Der ehemalige Ministerpräsident entgeht einer öffentlichkeitswirksamen Verhaftung und zieht sich stattdessen freiwillig ins Abseits zurück. Das ist ein Erfolg für die regierenden Sozialisten in Barcelona und Madrid.
Die Posse begann am Donnerstagmorgen. Carles Puigdemont erschien in Barcelona auf einer Bühne, redete 15 Minuten und ergriff die Flucht – kurz bevor ihn die Polizei festnehmen konnte. Rund 24 Stunden später erklärte sein Anwalt, Puigdemont sei «nach getaner Arbeit» nach Hause zurückgekehrt. Sein Zuhause befindet sich seit sieben Jahren im belgischen Waterloo.
In Spanien droht dem ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten trotz Amnestiegesetz weiterhin die Verhaftung. Er wird wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder beim verbotenen Unabhängigkeitsreferendum 2017 per Haftbefehl gesucht. Der Oberste Gerichtshof des Landes schloss das Delikt der Veruntreuung von der Amnestie aus.
Dass die Festnahme nicht schon vor seiner Rede erfolgte, rechtfertigte die katalanische Polizei später damit, dass sie verhältnismässig habe vorgehen und einen Ort wählen wollen, der für weniger öffentliche Unruhe sorgen würde.
Das kann man angesichts von Puigdemonts langer internationaler Fluchtgeschichte zumindest naiv nennen. Oder auch fragwürdig, wenn man bedenkt, dass der Plan der Polizei offenbar war, ihn vor dem Parlament zu stellen – was ohne Zweifel noch mehr Öffentlichkeit erzeugt hätte. Später gab die katalanische Polizei die Festnahme dreier Beamter bekannt, die Puigdemont bei der Flucht geholfen haben sollen. Für die Polizei ist der Tag eine Blamage, das rechte politische Lager in Spanien schäumt vor Wut ob der «Erniedrigung Spaniens».
Puigdemonts verspielt seinen letzten Trumpf
Die Sozialisten, die in Madrid und nun auch in Barcelona die Regierung anführen, dürften dies verschmerzen können. Denn am vergangenen Donnerstag stand für sie viel auf dem Spiel. In Barcelona wurde an diesem Tag ein neuer Regionalpräsident gewählt. Mit dem Sozialisten Salvador Illa bekleidet das Amt erstmals seit 14 Jahren wieder ein Politiker, der gegen die Abspaltung Kataloniens von Spanien ist. Ins Amt verholfen hatten ihm ausgerechnet die Stimmen der linken Separatistenpartei ERC.
Die Wahl eines Abspaltungsgegners an die Spitze der katalanischen Regierung bedeutet eine bittere Niederlage für Puigdemont und das vorläufige Ende seines Traums einer unabhängigen Republik Katalonien.
Um sich dem Neuanfang entgegenzustellen, tat Puigdemont deshalb, was er am besten kann: Er ging auf Konfrontation mit der spanischen Justiz. Damit wollte er seine Inszenierung als ewiger Widerstandskämpfer aufrechterhalten und seine schwindende Anhängerschaft mobilisieren.
Als er sich danach einer öffentlichkeitswirksamen Verhaftung vor dem Regionalparlament entzog, hat er jedoch seinen letzten Trumpf verspielt. Die Bilder des Junts-Chefs in Handschellen hätten das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter womöglich kurzfristig noch einmal zusammengeschweisst und nicht nur die Regierungsbildung in der katalanischen Hauptstadt torpediert, sondern auch die Minderheitsregierung in Madrid vor eine Zerreissprobe gestellt. Der sozialistische Regierungschef Pedro Sánchez ist im spanischen Parlament auf die Unterstützung der katalanischen Parteien Junts und ERC angewiesen.
Ohne Amnestie bleibt der Separatistenführer ein Unruheherd
Dass Puigdemont nicht zum Märtyrer werden will, erklärte er selbst am Tag nach seiner Flucht. Nie werde er sich von der spanischen Polizei festnehmen lassen. Lieber steht der 61-Jährige abseits, während die Sozialisten in Madrid und Barcelona regieren.
Puigdemont dürfte auch in Zukunft mit gelegentlichen Grenzüberschreitungen seinem Traum von der Unabhängigkeit weiter Geltung verschaffen wollen. Ein solches Katz-und-Maus-Spiel wäre spätestens dann beendet, wenn Spaniens Richter auch den 61-Jährigen voll amnestieren und damit zu dem machen würden, was er inzwischen ist: einem einfachen Abgeordneten der Opposition in einem Regionalparlament.

