Wahnvorstellungen oder Halluzinationen: Die schizophrene Psychose ist eine schwere psychiatrische Erkrankung, bei der der Realitätsbezug gestört ist. In der Regel wird sie im jungen Erwachsenenalter diagnostiziert. Sie kündigt sich aber oft Jahre vor ihrem Ausbruch an.

Es fing damit an, dass er sich nirgendwo mehr wohlfühlte. Draussen wähnte er sich beobachtet, verfolgt und war überzeugt, dass irgendwelche Leute ihn umbringen wollten. Auch zu Hause im eigenen Zimmer fand er keine Ruhe. Dort seien ihm manchmal wie aus dem Nichts Personen erschienen, die er in seinem Leben noch nie gesehen habe.

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«Das erste Mal bin ich extrem erschrocken, ich bin erstarrt und wusste nicht, was machen», sagt Luca, der in Wirklichkeit anders heisst. Seit drei Monaten nun hört der 17-Jährige Stimmen, die ihn auffordern, er solle sich umbringen. Luca wurde bei der Jugendpsychiatrie vorstellig, nachdem er sein Unwohlsein einer Schulsozialarbeiterin geschildert hatte.

«Das ist ein typischer Fall einer beginnenden Psychose», sagt Maurizia Franscini, Chefärztin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

Die schizophrene Psychose ist eine schwere psychiatrische Erkrankung, bei der der Realitätsbezug gestört ist. Zu den typischen Symptomen zählen Wahnvorstellungen, Halluzinationen, desorganisierte Sprache oder sogenannte Ich-Störungen. Franscini sagt: «Das bedeutet, dass meine eigene Person nicht mehr geschützt ist. Andere können meine Gedanken lesen, oder die Gedanken sind so laut, dass jemand neben mir sie hören könnte.»

Psychosen haben eine lange Vorlaufzeit

Eine schizophrene Psychose wird meist im jungen Erwachsenenalter diagnostiziert. Die Krankheit erfordert häufig einen stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und bedeutet in der Regel einen schweren Einschnitt. «Das sind oft junge Menschen, die noch in Ausbildung sind», sagt Franscini.

Eine Psychose entwickelt sich nicht einfach über Nacht. Schon früh zeigen sich subtile Veränderungen im Denken und in der Wahrnehmung, die dem Umfeld lange verborgen bleiben. Diese prodromale Phase beginnt mit sehr unspezifischen psychischen Beschwerden wie Unruhe oder Schlafstörungen und geht über in sogenannt psychoseferne Symptome. Dazu gehören vor allem kognitive Auffälligkeiten wie das Gefühl, fremde Gedanken würden in den Gedankenfluss eingeschoben. Oder Gedankengänge reissen einfach ab.

Entwickeln sich daraufhin psychosenahe Symptome wie Sinnestäuschungen, etwa ein Schatten im Augenwinkel, so befindet sich die Person im Hochrisikostadium. Nahestehende Menschen können dann oft schon Veränderungen im Verhalten der Betroffenen feststellen. Danach treten kurze psychotische Episoden auf – das können kurz andauernde Halluzinationen oder Wahnvorstellungen sein –, und erst in einem letzten Schritt entwickelt sich die eigentliche Psychose.

Die Früherkennung verbessert den Behandlungserfolg

Diese lange Vorlaufphase kann bis zu fünf Jahre dauern. Diese Zeit bietet die Chance, schon bei frühen Anzeichen therapeutisch gegenzusteuern. «Je länger wir mit einer Behandlung zuwarten, desto schlechter sind die langfristigen Aussichten», sagt Philipp Homan, stellvertretender Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Zahlreiche Studien belegen, dass frühzeitige Therapiemassnahmen Symptome abmildern, den klinischen Verlauf verbessern und negativen Konsequenzen einer psychotischen Erkrankung vorbeugen können, etwa einem Abbruch der Lehre, Arbeitslosigkeit oder sozialer Isolation.

Die Idee der Psychose-Früherkennung ist plausibel, in der Praxis aber nicht immer einfach umzusetzen. Denn der Übergang vom Risikostadium in eine schizophrene Psychose lässt sich bis heute schwer vorhersagen. Wie langjährige Untersuchungen zeigen, entwickeln von den Hochrisikopersonen mit psychosenahen Symptomen nur gerade 20 Prozent innerhalb von zwei Jahren eine Psychose. Bei Personen mit psychosefernen Symptomen sind es noch weniger – aber immer noch deutlich mehr als in der Allgemeinbevölkerung, bei der das Erkrankungsrisiko bei etwa 1 Prozent liegt. Wie sollte man also vorgehen?

«Grundsätzlich gilt: Im psychosefernen und im psychosenahen Stadium ist eine Behandlung immer sinnvoll», sagt Homan. Im Mittelpunkt stehe dabei die Psychotherapie. «Da noch keine Diagnose vorliegt, sondern nur ein Risiko für die Krankheit besteht, sind Medikamente strenggenommen nicht zugelassen.» Bei Bedarf gebe es im psychosenahen Hochrisikostadium aber die Möglichkeit, die Psychotherapie mit niedrig dosierten Medikamenten zu erweitern.

