Mittwoch, Dezember 4

Etwa die Hälfte aller Häftlinge leidet unter psychischen Problemen, manche brauchten psychiatrische Versorgung. Doch die ist oft ungenügend.

Häftlinge kämpfen zunehmend mit Depressionen, Suizidalität, Angststörungen. Trotzdem haben Häftlinge in manchen Fällen keinen Zugang zu einer stationären Behandlung. Weil es an Betten, Therapeuten, Ärzten fehlt. Aber auch: weil einige Psychiatrien nicht über die nötige Infrastruktur verfügen, um Straftäter zu behandeln.

Immer wieder gelingt es Straftätern, aus psychiatrischen Einrichtungen auszubrechen. 2018 flüchtete ein Mann aus der psychiatrischen Klinik Schlosstal bei Winterthur, der wegen Misshandlung seiner Partnerin und deren Tochter zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. 2020 flüchtete ein Sexualstraftäter aus dem Psychiatriezentrum Rheinau.

Dies hängt damit zusammen, dass Psychiatrien keine geschlossenen Anstalten mehr sind. Die Fluchtgefahr von Häftlingen in stationärer psychiatrischer Behandlung ist grösser. Manche Psychiatrien müssen abwägen: Entweder wird der Häftling eingesperrt und kann deshalb nicht am ganzen Behandlungsangebot teilnehmen. Oder der Häftling erhält das Recht, an allen Therapien teilzunehmen und auf offenen Höfen auf Freigang zu gehen. Dafür nimmt die Psychiatrie ein gewisses Fluchtrisiko in Kauf.

Sicherheit oder psychiatrische Versorgung

Dieses Problem soll nun mit einem Postulat von Kantonsrätinnen und Kantonsräten aus SP, GLP, AL sowie Grünen angegangen werden. Der Regierungsrat wird beauftragt, ein Pilotprogramm «an der Schnittstelle Justiz und Psychiatrie» durchzuführen, um die stationäre psychiatrische Versorgung von Häftlingen zu verbessern. Das diskutierte der Kantonsrat am Montag.

Klar von der Forderung des Postulates abzugrenzen ist die forensische Psychiatrie. Diese befasst sich mit Straftätern, die wegen ihrer psychischen Erkrankung eine Straftat begangen haben. Diese Straftäter werden in speziellen Einrichtungen behandelt. Das Postulat aber meint Straftäter, die erst im Gefängnis psychisch erkranken, teilweise wegen der Haftbedingungen.

Grünen-Kantonsrätin Jeannette Büsser (Horgen) sagte: «Wenn Menschen im Gefängnis krank werden, ist es selbstverständlich, dass sie in ein Spital verlegt werden. Ist aber eine psychiatrische stationäre Behandlung nötig, dann harzt es gewaltig.» Die Konzepte für die psychiatrische Versorgung von Häftlingen funktionierten nicht.

SP-Kantonsrat Andreas Daurù (Winterthur) wies darauf hin, dass die Wiedereingliederung der Straftäter in die Gesellschaft eines der Ziele des heutigen Strafvollzugs sei. «Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Menschen in Gefängnissen psychisch gesund sein und bleiben», sagte Daurù. «Deshalb brauchen wir niederschwelligen Zugang zu psychiatrischer Betreuung für inhaftierte Menschen.»

Anders sah dies Christoph Marty (SVP, Zürich): «Alles zu pathologisieren, war noch nie hilfreich», sagte er. «Ein Pilotprojekt zu starten, dessen grösster Nutzen wahrscheinlich die Jobangebote für Therapiepersonal ist, ist ein wenig nachhaltiger Ressourceneinsatz.» Weiter argumentierte Marty, dass unklar sei, ob eine bessere psychiatrische Behandlung auch die Rückfallgefahr von Straftätern senke. Und: «Ein erheblicher Teil der Straftäter wird nach Verbüssung der Strafe abgeschoben, also betrifft uns deren Rückfallgefahr auch nicht mehr.»

Auch FDP-Kantonsrat Dieter Kläy (Winterthur) sprach sich gegen das Postulat aus. Er wies darauf hin, dass eingewiesene Personen bereits jetzt ein Anrecht auf angemessene Gesundheitsversorgung hätten. «Die rechtlichen Grundlagen sind gelegt. Dieses Postulat braucht es nicht.»

Fehr: «Das Problem ist ernst»

Die zuständige Regierungsrätin, Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP), sagte: «Das Problem ist sehr ernst.» Sie könne sich gut vorstellen, dass künftige Generationen sich einmal dafür würden entschuldigen müssen, wie heute mit psychisch kranken Straftätern umgegangen werde. «Deshalb: Lassen Sie uns handeln.»

SVP-Kantonsrat Marty stellte weiter eine Überlegung zum Postulat in den Raum: «Ich muss annehmen, dass dieses Anliegen eigentlich einem Anliegen der Justizdirektorin entspricht und die Einreichenden hier für die Regierungsrätin fungieren.» Dagegen wehrte sich Regierungsrätin Fehr: «Das ist kein bestelltes Postulat. Der Kanton könnte auch ohne politischen Auftrag handeln, die Gesetzesgrundlage dafür gibt es.»

Das Postulat wurde mit 98 Ja-Stimmen gegen 76 Nein-Stimmen von SVP, FDP und EDU angenommen.

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