Mittwoch, Januar 15

Die Freilassung von sechzehn politischen Gefangenen liess sich der russische Staatspräsident teuer bezahlen. Ist damit die Gefahr von weiteren Morden auf Putins Geheiss im Westen gestiegen?

Der deutsche Bundeskanzler hatte viel zu erklären. Zweimal kurz hintereinander trat Olaf Scholz am späten Donnerstagabend und in der Nacht zum Freitag vor die Presse. Auf dem Flughafen Köln/Bonn erläuterte der SPD-Politiker die Hintergründe des spektakulärsten Gefangenenaustauschs seit 1990.

Ein Hauch von Kaltem Krieg lag in der Luft, als sechzehn Personen, die sich unrechtmässig in russischer Haft befunden hatten, ihre Freiheit wiedererlangten. Im Gegenzug wurde unter anderem der Berliner Tiergartenmörder Wadim Krasikow an Russland überstellt. Für den Kanzler war der Austausch, wie er kurz nach Mitternacht darlegte, die richtige Entscheidung für eine Gesellschaft, die «von ihrem Humanismus geprägt ist, von der Vorstellung der Freiheit des Einzelnen und auch von der Demokratie».

Eine extreme Entscheidung

Dennoch bleibt ein solcher realpolitischer Schachzug eine normative Herausforderung. Der Westen unter der Führung der Vereinigten Staaten und besonderer Mitwirkung des vom Kanzler eigens erwähnten Slowenien hat politische Gefangene gegen Straftäter eingelöst. Die Zufriedenheit des Kanzlers über die «gute Nachricht» (Scholz) wird im Regierungslager geteilt. Die Familie des tschetschenischen Opfers von Krasikow hingegen kritisiert die «niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige». Es gebe in der Welt offenbar kein Gesetz, «selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt».

Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Dürr, sieht es anders. Er formuliert bei X: «Im Zweifel für die Freiheit.» Er sei froh, dass Wladimir Kara-Mursa, Evan Gershkovich, Rico Krieger «und dreizehn andere Menschen aus russischer Gefangenschaft befreit wurden». Zuvor hatte der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann den Weg für den Austausch freigemacht, indem er durch eine Weisung an den Generalbundesanwalt die Freilassung Krasikows ermöglichte. Laut Buschmann musste die Verständigung «Diktatoren abgerungen werden».

Der grüne Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky sagte im Deutschlandfunk, der Austausch habe viele verschiedene bittere Dimensionen. Für den in russischer Haft verstorbenen Oppositionellen Alexei Nawalny, der zuvor «aus dem Weg geräumt werden musste», sei er zu spät gekommen. Bitter sei ferner, dass die weissrussische Opposition nicht berücksichtigt worden sei. Zudem habe der Deal «die neue Realität bei uns in Europa» vorgeführt, eine moralische Asymmetrie: «Russische Staatsbürger und unschuldige Amerikaner werden getauscht gegen Kriminelle und Spione.» Der EU-Parlamentarier knapp: «Putin erpresst uns.» Dennoch sei er, Lagodinsky, froh über die Einigung, unschuldige Menschen hätten die Freiheit wiedererlangt.

Die Freude teilt, ebenfalls im Deutschlandfunk, der CDU-Politiker Norbert Röttgen. Dennoch sei es eine «Extrementscheidung» gewesen: Der Staat verzichte auf seinen Strafanspruch gegenüber einem «Diktator, der bewusst Geiseln nimmt». Dieser gravierende Nachteil werde gerechtfertigt durch ein höheres Gut, «die Freiheit und die Befreiung von Folter für sechzehn Menschen».

Der CDU-Politiker Hardt ist nicht einverstanden

Weder Röttgen noch Lagodinsky wollen der grünen Aussenministerin Vorwürfe machen. Laut Medienberichten soll Annalena Baerbock lange den Austausch blockiert haben. Es sei nun einmal, konstatierte Röttgen, ein schwieriger Abwägungsprozess gewesen; einen verurteilten Mörder wie Krasikow freizulassen, so Lagodinsky, sei keine Lappalie. Baerbock selbst sprach bei BR24 im «Thema des Tages» von einem «absoluten hochsensiblen Dilemma» und «Entscheidungen mit sehr unterschiedlichen Akteuren».

Durchaus kritisch äussert sich im Norddeutschen Rundfunk der aussenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. Er wolle über die Entscheidung der Regierung, den Tiergartenmörder freizulassen, nicht den Stab brechen. Es habe vermutlich einen «dringenden Wunsch aus Amerika» gegeben, den Deal an dieser Frage nicht platzen zu lassen. Ein fader Beigeschmack aber bleibe.

Putin sende an Menschen, die er zum Morden ins Ausland schicke, die Botschaft, «ich hole dich da wieder raus». Es sei offen, ob es nun mehr «brutale politische Morde in Deutschland auf Anordnung von Putin oder Lukaschenko» gebe. Er, Hardt, habe sich nicht vorstellen können, «dass wir einen solchen Schwerverbrecher bereits nach wenigen Jahren laufen lassen». Hardt bekennt: «Ich hätte nicht eingewilligt in die Abgabe des Tiergartenmörders.» Die Folgen seien unkalkulierbar.

Die AfD wählt einen eigenen Zungenschlag. Der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban spricht gegenüber dieser Zeitung von einem «Zeichen, das Hoffnung macht». Offensichtlich gebe es noch funktionierende diplomatische Kanäle. Nun, so Urban, müssten die «Diplomaten des Westens» auch ergebnisoffen mit Russland verhandeln, «damit dieser schreckliche Krieg in der Ukraine endlich beendet wird». Der aussenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Matthias Moosdorf, würdigt den Austausch als «Lichtblick» für die Betroffenen. Er zeige, dass Interessen über grosse Hürden hinweg ausgeglichen werden könnten, «den jeweiligen Willen vorausgesetzt».

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