der Trillerpfeifen, die die Demonstranten mitgebracht haben.

«Gen Z ist keine Partei», sagt Victor Odhiambo, «wir sind eine Bewegung.» Eine Bewegung, die sich gegen neue Steuern richte, aber nicht nur: «Das grosse Problem ist die Korruption», sagt Odhiambo. Er hat einen ganzen Stapel rosafarbenes Papier mitgebracht. Es gibt viel zu beklagen.

Den Anstoss für die Proteste gab eine Reihe von Steuererhöhungen, die die Regierung von Präsident William Ruto einführen wollte, um den Haushalt ins Lot zu bringen. Kenya ist hoch verschuldet, unter anderem wegen teurer Infrastrukturprojekte, die die Vorgängerregierung umgesetzt hatte. Die neuen Steuern, die die Regierung auch auf Drängen des Internationalen Währungsfonds einführen wollte, betrafen unter anderem Brot, elektronische Transaktionen und Fahrzeuge. Schon früher hatte Rutos Regierung, die seit 2022 im Amt ist, Steuererhöhungen eingeführt. Dies brachte dem Präsidenten den Spitznamen «Zakayo» ein – nach einem Oberzöllner in der Bibel, der die Bevölkerung auspresste.

Ruto hat seit seinem Amtsantritt versucht, sich international als afrikanischer Vorzeigepräsident zu positionieren, vor allem gegenüber dem Westen. Er gibt sich als Vorreiter in Klimafragen, organisierte im vergangenen Jahr einen grossen afrikanischen Klimagipfel. Dazu hat sich Rutos Regierung bereit erklärt, tausend Polizisten für eine umstrittene Mission in den Krisenstaat Haiti zu entsenden. Diese flogen nach monatelanger Verzögerung ausgerechnet am Dienstag in die Karibik ab. Die USA, die die Mission angestossen hatten, aber selber keine Truppen schicken wollten, erklärten Kenya ebenfalls am Dienstag zu einem «wichtigen Nicht-Nato-Verbündeten».

Ruto brach Wahlkampfversprechen

In Kenya ist das Image von Präsident Ruto deutlich schlechter als im Ausland. Er war 2022 mit dem Versprechen gewählt worden, sich einzusetzen für Kenyas «Hustler», die Unterschicht, die von der Hand in den Mund lebt. Von Rutos klassenkämpferischen Tönen ist wenig übrig geblieben, viele seiner Wählerinnen und Wähler fühlen sich deshalb von ihm verraten. Schon im vergangenen Jahr hatte es Proteste gegen Inflation, steigende Kosten und die Politik der Regierung gegeben.

In Kenya war man sich aber schon vor der Eskalation am Dienstag einig, dass diese Proteste eine neue Dimension haben. Proteste im Land werden üblicherweise von der politischen Opposition gestartet, sie haben häufig die Form von Ausschreitungen in Armenvierteln.

Diesmal aber gehen viele Kenyanerinnen und Kenyaner auf die Strasse, die sich zuvor nicht politisch engagiert haben. Viele Demonstranten im Stadtzentrum am Dienstag sagten, es sei das erste Mal, dass sie demonstrierten. Viele waren in ihren Zwanzigern oder noch jünger. Emmah Mennunga zum Beispiel, 26, ist mit drei Freundinnen gekommen. «Ruto muss weg», ruft sie ein paar Ecken entfernt vom Parlamentsgebäude und reckt die Faust. Wie viele andere hat sie die Proteste zuerst auf X und Instagram beobachtet und sich dann entschieden, auf die Strasse zu gehen. «Wir studieren, aber die Regierung schafft es nicht, Jobs zu schaffen», sagt sie. Sie ist ausgebildete Ernährungswissenschafterin, arbeitet aber als Kellnerin.

Vor der Eskalation am Dienstagnachmittag trugen die Proteste im Stadtzentrum phasenweise Züge einer Strassenparty. Junge Leute tanzten an manchen Ecken zu Musik, viele hatten kenyanische Flaggen mitgebracht. Viele glückliche Gesichter waren zu sehen und auch Stolz darüber, der politischen Kaste und den Sicherheitskräften die Stirn zu bieten.

Schnell wurden die Proteste aber auch zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen der Polizei und den Demonstranten. Tränengas waberte überall im Zentrum, die Polizei fuhr mit Wasserwerfern durch die Strassen und spritzte pinkfarbenes Wasser. Demonstranten flohen, rückten dann wieder vor. Die Zahl der Demonstranten war so gross, dass die Polizei trotz Grossaufgebot mancherorts überwältigt wurde. Als es Demonstranten am Nachmittag dann gelang, ins Parlament vorzustossen, schossen Polizisten offenbar scharf. Auch aus anderen Städten wurde von Plünderungen und brennenden Fahrzeugen berichtet.

Junge stark von Arbeitslosigkeit betroffen

Die Regierung hatte vergangene Woche noch mit einer gewissen Kompromissbereitschaft auf die Proteste reagiert. Sie kündigte an, einzelne Steuern wieder rückgängig zu machen, zum Beispiel jene auf Brot. Präsident Ruto kündigte bei einem Kirchenbesuch am Sonntag auch an, den Dialog mit jungen Kenyanern zu suchen: «Ich bin stolz auf die jungen Leute», sagte der Präsident.

Die meisten Demonstranten lehnen einen solchen Dialog ab. Für sie geht es bei den Protesten um mehr als um Steuern. Sie haben vielmehr den Eindruck, dass sich eine oft überalterte politische Elite, die neue Steuern erhebt, aber gleichzeitig regelmässig mit Korruptionsskandalen für Aufsehen sorgt, nicht um sie schert. Das Medianalter in Kenya liegt wie in vielen Ländern Afrikas unter 20 Jahren, die sogenannte Gen Z ist auch die Altersgruppe, die am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen ist.

Viele Demonstranten verliehen auch der Hoffnung Ausdruck, dass die Proteste über das Finanzgesetz hinaus für Veränderung sorgen würden. Allan Cole, ein 21-jähriger Chemiestudent, trug ein Plakat, auf dem stand: «Wenn Tyrannei Gesetz wird, wird Rebellion zur Pflicht.» Er sagte: «Frühere Generationen haben sich dem politischen Regime gebeugt. Wir, die Gen Z, erlauben das nicht mehr. Bei der nächsten Wahl werden wir die Regierung wegwischen und eine junge Generation wählen, die sich um die gewöhnlichen Bürger sorgt.»

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