Wie unterscheidet sich die Psychose von einer pubertären Krise?

Um früh einschreiten zu können, müssen Kinderärzte, Hausärztinnen und Schulpsychologen erkennen, wann bei jungen Menschen mit kognitiven Veränderungen eine psychiatrische Abklärung sinnvoll ist. Nicht selten würden solche unspezifischen Symptome nämlich als pubertäre Krise abgetan, so Homan.

Mit einer frühen und gezielten Behandlung kann man den Verlauf günstig beeinflussen und eine psychotische Entwicklung verzögern. Aber lässt sich die Psychose auch gänzlich verhindern? «Die Datenlage gibt derzeit leider wenig Anlass zu Optimismus», sagt Philipp Sterzer, Chefarzt am Zentrum für Diagnostik und Krisenintervention der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel.

Eine kürzlich erschienene Metaanalyse auf Basis von 24 Studien konnte weder für Psychotherapie noch für medikamentöse Behandlungen nachweisen, dass sie psychotische Erkrankungen verhindern können. Daraus könne man allerdings nicht schliessen, dass eine Behandlung von Menschen mit hohem Risiko für eine Psychose grundsätzlich unwirksam oder gar sinnlos sei, sagt Sterzer. «Vielmehr deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es wahrscheinlich keine einzelne, für alle gleichermassen wirksame Behandlungsmethode gibt. Stattdessen sind spezifischere, auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnittene Behandlungsstrategien erforderlich.»

«Cannabis reduziert die Schwelle zur Psychose»

Im Zentrum jeder Behandlung stehe ein guter Beziehungsaufbau gegenüber dem Patienten beziehungsweise der Patientin, sagt Philipp Homan. Mit Aufklärung und dem Einbezug der Angehörigen gelinge es, dass vier von fünf Personen im Hochrisikostadium innerhalb von zwei Jahren keine Psychose entwickelten. «Einen von fünf erreichen wir jedoch nicht, selbst wenn wir zusätzliche Massnahmen wie fokussierte Familientherapie oder kognitive Verhaltenstherapie anbieten», sagt Homan.

Das dürfte mit den vielfältigen Ursachen der Erkrankung zu tun haben. Neben einer genetischen Veranlagung sind Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, Traumata und Drogenkonsum mit einem erhöhten Psychoserisiko verbunden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Cannabis zu. «Cannabis reduziert die Schwelle zur Entwicklung einer Psychose», sagt Maurizia Franscini. So zeigte eine Studie 2019 einen engen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Psychose: Wer täglich Cannabis konsumiert, weist im Vergleich zu Abstinenten ein dreimal so hohes Risiko für eine Psychose auf. Wer dabei besonders starkes Cannabis bevorzugt, hat sogar ein fast fünffaches Risiko.

Ob Cannabis beziehungsweise das darin enthaltene THC die Psychose verursacht oder ob Personen mit einer beginnenden Psychose eher dazu neigen, Cannabis zu konsumieren, ist bis heute nicht restlos geklärt. «Beim Thema Cannabis muss man die Betroffenen sehr ernst nehmen und Vertrauen zu ihnen aufbauen», sagt Franscini. Konsumieren sie aus sozialen Gründen? Oder geht es um Selbstmedikation? «Manche erklären, dass sie kurzfristig eine positive Wirkung, etwa eine Entspannung, erlebten. Erst mit der Zeit kommen dann vermehrt auch kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrationsstörungen zum Vorschein.»

Auch Stress kann zum Auslöser werden

Wenn man Betroffenen Raum gebe, sich auch positiv darüber zu äussern, stelle sich manchmal heraus, dass Konzentrationsschwierigkeiten ihnen hälfen, unliebsame paranoide Gedanken zu zerstreuen. «Wir zeigen dann auf, dass es auch andere Behandlungsmöglichkeiten dafür gibt», sagt Franscini. Das Allerwichtigste sei es, die Autonomie der jungen Menschen zu stärken und sie zu befähigen, solche Zusammenhänge zu erkennen.

Wie bei vielen psychischen Leiden spielt bei psychotischen Entwicklungen der Stress eine überaus wichtige Rolle. Wie aber sieht es mit der Früherkennung selbst aus? Könnte es junge Menschen zusätzlich belasten, wenn sie mit der Prognose einer schizophrenen Psychose konfrontiert werden? Schliesslich ist diese Krankheit noch immer mit einem sozialen Stigma behaftet.

«Im Umgang mit einer beginnenden Psychose gibt es sehr viele Missverständnisse», sagt Homan. «Und das grösste Missverständnis ist, dass Schizophrenie etwas ganz Schlimmes ist, bei dem man nichts tun kann.» Der Psychiater spricht sich dafür aus, mit den Betroffenen offen und transparent über die Erkrankung und ihre Vorstufen zu sprechen und ihnen klarzumachen, dass Ausbildung und Arbeit trotzdem möglich sind. «Den Fatalismus, den braucht es heute nicht mehr.»

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