Samstag, September 28

Vor zwei Jahren wurde der ukrainische Präsident in Amerika noch wie ein Held empfangen, diesmal ist er gescheitert. Die Ukraine und ihre Verbündeten sind sich uneinig. So kann der Krieg nicht gewonnen werden.

«Russland kann zum Frieden nur gezwungen werden.» Dieser Satz, formuliert von Präsident Wolodimir Selenski in seiner Rede vor dem Uno-Sicherheitsrat, ist der Schlüssel zum Verständnis der ukrainischen Haltung im Krieg mit Russland. Zugleich ist er eine These, die bei Selenskis sechstägigem Amerika-Besuch nur bescheidenen Widerhall erhielt und das Grundproblem der westlichen Strategie illustriert.

Selenski hat zweifellos recht: Putin, der Gewaltherrscher in Moskau, versteht nur die Sprache der Härte. Nur eine starke Ukraine kann ihn von seinem Eroberungszug abbringen, nur ein entschlossener Westen kann den Traum von einem neuen russischen Imperium zerplatzen lassen. Der schnellste Weg zum Frieden führt deshalb über eine Aufrüstung der Ukraine – nicht mit dem Ziel, dass die Ukrainer mit diesem Material alle besetzten Gebiete zurückerobern, aber mit der Absicht, dem Kreml die Sinnlosigkeit weiterer Offensiven vor Augen zu führen. Erst dann wird Putin zu Verhandlungen bereit sein.

Selenski redet an eine Wand

Obwohl diese Überlegungen letztlich banal sind, werden sie im Westen gerne verdrängt. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz spricht wohlfeil von der Notwendigkeit baldiger Friedensgespräche und testet damit einen Wahlkampfslogan, obwohl er genau wissen müsste, dass man Putin nicht mit nettem Zureden zu einem echten Frieden bringt. In den USA umgarnt der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump seine Anhänger mit der Behauptung, er könne den Krieg im Handumdrehen beenden. Er lässt durchblicken, dass er die Ukraine am liebsten einfach ihrem Schicksal überliesse und dass er im aggressiven Grossmachtstreben Russlands keine Gefahr für amerikanische Interessen erkennt.

Selenski redete vor der Uno und in Washington scheinbar an eine Wand. Im amerikanischen Kongress wollten sich nur noch seine überzeugtesten Unterstützer mit ihm treffen. Im Weissen Haus wiederum erntete der Gast aus Kiew zwar viele schöne Worte, doch diese erweisen sich bei genauerem Zuhören als hohl. «Um es deutlich zu sagen: Die Ukraine wird obsiegen», verkündete Präsident Joe Biden mit billigem Pathos. Die Realität ist, dass die Ukraine derzeit auf Verliererkurs ist und die Regierung Biden dennoch keine Notwendigkeit sieht, ihre allzu zaghafte Unterstützung für das Land zu überdenken.

Unterschiedliche Interessen gab es im westlichen Lager seit Beginn des Krieges. Doch die vergangenen Tage haben überdeutlich gezeigt, dass sich die Trennlinien auf ernste Weise vertieft haben – zwischen der Ukraine und der Nato, innerhalb der Nato, aber auch innerhalb der westlichen Führungsmächte. Eine ganze Reihe von Gründen ist dafür verantwortlich. Der amerikanische Wahlkampf überlagert das Thema, lenkt die Führung in Washington vom Schauplatz Ukraine ab und zwingt die Demokraten, den Trumpisten nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten.

Dazu kommen divergierende Einschätzungen in der Nato zum Risiko einer Eskalation im Verhältnis mit Russland. Das führt dazu, dass Grossbritannien und Frankreich den Ukrainern erlauben möchten, westliche Waffen auch für Schläge im Innern Russlands zu nutzen, während die USA und Deutschland dies ablehnen und Biden sein Veto für die ganze Allianz durchsetzt.

Damit ist ein Kernpunkt von Selenskis «Siegesplan» gestrichen – und dies, obwohl die meisten Militärexperten davon überzeugt sind, dass die Ukraine mit Angriffen im russischen Hinterland Putins Kriegsmaschinerie schwächen könnte. Ebenso blockiert ist der ukrainische Wunsch nach einer beschleunigten Aufnahme in die Nato.

Die nötige Konsequenz fehlt

Noch frustrierender für Kiew ist, dass die westliche Militärhilfe nicht etwa zunimmt, wie es zu einer glaubwürdigen Abschreckung Russlands notwendig wäre, sondern sich schleichend verringert. Biden verkündete zwar ein neues Hilfspaket im Wert von acht Milliarden Dollar. Doch dabei handelt es sich nicht um zusätzliche Gelder, sondern um zeitlich befristete Mittel, die der Kongress bereits im April bewilligt hatte. Weil die Regierung Biden es mit ihrem Einsatz nicht eilig hatte, wären diese Gelder Ende des Monats beinahe verfallen – auch dies ein Symptom mangelnder Ernsthaftigkeit.

«Russland zum Frieden zwingen»: Dieser vernünftigen Devise Selenskis lebt der Westen nicht annähernd nach. Der politische Wille fehlt, den überschwänglichen Hilfszusagen konsequent die nötigen Taten folgen zu lassen. Obwohl kein einziger westlicher Soldat in einem ukrainischen Schützengraben umgekommen ist und keine einzige westliche Stadt den Horror der russischen Raketenangriffe miterleben musste, breitet sich in Amerika und Europa mehr Kriegsmüdigkeit aus als in der Ukraine.

Darüber kann der Aggressor Putin nur frohlocken. Westliche Zögerlichkeit bestärkt ihn in seiner lange gehegten Überzeugung, dass der reiche Westen innerlich unheilbar geschwächt ist und das zynische Kalkül seiner Gewaltpolitik korrekt war. Im für Putin besten Fall kommt in den USA mit Donald Trump bald ein Politiker an die Macht, der die Ukraine fallenlässt. Andernfalls wird in Washington unter Kamala Harris Kontinuität herrschen – eine Kontinuität jedoch, die von Halbherzigkeit geprägt ist und einem für die Ukraine letztlich ruinösen Zermürbungskrieg.

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