Die Amerikaner sprechen erneut von einer «entscheidenden Woche» bei den Verhandlungen über ein Ende des Ukraine-Krieges. Die neue Ankündigung aus dem Kreml könnte Trump besänftigen sollen – oder ein weiterer taktischer Schachzug sein.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat im Krieg gegen die Ukraine erneut Freund und Feind überrascht. Über den 9. Mai, den «Tag des Sieges» der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg, sollen, wie schon zu Ostern, die Waffen schweigen. Diesmal ist die einseitig verkündete Waffenruhe auf drei Tage angesetzt; sie soll in der Nacht auf den 8. Mai anfangen und in der Nacht auf den 11. Mai enden.
Die Ukraine reagierte mit einem Gegenvorschlag, indem sie die Forderung nach einem umgehenden dreissigtägigen Waffenstillstand erneuerte. «Wenn Russland wirklich den Frieden will – weshalb dann bis zum 8. Mai warten?», schrieb Aussenminister Andri Sibiha in den sozialen Netzwerken.
Dieses Jahr feiert Russland den 80. Jahrestag der Kapitulation Nazideutschlands. Der ohnehin politisch und gesellschaftlich stark aufgeladene Feiertag wird im Jubiläumsjahr noch sichtbarer beworben – jedes Moskauer Ladenschaufenster ist mit dem Logo beklebt. Putin erwartet zahlreiche hohe Staatsgäste zur Militärparade auf dem Roten Platz – unter ihnen den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping. Diese Feierstunde, an der er der Welt auch das Scheitern der Isolierung Russlands vorführen will, soll nicht durch Kanonendonner gestört werden. Auch Symbolik ist im Spiel: Immerhin sieht die russische Propaganda den Krieg gegen die «neonazistische» Ukraine als Fortsetzung des Kampfes der Vorväter.
Auftakt zu etwas Bedeutungsvollerem?
Putins Ankündigung ist deshalb ein Signal nach innen und nach aussen. Es unterstreicht die Erhabenheit des wichtigsten russischen Feiertags und ist als Geste der Grosszügigkeit (gegenüber dem Kriegsgegner) und des Friedenswillens (gegenüber dem amerikanischen Präsidenten Trump) zu verstehen. Im Unterschied zur extrem kurzfristigen Ansage der Oster-Waffenruhe, die Kiew gar nicht die Chance gab, sich ordentlich darauf vorzubereiten, lässt der längere Vorlauf diesmal eine grössere Ernsthaftigkeit im Ansinnen erkennen.
Die Frage stellt sich auch jetzt, ob diese vorerst auf drei Tage befristete Waffenruhe der Auftakt zu etwas Grösserem sein könnte, sofern sich die Kriegsparteien und die USA bis dann auf die wichtigsten Parameter eines Abkommens einigen können. Oder ob Putins Ankündigung im Gegenteil als Hinweis darauf zu deuten ist, dass es aus Sicht des Kremls mit einer Einigung noch dauern dürfte, aber ein erneuertes Zeichen der grundsätzlichen Friedensbereitschaft dennoch angebracht scheint.
Die USA machen Druck
Der Vorstoss Putins kommt jedenfalls zu einem Zeitpunkt, da die Geduld der Amerikaner, auch mit Russland, strapaziert ist. Das bekräftigte die Sprecherin des Weissen Hauses am Montag. Donald Trump sei zunehmend frustriert über beide Präsidenten. Er wolle eine dauerhafte Waffenruhe, Putin habe aber nur eine befristete angekündigt.
Das bildstark inszenierte Treffen zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski im Petersdom am Samstag schien die Wogen zwischen den beiden Präsidenten geglättet zu haben. Dass nun Trumps Behauptung, Selenski habe sich mit dem Verlust der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim abgefunden, in Russland als Einknicken der Ukraine vor der Realität interpretiert wird, scheint jedoch verfrüht. An der ukrainischen Position dürfte sich nichts geändert haben.
Mehrmals dagegen kam Trump übers Wochenende auf die fortdauernden russischen Angriffe auf ukrainische Städte zurück, die in den vergangenen Tagen besonders viele Opfer gefordert hatten. Die ausbleibende Reaktion Putins auf Trumps Aufforderung, damit aufzuhören, liess Trump sogar leise an Putin zweifeln und mit neuen Sanktionen drohen. Er wolle innerhalb der nächsten zwei Wochen «oder etwas mehr» zu einer Einigung zwischen Russland und der Ukraine kommen, sagte er. Auf die Frage, ob er Putin vertraue, sagte er dieses Mal: «Ich gebe Ihnen die Antwort in zwei Wochen.»
Zum Durchbruch scheint der Besuch von Trumps Sondergesandtem Steve Witkoff in Moskau am Freitag nicht geführt zu haben. Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio erneuerte die Drohung, Washington werde sich aus dem Verhandlungsprozess zurückziehen, falls dieser nicht schnell zu einem Ergebnis komme. Die Administration werde in dieser Woche entscheiden, wie es weitergehe. Man wolle ein Abkommen, es gebe Optimismus, aber man müsse auch realistisch sein. «Wir sind nah dran, aber noch nicht genügend nah», sagte er. Seine Aussagen unterscheiden sich von denjenigen Trumps, der gesagt hatte, er glaube, mit Russland gebe es einen «Deal».
Russland hat keine Eile
Gemessen an den offiziellen russischen Verlautbarungen liegt Rubio näher bei der Wahrheit als sein Präsident. Das russische Regime beteuert, es sei zu einem Friedensabkommen bereit. Die Verhandlungen seien aber kompliziert, brauchten genügend Zeit und diplomatische Verschwiegenheit. Der Eindruck herrscht vor, es eile in Moskau niemandem besonders damit. Es gibt wenig Klarheit darüber, wie Russland zu den einzelnen Punkten des «Friedensplans» steht, den Trump in Paris vor knapp zwei Wochen den Europäern vorgelegt hatte. Erschwert wird die Interpretation dadurch, dass nur gilt, was Putin entscheidet und sagt. Aussagen anderer Funktionäre – vom Sprecher Dmitri Peskow bis zu Aussenminister Sergei Lawrow – spiegeln die offizielle Position nur bis zu dem Moment, in dem Putin spricht.
Auf der einen Seite betonte Peskow, Putin sei zu «bedingungslosen Gesprächen» mit der Ukraine bereit. Er wiederholte den bekannten Vorwurf an Kiew, nicht Russland, sondern die Ukraine habe Gespräche mit der russischen Führung verboten. Der nächste Schritt liege also bei Selenski. Dieser wiederum beharrt darauf, Gespräche könne es erst geben, wenn die Waffen schwiegen.
Auf der anderen Seite ist die russische Bedingungslosigkeit relativ, wie Putins «grundsätzliches Einverständnis» mit dem Vorschlag einer dreissigtägigen Waffenruhe vom März belegt. Die dort genannten Forderungen sind weiterhin gültig, unter anderem die nach einem Stopp westlicher Militärhilfe für die Ukraine. Auch über die russische Position zu territorialen Fragen herrscht Widersprüchlichkeit. Ob Putin wirklich bereit wäre zu einem Einfrieren entlang der Frontlinie und damit – aus russischer Sicht – zu einem Verzicht auf Territorialansprüche, ist nicht klar.
In einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CBS wies Lawrow einen der kolportierten amerikanischen Vorschläge zurück, die Übergabe des Atomkraftwerks Saporischja an amerikanische Betreiber. Er brachte auch erneut die Frage des Umgangs mit den Russischsprachigen und der russischen Kultur in der Ukraine als zentralen Punkt auf. Dieser ist in dem publik gewordenen Plan Trumps kein Thema, obwohl er für Russland zu den «ursprünglichen Gründen» des Konflikts zählt. Vom Ziel, die Ukraine politisch zu kontrollieren und Einfluss auf Europas Sicherheit nehmen zu können, rückt Putin nicht ab.